Hochkomplexes Meisterwerk

Schon wieder ist die halbe Nacht vorbei, dabei habe ich vom Spiel bisher nur den Charaktereditor gesehen. Kaum ein Rollenspiel erlaubt einem so unglaublich...

von - Gast - am: 14.03.2010

Schon wieder ist die halbe Nacht vorbei, dabei habe ich vom Spiel bisher nur den Charaktereditor gesehen. Kaum ein Rollenspiel erlaubt einem so unglaublich viele Möglichkeiten. Aber was taugt das dazugehörige Spiel?
Diese Frage beantworte ich anhand der Deluxe Edition von Neverwinter Nights 2 (NWN2). Zusätzlich zum Hauptspiel enthält die DE auch die beiden Addons Mask of the Batrayer (MotB) und Storm of Zehir (SoZ), auf die ich im weiteren Verlauf eingehen werde.

Während Neverwinter Night (1) noch von Bioware entwickelt wurde, kümmerten sich in Teil 2 die Jungs von Obsidian darum. Kein Grund zur Beunruhigung, NWN2 schafft es sogar den Vorgänger zu toppen und muss sich nicht einmal hinter der neuen Genrereferenz Dragon Age: Origins (DA:O) verstecken.

Die Charaktererstellung

NWN2 baut auf dem komplexen Dungeons & Dragons Regelwerk auf, entsprechend umfangreich ist der Charaktereditor. Unzählige Rassen, Klassen die sich untereinander kombinieren lassen, eine Gut-Böse Gesinnungswahl, persönliche Merkmale die sich auf die Charakterwerte auswirken... ein bis dato unerreichter Traum für Charbastler - Sie wollen einen axtschwingenden Hochelf Berserker-Magier? Alles möglich (wenn auch nicht immer sinnvoll). Wem das zuviel ist benutzt die Aufstiegsautomatik, wobei diese teilweise etwas seltsame Skillungen empfiehlt. Für diejenigen, die es besonders eilig haben gibt es zahlreiche, bereits vorgefertigte Charaktere.

Das Spiel

NWN2 beginnt klassisch: als einfacher Dorfbewohner müssen Sie für Ihren Ziehvater verschiedene Aufgaben erledigen und sollen den Dorffest-Wettbewerb gewinnen. Der Anfang ist als Tutorial ausgelegt, allerdings werden die meisten Themen nur angerissen.
Als das Dorf von Unbekannten überfallen wird nimmt die Geschichte langsam Fahrt auf. Im Laufe des Spieles erkunden Sie die Stadt Niewinter, erforschen alte Elfenruinen, bekämpfen Drachen, suchen Verbündete im Kampf gegen ein uraltes Böses. Moment, dass kommt Ihnen bekannt vor? Stimmt, die Geschichten von NWN2 und DA:O sind sich teilweise recht ähnlich.
Entscheidungsfreiheit wird groß geschrieben, die meisten Situationen kann man entweder friedlich oder aggressiv lösen. Es gibt sogar Spielabschnitte, die sich je nach Verhalten des Spielers komplett ändern können. Das Finale ist jedoch immer gleich. Schade.
Ein Höhepunkt von NWN2 ist die Eroberung einer Burg, die man verwaltet und ausbauen kann. Belagerungsschlacht inklusive!

Die Gefährten

Wenn man keinen namenlosen Helden oder weißhaarigen Hexer spielt gehört zu einem ordentlichen Rollenspiel eine Gefährten-Gruppe. Normalerweise ist man in NWN2 mit drei Begleitern unterwegs. Dabei ist auf die taktische Abstimmung der Klassen zu achten. Wer mit zwei Schurken aber ohne Heiler in die Schlacht zieht, bekommt im späteren Spielverlauf größere Probleme.
Die Gefährten haben alle einen individuellen Charakter. Der mürrische Zwergkrieger Khelgar will unbedingt Mönch werden, die Tieflingschurkin Neeshka bringt sich mit ihren vorlauten Kommentaren öfters in Schwierigkeiten. Insgesamt kommt man auf zwölf verschiedene Begleiter. Jeder hat eine einzigartige Hintergrundgeschichte, teilweise gibt es auch Begleiterquests. Auch melden Sie sich regelmäßig in Dialogen zu Wort wenn der Spieler nicht ganz nach ihren Wünschen handelt. Die Dialogqualität ist im gesamten Spiel übrigens sehr hoch, auch der Humor kommt nicht zu kurz.
Es gibt die Möglichkeit zu Romanzen, allerdings wirken diese ein wenig aufgesetzt

