Am Anfang war die Runde. Was für Strategietitel gilt, trifft auf Rollenspiele ebenso zu. Vom Gründungsvater Ultima über die Might & Magic-Reihe bis zu Fallout bedeutete ein Kampf immer: Rundentaktik. An diese (für manche glorreichen) Rollenspiel-Zeiten erinnert Grotesque Tactics vom deutschen Independent-Entwickler Silent Dreams. Online gibt es das Spiel bereits seit Anfang des Jahres, nun kommt Grotesque Tactics als Premium Edition samt deutschsprachiger Vollvertonung und neuen Quests auch in die Läden.
Seltsame Helden
Schon mit dem Helden macht Grotesque Tactics klar, dass die Groteske aus dem Titel eher augenzwinkernde als bierernste Fantasy verspricht: Drake ist ein gescheiterter Emo, der sich zu Spielbeginn das Leben nehmen will. Es kommt anders als gedacht, und bald ist er der Anführer einer bis zu zehnköpfigen, reichlich kuriosen Party. Ihnen zur Seite stehen zum Beispiel liebestolle, aber verblödete Jungfrauen in ultra-knappen Kleidungsfetzen, ein hinterhältiger Goblin-Dieb oder der strahlende Superheld Holy Avatar, dessen fatale Selbstüberschätzung sehr an Captain Zapp Brannigan aus Futurama erinnert (ebenso wie sein Umgang mit dem weiblichen Geschlecht). Jeder Charakter übernimmt dabei eine unterschiedliche Klasse. Während die Jungfrauen als Bogenschützinnen agieren, mimt eine französelnde Vampirin die Magierin und Drake oder Holy Avatar den Nahkämpfer.
Gemeinsam stellen Sie im Fantasy-Reich Glory nicht nur der ominösen Dark Church nach, sondern auch Gegnern wie Riesenpilzen, verwunschenen Besenstielen oder Säbelzahnhasen. Sie merken: Grotesque Tactics nimmt sich nicht ernst, es versteht sich als Parodie auf die gängigen Fantasy-Rollenspiel-Klischees und geizt dabei auch nicht mit direkten Anspielungen auf Vorbilder wie Ultima (»Lord British«) oder Oblivion (die Gemälde-Quest). Auch wenn dabei nicht jeder Witz ein Feuerwerk des Lachens zündet, erzeugen die meisten doch zumindest ein Dauergrinsen, das sich nach einigen Stunden Spielzeit auch in der Gesichtsmuskulatur bemerkbar macht. Vor allem der Griff zur vollvertonten Premium Edition lohnt sich hier, da die amüsanten Kabbeleien der Party durch professionelle Synchronsprecher ausgezeichnet eingesprochen wurden. Gerade die Zoffereien der notgeilen Jungfrauen werden noch Tage in Ihrem Ohr hängen bleiben.
Grotesque Tactics - Screenshots ansehen
Rollenspiel + Strategie
Mit Ihrer Party ziehen Sie in Grotesque Tactics über nicht allzu weitläufige, in Quadrate unterteilte, Landschaften. Am Wegesrand warten dabei Truhen, Schätze oder Extraleben. Letztere brauchen Sie ausschließlich für den Fall, dass Drake oder Holy Avatar das Zeitliche segnen, da sie ansonsten den letzten Spielstand laden müssen. Verstirbt ein anderes Gruppenmitglied, können Sie dieses nach der Rückkehr in Ihre Basis im Dorf Station Wish gegen Gebühr wiederbeleben. Dort warten auch Händler und vor allem Questgeber auf sie. Für beide gilt: Das Angebot fällt eher dürftig aus.
Grotesque Tactics ist eine recht linear Mischung aus Strategie- und Rollenspiel, wobei der Akzent klar auf den Taktikkämpfen liegt. Das Rollenspielsystem dient als motivierende Verpackung, erreicht aber weder sonderlich viel Tiefgang noch große Entscheidungsfreiheit. Zumeist erhalten Sie nur eine oder zwei Aufgaben gleichzeitig, auch die Zahl der Items ist sehr begrenzt. Ebenso dürr bleibt das Charaktersystem, dessen wenige Grundwerte Sie nicht einmal direkt beeinflussen können. Stattdessen steigen die Charaktere selbständig auf und schalten mit der Zeit zwei individuelle, mächtige Spezialfähigkeiten frei. Während Holy Avatar dann ganze Gruppen zerschmettert, vergiftet unsere Vampirin den Feind, der Goblin-Dieb Rukel betäubt einzelne Gegner. Individualisierungsmöglichkeiten, Talentbäume oder dergleichen suchen Sie vergeblich, was den Wiederspielwert drastisch senkt. Dafür hält sich die einmalige Spielzeit mit 12 bis 14 Stunden in einem durchaus vertretbaren Rahmen.
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