Minimalistisch schön

To the Moon - Minimalistisch schön   Es gibt viele überaus minimalistische Spiele auf dem Planeten, die gerne einzelne Merkmale, die eigentlich...

von ElGordito am: 14.06.2015

To the Moon - Minimalistisch schön

 

Es gibt viele überaus minimalistische Spiele auf dem Planeten, die gerne einzelne Merkmale, die eigentlich zu einem Spiel gehören, vermissen lassen und dennoch teils als ungemein interessante Projekte aus der Masse herausstechen.
Beispielsweise könnte man hier Spirits als ungemeinen Extremfall aufführen, eine Art Lemmings (wenn sich jemand noch dran erinnert), das nicht nur auf eine komplexe Story, sondern auch auf so ziemlich jede anspruchsvolle Spielmechanik verzichtete und dennoch durch einige Nuancen eine interessante Spielerfahrung war.
„To the Moon“ ist ein ähnlicher Fall, wenn auch möglicherweise etwas weniger radikal. Denn hier wird das Gameplay im Wesentlichen auf das Nötigste heruntergebrochen, sodass andere Teile des Spiels in den Vordergrund treten können und auch sonst gibt es da noch einen wunderschönen, kleinen Bestandteil, den das Spiel mit Spirits gemein hat und der das Spiel auf ein noch höheres Level hievt.
Denn auch wenn eine grundlegende Spielmechanik existiert und diese sogar etwas mit der Story verknüpft ist, ist diese doch so weit heruntergebrochen wurden, dass man sich über den Begriff des Wortes Spiel per definitionem durchaus streiten kann.

Zum Heulen schön
Diese Geschichte baut dabei im Wesentlichen auf der Idee auf, dass der menschliche Verstand und somit die Erinnerungen und Erfahrungen eines sterbende Menschen durch Wissenschaftler mithilfe einer speziellen Apparatur verändert werden können.
Diese Dienste möchte auch der im Sterben liegende, bereits bewusstlose Johnny in Anspruch nehmen, um mit der Erinnerung zu sterben, einmal auf dem Mond gewesen zu sein, weshalb Dr. Eva Rosalene und Dr. Neil Watts von der Firma Sigmund Corp. in seinen Verstand eindringen, um ihm dieses Erlebnis durch Veränderung dieser Erinnerungen zu ermöglichen.
Während ein Ken Levine hier vermutlich eine einzige, große Mindfuck-Story spinnen würde, ist die eigentliche Geschichte über weite Strecken eher einfach gehalten. Jedoch ist diese Einfachheit auch ein großer Trumpf von „To the Moon“. Denn diese Schlichtheit, die das Spiel mit dem Durchlaufen der emotionalen Lebensphasen von Johnny an den Tag legt, ist mit seinen ganzen Schwankungen zwischen Melancholie, Freude, Verzweiflung, Trauer, Liebe, Enttäuschung und noch vielen anderen Gefühlen und Emotionen schlichtweg großartig gelungen und wird an den richtigen Stellen stets durch kleinere oder größere emotionale Wendungen aufgelockert.


 


Nicht zu verachten sind natürlich ebenso wenig die großartig gezeichneten Charaktere. Während das Puzzle um das Leben, den Charakter und die Beweggründe von Johnny immer klarer wird, wachsen einem zugleich die beiden eigenen Spielcharaktere ebenso ans Herz, wie die treue Haushälterin und ihre Kinder. Jede Figur scheint einen eigenen, unverwechselbaren Charakter zu haben, der sich auch immer wieder in toll geschriebenen und übersetzten, oftmals sogar recht pointierten und amüsanten Dialogen wiederspiegelt. Und auch wenn sich das Puzzle mit der Zeit immer weiter löst, bleibt doch immer ein gewisser märchenhafter Flair erhalten, sodass das Spiel immer eine gewisse mystisch-verträumte Note hat, die sich wunderbar in die Erfahrung einbringt und sich in einem interessanten, wunderschönen, in-sich-geschlossenen und überzeugendem Ende löst, welches das Erlebnis überaus gelungen abrundet.
Kaum ein anderes Spiel ist wohl in der Lage, Emotionen, Gefühlswelten und unterschiedliche Lebenslagen so gut auszudrücken wie „To the Moon“, sodass man dem Spiel unglaublich hoch anrechnen muss, dass es eine gewisse Einzigartigkeit erreicht, zu welcher in der Spiele-Branche leider viel zu selten den Mut findet.

Zum Heulen harmonisch
Doch nicht nur die Geschichte mit ihren Charakteren trägt zu dieser einzigartigen Atmosphäre bei, sondern auch der, und hier schließt sich der Kreis zu Spirits, schlichtweg großartige Soundtrack voller Höhen und Tiefen, welcher zu jedem Zeitpunkt die Stimmung des Spiels exzellent einfängt und dem Spiel teilweise einen gewissen, wunderschön verträumten Flair gibt.
Er setzt sich dabei im Wesentlichen aus einer recht großen Zahl aus wunderbar harmonischen, oftmals recht melancholischen Stücken zusammen, ohne dabei aber abwechslungsarm zu wirken. So gibt es ab und an auch einige durchaus fröhliche, aber auch durchaus dramatische Werke zu hören sowie vereinzelte Lieder, die den restlichen Tracks jedoch in nichts nachstehen.
Den Soundtrack gibt es übrigens auch separat zu kaufen, was ich selbstverständlich nur empfehlen kann. 53 Minuten bei 31 Tracks waren mir persönlich natürlich ein paar Euros wert und wirken auf mich durchaus fair. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann dies selbstverständlich anhand einiger ausgewählter Hörbeispiele gerne tun.
„Everything is Alright“