Das Kampfsystem

Wir haben eine stimmige Welt die erkundet werden will und kampfeshungrige Gefährten: auf in Schlacht! Die Kämpfe sind pausierbar, was man auch nutzen sollte um den einzelnen Begleitern unterschiedliche Aufgaben zuzuweisen. Etwas ungewohnt ist die Zauberei, da man alle Zauber nur begrenzt in einem Kampf einsetzen kann. Wer zu früh seinen mächtigen Meteorregen vom Himmel fallen lässt, dem fehlt dieser womöglich in einem späteren Abschnitt des Kampfes. Vor allem einige Bosskämpfe dauern sehr lange.
Die meisten Gegner sind humanoide Standardkost oder Untote, jedoch lockern spezielle Gegner das Geschehen immer wieder auf. Trollen muss man beispielsweise den Todesstoß mit Feuer- oder Säureangriffen geben, ansonsten stehen diese nach kurzer Zeit wieder auf. Werwölfe bekämpft man mit Silberwaffen, bei Drachen ist das Stellungsspiel entscheidend. Der Schwierigkeitsgrad ist am Anfang eher gering, zieht jedoch im letzten Spieldrittel deutlich an.

Items und Levelaufstiege

Die Monster lassen unzählige Items fallen die innerhalb der Gruppe verteilt werden wollen. Dies gestaltet sich jedoch umständlich, da man immer nur die Begleiter anwählen kann die sich auch in der Gruppe befinden. Da der Umbau der Gruppe aber nur mit einem Zonenwechsel möglich ist, wird unnötiges herumreisen zu einer lästigen Pflicht. Handwerk gibt es auch, allerdings ist es kompliziert und vor allem unübersichtlich gestaltet. Wenn man darauf verzichtet ist dies aber auch kein Problem.

Mit den Erfahrungspunkten, die man für das töten von Monstern und das geschickte führen von Dialogen bekommt, steigt man regelmäßig im Level auf. Die Aufstiege verwaltet man schon wie bei der Charaktererstellung im komplexen Editor, auch für alle Gefährten. Die Aufstiegsautomatik kann hier wieder benutzt werden.

Die Technik

Grafisch ist NVN2 nicht mehr auf der Höhe der Zeit, allerdings sind die Zaubereffekte immer noch schön anzusehen. Die Qualität des Levelaufbaues schwankt, hübsch gestaltete Dörfer wechseln sich mit öden Höhlensystemen ab. Was nicht unerwähnt bleiben sollte ist der lineare Aufbau, Entdeckernaturen werden wenig auf Ihre Kosten kommen.
Die Musik ist meist eher unauffällig, aber nie störend. Sprachausgabe gibt es leider nur selten, ansonsten muss man viel lesen. Auf höheren Grafikauflösungen wird die Schrift allerdings sehr klein und das lesen entsprechend anstrengend. Jeder Gebietsübergang muss neu geladen werden, was jedoch nur an Orten mit vielen Einzelgebäuden störend wird. Die Ladezeiten sind angenehm gering.
Die Kamera stellt das größte Manko des Spieles dar. Wichtig ist, dass man den aktuellsten Patch aufspielt der die gröbsten Probleme bereinigt. Dann hat man zumindest in den meisten Situationen des Spieles die Übersicht. Die ungepatchte Urversion führt regelmäßig zu Wutanfällen.

