Was Rollenspiele 2021 von Dragon Age Origins lernen müssen

Meinung: Moderne Rollenspiele können sich viel von Dragon Age Origins abschauen, findet Elena. Denn schon vor 12 Jahren gelang dem Spiel eine perfekte Mischung.

Wie so ziemlich jeder Mensch auf der Welt liebe ich Filme. Ergreifende Szenen, adrenalingeladene Action, große Gefühle - wenn mich ein Film so richtig in seine Geschichte zieht, ist die Illusion perfekt. Dabei blende ich natürlich aus, dass bei jeder herzzerreißenden Liebesszene eigentlich gerade zwei Dutzend Kameraleute, Regisseure, Gaffer-Tape-Träger und Ausleuchter um das Liebespärchen herumstehen. Andernfalls könnte ich ja kaum einen Film ungestört gucken.

Bei Rollenspielen ist es genau umgekehrt: Bei jedem Rollenspielkampf verstehe ich gerne die Rädchen, Schräubchen und Formeln, die diese »echt« wirkende Klopperei eigentlich am Laufen halten. Ein Pillars of Eternity oder Divinity: Original Sin lebt vor allem von seinen Systemen unter der Oberfläche, den unzähligen Verwebungen und Knoten, all den Werten, die ich bis ins kleinste Detail anpassen kann, damit meine perfekte Party mit den Gegnern den Boden aufwischt.

Aber nicht jedem elegant geknüpften Muster merkt man seine Raffinesse am Ende an. Auch wenn ein Pillars keineswegs schlecht aussieht und nicht mit Effekten geizt, fehlt mir dabei manchmal das gewisse Etwas, das imposante Bild einer Fantasy-Welt voller fremdartiger Magie und brachialer Schlachten, die ich wirklich hautnah erlebe.

Dabei hat ein Spiel schon längst geschafft, beides zusammenzubringen: Dragon Age Origins. Biowares 12 Jahre alles Meisterwerk ist gleichzeitig oldschool und ein modernes Action-Rollenspiel, das leicht zugängliches Action-Feuerwerk und tiefschürfende Taktik perfekt verwebt. Eine Chance, die Action-RPGs wie Diablo längst ergriffen haben, aber reine Rollenspiele komischerweise seit Jahren einfach brach liegen lassen. Damit muss jetzt Schluss sein!

Die Autorin:
Elena hat Dragon Age Origins zwischendurch für mehrere Monate pausiert und danach schön blöd aus der Wäsche geguckt, als ihr plötzlich Begleiter Zevran mit dem Dolch ans Leder wollte. Glücklicherweise konnte sie sich aber auch nicht mehr an ihren Spielstil erinnern, der hauptsächlich aus wildem Draufkloppen in der Third-Person-Perspektive bestand. So lernte sie erst später die taktische Tiefe des Rollenspiels kennen und lieben, als sie Kampfstrategien, Fähigkeitensynergien und mehr voll ausschöpfte.

Smart und sexy

Ein Diablo ist der Inbegriff von »Einfach zu lernen und schwer zu meistern«. Während ich mich anfangs munter per Mausklick durch die Gegner hacke und brutzle, braucht es im Endgame ein viel tieferes Verständnis für Ausrüstung, Klassen und Fähigkeiten - bei Destiny oder Monster Hunter genauso.

Was Action-Rollenspiele und Loot-Spiele längst perfektioniert haben, bekommen Rollenspiele 2021 aber irgendwie immer noch zu selten hin. Ich muss mich entscheiden: Will ich mich dynamisch durch meine Gegner schnetzeln und zaubern, dass die Funken sprühen, wähle ich ein RPG mit Action-Kampfystem wie The Witcher 3. Will ich klug Fähigkeiten austarieren oder meinen Begleitern Befehle geben, greife ich zu einem Pathfinder, Pillars oder Divinity. Zwischen Action und Oldschool gibt es heute fast nichts.

Dabei verschmilzt Dragon Age Origins schon perfekt das komplexe Rollenspiel-Uhrwerk im Inneren mit einem schnittigen Äußeren - wie hier zum Beispiel. Ich pausiere Kämpfe einfach, fliege mit der freien Kamera über das Schlachtfeld, visiere Gegner an, entwickle ein flüssiges Zusammenspiel von Heiler, Tank oder Damage Dealer und jongliere mit Fähigkeiten, Items und Ausrüstung, um ihre Cooldownzeiten und Effekte optimal aufeinander abzustimmen.

Ich bin aber nicht nur Kommandant, sondern kämpfe auch an der Front: Nach der akribischen Planung hindert mich nichts daran, einfach an meine Helden heranzuzoomen. Die brutale Nahkampf-Action lässt mich die wuchtigen Waffenhiebe oder explosiven Zauber direkt am eigenen Leib spüren. Meine Charaktere werden zu Boden geschleudert oder sie zertrümmern selbst einem Gegner mit dem Schild das Gesicht, um sein Schicksal zu besiegeln. Diese erbitterte Gefechte stehen reinen Action-Rollenspielen in nichts nach, fühlen sich durch die Taktikphase vorher aber noch viel befriedigender an, wenn mein Plan aufgeht.

