Seite 2: Experimentelle Spiele - Alles außer gewöhnlich

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The Stanley Parable

Entwickler: Galactic Cafe Preis: 15 Euro (Steam) Worum geht's: Als Büro-Drohne Stanley erleben wir eine Parabel über die Natur des Spielens und die Freiheit des Spielers.

Jochen Gebauer: The Stanley Parable lässt sich nicht beschreiben. Müsste ich es trotzdem tun, zum Beispiel, weil ich mich in einem Augenblick der Selbstüberschätzung dazu überreden ließ, dann würde ich es folgendermaßen versuchen: Stellen Sie sich Portal vor, und denken Sie sich anschließend das Spiel weg. Natürlich wäre das bestenfalls eine grobe und möglicherweise sogar irreführende Annäherung, aber wenn ich Ihnen erklärte, wie The Stanley Parable funktioniert, dann brauchten Sie es nicht zu spielen - und das sollten Sie, denn es ist ein wunderbares, ja wegweisendes Un-Spiel, das es unbedingt verdient hat, genossen zu werden. Falls Ihnen mal wieder jemand erzählt, dass Spiele keine Kunst seien, dann haben Sie meinen Segen, ihm The Stanley Parable kräftig über den engstirnigen Schädel zu ziehen.

»Oje«, könnten nun all jene seufzen, die im Deutschunterricht systematisch mit Brecht, Fontane und Lessing malträtiert wurden, weil deutsche Lehrplangestalter immer noch dem Irrtum erliegen, man könne Jugendlichen den Sinn für Kunst einfach einprügeln, wenn man es nur lange genug versucht, »so ein Spiel ist das also«. Und ja, so ein Spiel ist das tatsächlich.

Man kann The Stanley Parable nämlich problemlos als Metapher auf das Spielen an sich begreifen, als Auseinandersetzung mit der Frage, ob und inwiefern sich Spieler in einem virtuellen Raum sinnvoll ausdrücken können, wenn ein omnipräsenter Autor alle Möglichkeiten schon im Vorfeld durchdekliniert hat. Aber das muss man nicht. Man kann mit The Stanley Parable auch einfach schrecklich viel Spaß haben. Denn dieses von Designer Davey Wreden ursprünglich als Source-Mod konzeptionierte Experiment ist mitunter zum Brüllen komisch - und vom englischen Synchronsprecher Kevan Brighting in der Rolle des gönnerhaften Erzählers so atemberaubend gut vertont, dass die Parallelen zu Portal keine leere Übertreibung sind.

The Stanley Parable - Screenshots ansehen

Aber worum geht's überhaupt? Nun ja: Stanley arbeitet in einem Büro und gibt Zahlen in den Computer ein, jeden Tag, ohne zu fragen, warum, Lost lässt grüßen. Eines Tages allerdings bleibt sein Bildschirm schwarz, und Stanley wundert sich: Was ist passiert? Und wo sind seine ganzen Kollegen geblieben? An dieser Stelle setzt das eigentliche Spiel ein - wobei »Spiel« zu viel gesagt ist, denn tatsächlich interagieren kann ich nur selten.

Stattdessen steuere ich Stanley in der Ego-Perspektive durch die seltsam verlassenen Büroräume, bestaune herrlich absurde Power-Point-Präsentation und lausche dem Erzähler aus dem Off, der mir sanft, aber nachdrücklich eine bestimmte Route vorgeben will. Seinen Reiz bezieht The Stanley Parable aus dem Umstand, dass ich diesen »Regie-Anweisungen« folgen kann, aber nicht muss - und aus den aberwitzig-brillanten Situationen, die natürlich genau dann entstehen, wenn ich das Gegenteil von dem mache, was dieser Erzähler gerade von mir will. Ein Durchgang dauert übrigens rund 15 Minuten; je nachdem, welchen Weg man dabei einschlägt, mündet das Ganze in unterschiedlichen Auflösungen, aber ein »richtiges« Ende existiert nicht: Nach jedem Durchgang sitzt Stanley wieder in seinem Büro, das Spiel beginnt von vorne, und ich kann (und will!) ausprobieren, was wohl passiert, wenn ich mich an dieser oder jener Stelle anders entscheide.

Nein, man kann The Stanley Parable nicht angemessen beschreiben, auch wenn ich gerade 500 Wörter auf das hoffnungslose Unterfangen verwendet habe, es trotzdem zu versuchen. Wie sollte ich auch von jenen Situationen erzählen, in denen ich staunend, breit grinsend oder völlig verdattert vor dem Bildschirm saß, ohne unweigerlich die magischen Momente zu verderben? Wie soll ich erklären, dass mich seit Jahren, seit Portal, um genau zu sein, kein Spiel mehr auf eine so wunderbar-kindliche Weise überrascht hat, ohne diese Überraschung zu entzaubern?

Dieses Stanley Parable muss man selbst erleben, denn es ist ein Vergnügen, wie es sie in diesem Medium (noch) viel zu selten gibt: ein kluges, mutiges, bemerkenswertes Experiment über die Natur des Spielens und die Rolle des Spielers. Aber wie gesagt: So muss man es nicht begreifen. Man kann mit The Stanley Parable auch einfach schrecklich viel Spaß haben. Ich jedenfalls hatte ihn. Oh, und wie ich ihn hatte.

Wer soll's spielen: Jeder. Oder wenigstens die meisten. Immerhin solche mit Humor.

Wer soll's lassen: Ewiggestrige, die immer noch behaupten, Spiele können keine Kunst sein.

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