Was ist eigentlich ein Rollenspiel? Mit der Diskussion um diese Frage könnte man diesen Artikel und vermutlich die gesamte GameStar-Startseite füllen. Grenzen wir es also ein bisschen mehr ein: Wie viel Entscheidungsfreiheit muss mir ein gutes Rollenspiel für meine Hauptfigur liefern?
Dragon Age: The Veilguard spaltet in dieser Debatte gerade Fans wie Kritiker in mehrere Lager. Während viele bemängeln, dass Rook nicht mal richtig unhöflich sein kann, loben andere, dass sich der Charakter dadurch wie ein fester Teil der Welt statt wie ein leeres Blatt Papier anfühlt.
Gleich vorweg: Wir werden hier nicht entscheiden, was »besser« ist – das läuft am Ende zu sehr auf persönlichen Geschmack hinaus. Stattdessen schauen wir uns genau an, wie verschiedene Rollenspiele mit der Freiheitsfrage umgehen und welche Vor- und Nachteile die unterschiedlichen Philosophien haben.
Wie viel Freiheit hat Rook in Veilguard?
Was den Hintergrund angeht, bietet Veilguard ziemlich viel Freiheit: Die gewählte Fraktion und teilweise auch die Klasse wirken sich spürbar auf Dialoge und Party-Geplauder aus und bestimmen, wie wir uns mit welcher Gruppe verstehen. Auch in Sachen Aussehen und Gender-Identität haben wir mehr Optionen als in den meisten anderen Rollenspielen – Rook kann zum Beispiel ausdrücklich trans sein, was in den Vorgängern unmöglich war.
Im eigentlichen Spiel dagegen ist die Einschränkung deutlich stärker als in Origins, Dragon Age 2 und Inquisition. Rook kann nicht unfreundlich sein, geschweige denn richtig böse. Stattdessen ist die Figur immer der Kleber, der das Team zusammenhält. Ein Gute-Laune-Macher, jemand, der andere aufbaut. Je nach Dialogoption mit Wärme, Humor oder klaren Worten.
Nur selten können wir tatsächlich egoistische oder unmoralische Entscheidungen treffen. Etwas, das in den Vorgängern und auch in Mass Effect möglich war (die Schwächen des Vorbildlich-Abtrünnig-Systems sind wieder ein anderes Thema). Viele Kritiker und auch treue Dragon-Age-Fans bemängeln das und vermissen die Freiheit, auch einen grummeligen Anti-Helden zu spielen.
Warum hat sich Bioware also ausgerechnet dafür entschieden? Um das zu verstehen, schauen wir uns mal ein paar prominente Rollenspiele zum Vergleich an.
Himmelweite Unterschiede
Das Paradebeispiel für nahezu unbegrenzte Freiheit bei der eigenen Charakterentwicklung ist natürlich Baldur's Gate 3. Hier könnt ihr jede Rolle ausleben, vom strahlenden Helden bis zur mordlustigen Oberschurkin. Allerdings verfolgen beide Spiele auch ein ganz anderes Ziel, was ihre Story angeht.
Wo Baldur’s Gate 3 uns mit den Worten »Tob dich aus!« in einen riesigen Sandkasten voller miteinander verwobenen Geschichten schickt, will Veilguard seine Story auf eine ganz bestimmte Art erzählen. Das funktioniert nur, wenn Rook das Herz des Teams darstellt und mit allen Begleiterinnen und Begleitern klar kommt: Die eingeschworene Truppe soll unerschütterlich gegen eine göttliche Übermacht antreten und sich eben nicht untereinander zerstreiten.
Im einen Ansatz steht Freiheit im Vordergrund, im anderen die Story eines relativ stark vorgegebenen Charakters. Grob lassen sich auch andere Rollenspiele in diese Kategorien einordnen:
- Freie Charakterentfaltung: Divinity: Original Sin, Elder Scrolls, Fallout, Starfield, Disco Elysium …
- Festgelegter Charakter: The Witcher, Cyberpunk 2077, Gothic, Final Fantasy, Persona …
Natürlich in unzähligen Nuancen. Oft (nicht immer!) geht größere Freiheit beim Ausgestalten des eigenen Charakters auf Kosten einer packenden Hauptstory. Viele Bethesda-Spiele sind unrühmliche Beispiele dafür.