Die Kämpfe in Dragon Age: Origins sind blutig und haben ordentlich Wumms ohne Tiefgang einzubüßen. Die Kämpfe in Dragon Age: Origins sind blutig und haben ordentlich Wumms ohne Tiefgang einzubüßen.

Große Gefühle statt Einkaufsliste

Das ist nicht die einzige Lektion, die sich moderne Rollenspiele von Dragon Age Origins abschauen können. Das schafft es nämlich, selbst belanglosen Nebenaufgaben Leben einzuhauchen, wo es in anderen Spielen nur heißt: Entschuldigung, wo darf ich die 100 Disteln, 14 Dämonenzungen und 67 grünen (nicht die blauen!) Sumpflurchhüpfer abgeben?

Kollege Dimi hat dazu in seiner Plus-Kolumne eine eindeutige Meinung:

Dragon Age Origins verknüpft jede noch so kleine Mission mit einer spannenden Geschichte oder interessanten Details zur Spielwelt. Ich treffe zum Beispiel eine Zwergendame, die unbedingt Magiern werden will - obwohl Zwerge überhaupt nicht zaubern können. Sie will dafür sogar ihre unterirdische Heimat verlassen, auch wenn das bedeutet, dass sie niemals zurückkehren kann.

Auch scheinbar simple Nebenaufgaben sind von spannenden Geschichten und Entscheidungen durchzogen. Auch scheinbar simple Nebenaufgaben sind von spannenden Geschichten und Entscheidungen durchzogen.

Ich muss nur ein wenig rumlaufen, mich durch Dialoge klicken und ein gutes Wort für sie einlegen. Aber ich erfahre dabei so viel über Zwerge, Magier und ihre Lebensweisen, dass mir die Quest bis heute im Gedächtnis bleibt, obwohl sie mich spielerisch weder überrascht noch gefordert hat.

Außerdem respektiert Dragon Age Origins meine Zeit: Ohne DLCs dauert es vielleicht 40 oder 50 Stunden - kein Vergleich zu 70 oder 80 Stunden Minimum, die Rollenspiele teilweise auftischen. Aber diese Spielzeit erkaufen sie sich eben oft durch schnöde Beschäftigungstherapie, die nur das Spiel streckt. Und darauf kann ich gerne verzichten.


Dazu, was überhaupt ein gutes Rollenspiel ausmacht, haben übrigens auch die Entwickler von Elex, Kingdom Come und Baldur's Gate eine starke Meinung.

Eine Rolle, die gespielt werden will

Dragon Age: Origins - Alle Origins-Intros in einem Video Video starten 8:30 Dragon Age: Origins - Alle Origins-Intros in einem Video

Wo wir gerade dabei sind: Den Auserwählten ohne Gedächtnis oder den Wanderer, der zufällig da war und plötzlich als Weltenretter eingespannt wird, will ich auch nicht mehr sehen. In Dragon Age Origins bin ich durch meine eigene Origin-Story wirklich in der Welt verankert, habe einen Platz in ihr und eine Geschichte, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.

Als menschliche Adlige werde ich in einen Strudel aus Intrigen und Verrat gezogen, lerne meine Familie kennen, nur um sie gleich wieder zu verlieren, jage ihren Mörder und werde am Ende vielleicht sogar zur Königin gekrönt. Was für ein himmelweiter Unterschied, wenn man sich mein Leben als Stadtelfe anschaut. Ich bin arm wie eine Kirchenmaus, werde verachtet von den Menschen und könnte nie zur Königin aufsteigen - selbst eine Romanze mit dem zukünftigen Herrscher macht mich nur zu einer Konkubine.

Dragon Age Origins lässt mich das ganze Spiel über meine Herkunft spüren. Das ist nicht immer schön, ärgert und frustriert mich manchmal sogar. Aber es macht mir eben auch bewusst, dass ich nicht über allem stehe. Ich muss mich den Regeln der Welt immer wieder unterwerfen. Umso magischer sind dann aber die Momente, in denen es mir doch gelingt, sie zu brechen und etwas zu verändern.

Dabei spielen natürlich auch die Entscheidungen, die ich später treffe, eine entscheidende Rolle. Worauf es dabei ankommt und warum wir oft beim zweiten Durchlauf genauso handeln, erfahrt ihr bei GameStar Plus:

Rollenspiel-Zwang: Warum wir beim zweiten Durchlauf oft dieselben Entscheidungen treffen Video starten PLUS 31:50 Rollenspiel-Zwang: Warum wir beim zweiten Durchlauf oft dieselben Entscheidungen treffen

Für mich müssen sich Rollenspiele jetzt früher oder später fragen, wo die Reise hingeht. Wo wollen sie sich zwischen oldschool und modern einordnen? Ein Dragon Age Origins ist letztlich ein Kind seiner Zeit. Es denkt einfach weiter, was Knights of the Old Republic und Co. begonnen haben und markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der RPGs.

So ein Spiel brauchen wir nun wieder, wenn Rollenspiele nicht langsam aber sicher zu reinen Action-Adventures mit Loot-System und Skills verkümmern wollen oder sich nur in Oldschool-Nostalgie verlieren.

Welche neuen Rollenspiele euch 2021 überhaupt erwarten, lest ihr in unserer großen Übersicht:

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