Addon: Mask of the Betrayer

Das erste Addon MotB schließt von der Story her direkt an das Hauptspiel an. Die Geschichte ist abwechslungsreich, hat zahlreiche Wendungen und gehört zum besten was ich je gespielt habe. Die neuen Begleiter sind sehr glaubwürdig und liebevoll aufgebaut. Sie haben wesentlich interessantere Hintergrund- geschichten als die eher gewöhnlichen Gefährten aus dem Hauptspiel. So wird man unter anderem von einem Bärengott und einem waschechten Engel begleitet.
Die schwersten Auswirkungen auf das Geschehen hat allerdings ein Fluch, den man im Laufe des Spieles erleidet. Dies führt zu einem andauernden Zeitdruck, da man kontinuierlich schwächer wird und sogar sterben kann, wenn man nicht regelmäßig Geister oder Untote 'verschlingt'. Das große Problem dabei ist, dass man als guter Spieler wesentlich weniger Probleme damit hat als ein böser Spieler, der im späteren Spielverlauf arge Schwierigkeiten bekommt. Diese Unausgeglichenheit, kombiniert mit dem sehr hohen Schwierigkeitsgrad stellen die größten Schwachpunkte des Spieles dar.
Der Spielcharakter startet bereits auf Stufe 18, im Laufe des Addons kann man bis Stufe 30 aufsteigen. Dabei werden extrem mächtige Fertigkeiten freigeschaltet, mit denen man Schlachten fast mit einem Schlag entscheiden kann.
Das Leveldesign ist sehr abwechslungsreich und grafisch schön anzusehen. Es gibt viele neue Gegner, die Dialoge sind noch mal eine Spur besser als im Hauptprogramm. An der Bedienung ändert sich jedoch nichts.

Addon: Storm of Zehir

Das zweite Addon Storm of Zehir prahlt mit einer offenen Welt die man auf einer Übersichtskaste erkunden kann. Dabei macht es aber nahezu alles schlecht was das Hauptprogramm gut macht: die Geschichte ist belanglos, die offene Welt uninteressant, es gibt (fast) keine Entscheidungen was die Gesinnung angeht, die Begleiter bleiben blass, die generischen Kämpfe nerven schnell. Einzig der Schiffbruch am Anfang, ein Wassertempel in der Mitte des Spieles und das durchaus gelungene Finale sind eine Erwähnung wert.

Fazit

NWN2 ist ein gelungenes Rollenspiel der alten Schule das ich jedem ambitionierten Rollenspieler uneingeschränkt empfehlen kann. Das Regelwerk ist komplex, bietet aber auch zahlreiche Möglichkeiten. Insbesondere der Charaktereditor hat es mir angetan. Die Kamera ist gewöhnungsbedürftig, stellt aber nach einer kurzen Einarbeitung ebenfalls kein Problem mehr dar. In der gepatchten Version wohlgemerkt.
Bei dem ersten Addon Mask of the Betrayer drückt der hohe Schwierigkeitsgrad teilweise die Stimmung, jedoch gleicht die sehr spannende Geschichte dieses Manko locker aus. Meiner Meinung nach kann nur das legendäre Planescape Torment mithalten. Spannender und motivierenden geht es kaum. Storm of Zehir dagegen fällt qualitativ stark ab. Installieren sollte man es, um die zusätzlichen Klassen und Rassen auch für das Hauptspiel frei zuschalten. Spielen muss man es aber nicht unbedingt.


Wertung
Pro und Kontra
  • Grafik: Schöne Zaubereffekte, atmosphärisch
  • Sound: angenehme, nie störende Musik
  • Balance: angenehm fordernd
  • Atmosphäre: Welt wie aus einem Guss, tolle Begleiter
  • Bedienung: funktionales Interface, umfangreiche Anzeigen
  • Umfang: riesige, stimmige Welt mit hohem Wiederspielwert
  • Quests: zahlreiche Lösungsmöglichkeiten
  • Handlung: durchgehend spannend, MotB herausragend
  • Kampf: taktisch anspruchsvoll
  • Charaktersystem: umfangreicher geht es nicht
  • Grafik: teilweise triste Umgebung, zu kleine Schrift
  • Sound: wenig Sprachausgabe
  • Balance: MotB als böser Spieler zu schwer
  • Atmosphäre: -
  • Bedienung: miese Kameraführung
  • Umfang: -
  • Quests: -
  • Handlung: SoZ Geschichte belanglos
  • Kampf: -
  • Charaktersystem: -

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(4)
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