Wolfgang cheatet immer!
Zwei Runden später knacken meine Renault-Panzer endlich Wolfgangs Luftabwehr-Truck, der dank seiner vielen Einsätze die höchste Erfahrungsstufe hatte und zur tödlichen Fliegerklatsche wurde. Denn auch das spielt in die Gefechte mit rein: Erfahrene Einheiten richten mehr Schaden an und stecken mehr ein. Dazu kommt die Geländebeschaffenheit: Wälder bieten prima Deckung, Straßen hingegen sind gepflasterte Präsentierteller.
Umzingelte Truppen kassieren deutlich mehr Schaden - das »Klemmen« ist eine wichtige Taktik im Spiel. Auch die Waffenreichweite entscheidet, eine schwere Artillerie feuert zum Beispiel sechs Felder weit, muss aber nach der Bewegung eine Extra-Runde pausieren, bevor sie schießen darf. Außerdem ist sie gegen Nahangriffe wehrlos, und auf maximale Distanz weniger durchschlagend.
All diese Faktoren werkeln nur im Programmcode vor sich hin, wir Spieler kriegen davon gar nichts mit. Stattdessen muss ich selber abwägen, ob mein Panzerabwehrgeschütz Wolfgangs Sturmpanzerwagen, eine Art Schuhkarton auf Ketten, alleine knackt - oder ob ich lieber mit meiner Gruppe Saint Chamonds nachhelfen sollte. Saint Chamond? Klingt wie eine bretonische Käsesorte aus der Fernsehwerbung, ist aber ebenfalls ein Sturmpanzer. Diese Franzosen! Sogar für ihre Stahlsärge haben sie noch romantische Namen. Und wie nennen die ordentlichen Deutschen ihr Ungetüm? A7V!
Realistische Truppen
Doch in der Einzelspieler-Kampagne mit ihren 24 Missionen kommen die moderneren Truppentypen erst nach und nach dazu. Anfangs bin ich noch mit ein paar Infanteristen sowie leichten, mittleren und schweren Geschützen unterwegs. Meine Kavallerie ist zwar schwächer als die ersten Panzerwagen, aber dafür können die Reitertruppen ja Depots, Fabriken und sogar das Hauptquartier erobern.
Allerdings bekommen es die tapferen Fußtruppen und Kavalleristen mit immer mächtigeren Gegnern zu tun, fast jede Mission wirft neue Truppentypen ins Spiel, vor allem Flieger und Tanks. Ein Eisenbahngeschütz oder Schlachtschiff kann einen ganzen Trupp mit einem Feuerschlag aufreiben, sodass ich ständig Hexfelder abzähle: Ist meine Elite-Infanterie ganz, ganz sicher nicht in Feuerreichweite?
Hilfestellung gibt mir das Spiel dabei null - Felder in feindlicher Schussweite lassen sich nicht anzeigen, ungefähre Vorab-Kampfergebnisse genauso wenig. Das ist aus heutiger Sicht völlig ungewohnt, ja geradezu archaisch. Macht aber auch heute noch verdammt viel Spaß, weil ich wirklich bei jedem Scharmützel mitfiebere!
Die Verbindung aus ungewöhnlichem Zugmodus und spannenden Gefechtsanimationen gab's zwar fast identisch schon in Battle Isle, doch das Weltkriegs-Setting setzt noch einen oben drauf: Die Verzahnung der Truppengattungen ist deutlich stärker, die immer neuen Panzer- und Fliegertypen motivieren zusätzlich. Außerdem ist das Thema Erster Weltkrieg damals (und heute!) recht stiefmütterlich behandelt, weil sich alle Publisher auf den Zweiten stürzen.
Spielend lernen
Und noch etwas fesselt uns: »Durch Historyline wurde mir mehr Wissen zum Ersten Weltkrieg vermittelt, als in meiner gesammelten Schulzeit.« So urteilt Power Play-Redakteur Christian von Duisburg in Ausgabe 12/92 - und liegt damit goldrichtig. Denn auch das schafft das Strategiespiel: Hintergrundinformationen zu liefern, statt nur trockene Datumsangaben abzuspulen.
Ganz ohne erhobenen Zeigefinger bekomme ich nach jeder gewonnenen Mission Schlagzeilen-Meldungen, was in den zwei Kriegsmonaten rund um den Einsatz passiert ist. Ich erlebe in diesen kurzen Texten quasi mit, wie der geplante schnelle deutsche Vorstoß in einem zermürbenden Stellungskrieg endet.
Wie an der West- und Ostfront monatelang um winzige Geländeabschnitte gekämpft wird. Wie der europäische Konflikt zum Weltkrieg mutiert - von der Blockade des Panamakanals durch US-Präsident Wilson, vom deutschen Einmarsch auf die Krim (!), vom Heiligen Islamischen Krieg, den Sultan Mehmed V gegen die Alliierten ausruft.
Ich erfahre aber auch, wie sich die Entscheidungen der Herrschenden auf die Bevölkerung auswirken: In Bayern wird wegen des Getreidemangels der Verzehr von Weißbrot beim Bier verboten (man beachte die Prioritäten!), und gegen Kriegsende dürfen Frauen keine Hosen tragen, sondern nur Kleider - was allerdings weniger mit dem Krieg zu tun hat als mit dem Konservatismus im lederhosen-dominierten Bavaria. Und Anfang 1917 scrollt eine Meldung über den Schirm, die wie aus einer anderen Zeit gefallen zu sein scheint: Buffalo Bill ist tot.
Historyline 1914-1918
Genre: Strategiespiel
Entwickler: Blue Byte
Quelle:Gog.com
Sprache: Englisch
Minimum: 286er mit 580 KB DOS-Memory
Fazit: In Würde gealtert: Auch nach 22 Jahren sind die Sechseck-Schlachten richtig rund.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.