Noch nicht politisch genug?
Auf der Flucht finden Sean und Daniel aber auch unerwartete Hilfe. Ein Mann namens Brody fühlt sich in mancherlei Hinsicht wie das Sprachrohr der Autoren an, wenn er Sean die Worte mit auf den Weg gibt, in deren Zeichen die gesamte Episode zu stehen scheint: "Alles ist politisch".
Aber stimmt das? Wie politisch ist Life is Strange 2 tatsächlich? Es ist beileibe keine politische Abhandlung. Lange Strecken des Spiels sind im Grunde ein Roadtrip durch die Wälder Amerikas, es geht ums simple Überleben. Politische Probleme spielen erst dann eine Rolle, wenn Sean und Daniel persönlich damit konfrontiert werden.
Man könnte Life is Strange 2 also durchaus vorwerfen, nicht weit genug zu gehen. Es lässt mich erleben, was die amerikanische Gesellschaft spaltet, aber es beleuchtet weder tiefergehend die Ursachen der Spaltung noch zeigt es Lösungen auf. Zumindest nicht in Episode 1. Aber ich finde: Das muss es auch nicht.
Die größte Stärke von politischen Spielen
Politische Bücher und Filme gibt es zuhauf - aber was Spiele besser können als jedes andere Medium, ist mich die Welt aus der Sicht eines Anderen sehen zu lassen. Den hier lese ich nicht über andere Menschen, ich schlüpfe aktiv in ihre Rolle. Das allein kann ein enorm wertvoller Beitrag zu einer Debatte sein, in der viele Menschen in ihrer eigenen Sichtweise festgefahren sind.
Einmal müssen wir in Life is Strange 2 etwa die moralische Entscheidung treffen, ob wir für unseren kleinen Bruder stehlen wollen. Mich hat es enorm irritiert, als ich mich dagegen entschied und mich dann trotzdem jemand als Dieb einknasten wollte - ich hatte doch die richtige Entscheidung getroffen und nichts geklaut, was soll das also? Ignoriert das Spiel meine Handlungen? Schlechtes Storytelling!
Bis es Klick machte: Das passiert gerade, weil ich in diesem Spiel jemandem verkörpere, dem das sehr wohl passieren könnte - der anders aussieht, "verdächtig". In der Regel lassen mich Spiele eher Traumrollen spielen. Den edlen Ritter, den großen Weltraumhelden, den coolen Assassinen. Und klar, immer her damit! Ich will keinem Spiel verbieten, einfach nur Eskapismus und Unterhaltung zu sein.
Aber das Medium wäre längst weit genug, sich häufiger mal an die Fragen zu trauen, die uns auch in der echten Welt bewegen. Life is Strange 2 gelang es dadurch, mich zu berühren wie selten ein anderes Spiel. Es bleibt abzuwarten, ob das Spiel diesen Kurs für die künftigen Episoden halten wird. Aber ich hoffe es!