Ein spannender Vergleich lässt sich zwischen Veilguard und Cyberpunk 2077 ziehen: Für V sind viele Dinge im Interesse der Story ebenfalls vorgegeben, auch wenn der Tonfall deutlich rotziger ausfallen darf. Auf viele Reaktionen und Antworten von V haben wir als Spieler aber gar keinen Einfluss, zum Beispiel darauf, wie emotional er oder sie auf die Nachricht vom Mörderchip im Gehirn reagiert. Stoisch ist nicht, das würde den von den Autoren gewünschten emotionalen Moment zerstören.
Cyberpunk 2077 fühlt sich trotzdem deutlich freier an, weil V insgesamt interessantere Gespräche führen und spannende Entscheidungen treffen darf als Rook. Zudem ist die Reihenfolge der Hauptmissionen nicht linear vorgegeben wie in Veilguard, was ebenfalls das Gefühl von Entscheidungsfreiheit steigert.
Die Vorteile von festgelegten Charakteren
Was festgelegte Charaktere wie etwa V und Rook gemeinsam haben: Sie fügen sich nahtlos in die Welt ihres jeweiligen Spiels ein. Man spürt, dass sie dort bereits ein Leben vor der Spiel-Story geführt haben, dass sie bestimmte Erfahrungen mitbringen.
Dadurch, dass Rook ein vorgegebener Charakter ist, kann Bioware eine stimmige Geschichte erzählen, in der klare Motivationen feststehen. Niemand muss sich im Kopf zurechtbiegen, warum die Figur mal so und dann wieder ganz anders reagiert oder warum manche Reaktionen der Welt so gar nicht zu unseren Entscheidungen passen.
Das macht es im Fall von Veilguard natürlich auch einfacher und damit ressourcenschonender, Rooks intensives Verhältnis zu den Gefährten kontrolliert aufzubauen. Große Streits sind nur im vorgesehenen Story-Rahmen möglich, niemand wird die Gruppe dauerhaft verlassen, deshalb kann zum Beispiel ein Lucanis sicher für wichtige Schlüsselmomente eingesetzt werden. Mass Effect 3 musste da stellenweise mächtig jonglieren und etwa den armen Captain Kirrahe engagieren, wenn Thane in Teil 2 verstorben war. Das nahm der Story dann leider viel emotionale Wucht (nichts gegen Kirrahe).
Die Nachteile von festgelegten Charakteren
Die Vorteile haben natürlich ihren Preis: Man muss für The Veilguard einfach akzeptieren, dass Rook kein Held von Ferelden, kein Inquisitor und auch kein Hawke ist (wobei letzterer noch am nächsten ran kommt). Gestaltungsfreiheit gibt’s nur in Details, da lässt sich das Spiel nicht verbiegen. Das stört für viele die Immersion.
Ein großes Risiko von festgelegten Charakteren ist auch immer, dass sie nicht jedem sympathisch sein werden. Je stärker ausgeprägt die vorgegebenen Eigenschaften sind, desto höher die Chance, dass ein Teil der Fans abgeschreckt wird. Wer etwa ironische One-Liner und die positive Energie eines Golden Retrievers nicht mag, wird über Rook nur den Kopf schütteln.
Und wer gewinnt jetzt? Das entscheidet am Ende ihr. Nicht die befriedigendste Antwort, aber wir können und wollen euch natürlich keinen persönlichen Geschmack vorschreiben. Wenn ihr zu diesem Thema Redebedarf habt, stimmt sehr gern hier ab, welche Art von Rollenspiel ihr bevorzugt!
Schreibt uns gern auch in die Kommentare, ob ihr grundsätzlich lieber unbeschriebene Blätter als Hauptcharakter haben wollt, weil ihr euch gern frei entfaltet. Oder ob ihr eher bevorzugt, eine vorgegebene Rolle einzunehmen, die dafür eine stimmigere Story erzählt? Vielleicht kennt ihr auch Beispiele, die das beste aus beiden Welten vereinen – höre ich da Disco Elysium?
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