Zum Heulen einfach
Jedoch muss man dennoch irgendwann auch, bei aller (berechtigter Lobhudelei), sich der Handvoll recht offensichtlichen Schwächen des Spiels annehmen.
Zum einen wäre da vermutlich die größte Achillesverse: Das Gameplay, welches schlichtweg einfach nur recht zweckmäßig gestaltet wurde und lediglich aus dem Suchen von 6 Interaktionsobjekten innerhalb eines meist recht kleinen, abgesteckten, aber auch immer wunderschön gestalteten Levels, sowie aus einem kleinen Puzzle am Ende jedes Abschnitts, besteht.
Dabei ist es notwendig zunächst ein Memento, ein Gegenstand mit besonderer Bedeutung für Johnny, in diesem Abschnitt zu finden, welcher für das tiefere Eindringen in seine Erinnerungen gebraucht wird. Da diese jedoch von durchsichtigen Blasen geschützt werden, muss man zunächst 5 Erinnerungslinks finden, um den Schutz aufzubrechen, sodass man in der Erinnerung weiterreisen kann.
Davor ist es jedoch notwendig, das Memento vorzubereiten, was in Form eines kleinen Puzzle-Minispiels vonstattengeht. Dabei ist ein in 16 Quadrate geteiltes Bild gegeben, wobei einige Quadrate jedoch umgedreht sind. Der Spieler muss nun versuchen durch stetiges Umdrehen einer kompletten Reihe (horizontal, vertikal, diagonal) alle Quadrate aufzudecken, um das Rätsel zu lösen, damit man weiterreisen kann.

Eine Zeitachse, eine schützende Kugel und unzählige Hasen, mehr möchte ich nicht sagen
 

Um es kurz zu machen: Das ist nicht abwechslungsreich, das ist nicht besonders zeitaufwendig, das ist eher repetitiv, viel zu leicht und steuert sich auch etwas störrisch und ist somit eher eine Pflichtübung, um in der Geschichte vorranzukommen. Zugegebenermaßen sind diese Mechaniken zwar ganz nett in die Story integriert, da die Erinnerungstücke stets storyrelevante Inhalte oder interessante, zu belauschende Gespräche darstellen, sodass man etwas Neues über die Charaktere lernen kann, jedoch kann das natürlich nicht den sehr zweckmäßigen Charakter der Mechaniken verbergen.
Ebenso muss man zugleich beachten, dass Grafikfetischisten hier vermutlich ebenso wenig auf ihre Kosten kommen werden, wie die Freunde großer, langer, umfangreicher Unterhaltung.
Die ganze Gefühlsachterbahn ist nämlich bereits nach einem etwas längeren Samstagnachmittag (ca. 4-5h) schon wieder vorbei. Da die Schönheit des Augenblicks jedoch bekanntermaßen in seiner Flüchtigkeit liegt und der Story dadurch wenigstens nicht das Momentum ausgeht, kann man darüber vermutlich hinwegsehen. Darüber hinaus besitzt das Spiel zudem zwei weitere kleinere Zusatzepisoden als Weihnachtsspecial, die beide zusammen eine gute Stunde dauern und einen durchaus netten Zusatz darstellen.
Ähnlich verhält es sich zudem auch mit der Optik, die zwar mit ihrem Pixellook äußerst zweckmäßig, aber auch gleichzeitig in sich sehr stimmig ausfällt. Vermutlich werden sich hier wie so oft die Geister scheiden. Mir persönlich hat der Look des Spiels meist sehr gut gefallen, auch wenn vereinzelte Abweichungen bei gezeichneten Standbildern minimal gestört haben. Schlussendlich handelt es sich bei der Grafik nun einmal um eine Glaubensfrage nach unzähligen, unterschiedlichen Präferenzen: Person A findet die Optik nett, Person B mag nur 3D-Optik und Person C fasst ein Spiel ohne Grafikeinstellungen gar nicht erst an. Ich möchte dazu lediglich sagen, dass die Grafik der letzte Punkt ist, weshalb man „To the Moon“ nicht spielen sollte.

Fazit: Und am Ende zum Heulen genial
Erinnert sich noch jemand an den Film „The Artist“ mit Jean Dujardin von 2012? Gedreht in Schwarz-Weiß und in 4:3, keine Kamerafahrten, fast vollständiger Verzicht auf Geräusche, Sprache und Musik und dennoch alles in allem einer der besten Filme, die ich jemals in meinem Leben gesehen habe.
Genau wie die Filmbranche brauchen auch Spiele solche mutigen Ansätze, die nur so vor Einzigartigkeit strotzen. „To the Moon“ ist ein solcher Ansatz. Es sind nicht immer die großen, runden Titel, die beeindrucken und in Erinnerung bleiben. Ein solches Spiel mit all seinen Ecken und Kanten, ist, ähnlich wie „The Artist“, auf seinem Gebiet eine Koryphäe und trotz all seiner Eigenheiten schlussendlich ein tolles Erlebnis, wenn nicht sogar ein Spiel, das man gespielt haben muss und dem in Zukunft eine gewisse spielgeschichtliche Bedeutung zukommen könnte. Verdient hätte es das Spiel zumindest, denn auch wenn es eigentlich weniger ist, ist es doch unterm Strich mehr als nur ein Spiel, nämlich eine unschätzbare, einzigartige, beeindruckende Erfahrung voller unvergesslicher Momente.

 


Wertung
Pro und Kontra
  • EINE EINZIGARTIGE ERFAHRUNG
  • überzeugende, emotionale Geschichte
  • liebenswerte Charaktere
  • unzählige, unvergessliche Momente
  • toller Soundtrack
  • relativ kurze Spielzeit
  • zweckmäßige Spielmechaniken

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

zu leicht

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 5, weniger als 10 Stunden



Kommentare(5)
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