Abgestumpft durch Dauerfeuer
Mit diesem Problem hat auch Modern Warfare 3 zu kämpfen: Trotz aller Explosionen und Katastrophen fehlen echte Highlights. Um Spannung und Action noch weiter nach oben zu treiben, muss jede Cutscene spektakulärer sein als die letzte. Und das Finale setzt am besten noch eins drauf.
Vor allem Letzteres gelingt dem eigentlich sehr guten The Witcher 2 nicht, der dünne dritte Akt und das arg trocken inszenierte Ende enttäuschen. Für den Spieler ist das unbefriedigend, da das Spiel die immensen Erwartungen, die der spektakuläre Einstieg geweckt hat, letztlich nicht erfüllen kann. Ähnliche Probleme hat auch Mass Effect 2, dessen Ende deutlich weniger eindrucksvoll ausfällt als das des Vorgängers. Aber womit will uns Bioware auch noch schocken, wenn Commander Shepard bereits zum Beginn des Spiels stirbt und wiederbelebt wird?
Wir haben doch keine Zeit
Neben der Erzählung verläuft auch die Einführung in die Spielwelt immer gehetzter. Da innerhalb der ersten Stunde möglichst viel passieren soll, muss auch die Vorstellung des Universums rasch über die Bühne gehen: »Du bist der Held, das ist deine Aufgabe. Und jetzt fang an!« Damit es dabei nicht zu Verwirrung kommt, ist die Welt immer öfter selbsterklärend.
Nicht zuletzt aus diesem Grund sind viele Titel im Zweiten Weltkrieg oder in einer der (zumindest zum Teil) austauschbaren Fantasy-Welten angesiedelt. Spiele wie Morrowind, in denen man eine ganze Weile lang überhaupt nicht kapiert, was eigentlich los ist, wirken dagegen altmodisch. Ganz zu schweigen von Outcast, in dem ich mit dem Soldaten Cutter Slade auf eine Alien-Gesellschaft mit eigener Sprache treffe. Viele Begriffe muss ich mir erst mühsam aneignen, bevor ich die Zusammenhänge begreife und die Geschichte nachvollziehen kann.
Woran liegt es dann aber, dass Spieler noch heute von Outcast schwärmen? Dass sie begeistert erzählen, wie sie einen ganzen Nachmittag damit verbracht haben, in Morrowind Bücher zu lesen? Beide Titel spielen in sehr reichhaltigen Universen, deren Hintergründe und Zusammenhänge man erst nach und nach freilegt und sich selbst erarbeiten muss. Mit der Zeit wird man zum Eingeweihten, der sich in der Spielwelt wie in seiner Westentasche auskennt und selbst über ihre Vorgeschichte Bescheid weiß. Man wird zum Teil eines großen Ganzen.
In der Spielwelt zuhause
Darin liegt auch die Grundfaszination von Skyrim: Je mehr ich über Himmelsrand erfahre, desto heimischer fühle ich mich dort. Und je mehr Bücher ich lese, desto mehr merke ich, dass die Elder Scrolls-Welt keine leere Hülle, sondern ein gewachsenes Universum ist, ein Universum mit Geschichte. Diese Welt ist es wert, gerettet zu werden. Reißbrett-Reiche sollen von mir aus untergehen.
Neben den Spielwelten verlieren allerdings auch die Helden selbst an Tiefe. Oft beginne ich bereits als kampfstarker Weltenretter, zum Beispiel in Dragon Age 2, wo der frisch gebackene Recke bereits ein weihnachtsbaumgroßes Schwert schwingt. Klar, es soll von der ersten Minute an knallen, Gefechte der Marke »Halbes Hemd gegen Ratte« stören da nur. So geht jedoch Faszination verloren, denn durch das langsame Hochleveln werden zum einen meine späteren, übermenschlichen Fähigkeiten glaubwürdiger, zum anderen steigt die Identifikation mit dem Helden.
Björn Pankratz bringt es auf den Punkt: »Es ist das Märchen vom jungen Knaben, der auszieht, um das Fürchten zu lernen, und am Ende die ganze Welt rettet.« Das hat bei den Gebrüdern Grimm funktioniert und funktioniert auch heute noch.
Aufwand vs. Nutzen
Bei der Handlung gilt die Faustregel: »Je einfacher meine Erzählmittel, desto mehr ›Netto-Geschichte‹ kann ich bei gleichem Aufwand rüberbringen.« Einen Charakter in der Spielwelt zu platzieren und mit Dialogzeilen zu füttern, geht schneller und einfacher, als eine entsprechende Cutscene zu choreographieren. Der Umkehrschluss: Wenn ein Entwickler bei der Präsentation vor allem auf Zwischensequenzen setzt, können dafür weniger wichtige, aber die Glaubwürdigkeit der Spielwelt unterfütternde Elemente wegfallen – schließlich sind die Kapazitäten eines Studios begrenzt.
So gibt es etwa im ersten The Witcherdeutlich mehr Passagen, die die Spielwelt anreichern als im filmlastigen Nachfolger, weshalb das erste Hexer-Abenteuer epischer wirkt. Man denke nur an den Gärtner in Vizima, der Kriegsgeschichten erzählt. Für die Haupthandlung ist das belanglos, für den Tiefgang des Universums hingegen essentiell. Das lässt sich mit einem Roman vergleichen, in dem ich meine Geschichte auf Hunderte Seiten auswalzen kann. Ich kann Szenen ausschmücken und Nebenfiguren hineinpacken. Bei der Verfilmung eines Buches muss ich hingegen genau auswählen, was gezeigt wird und was nicht. Deswegen geben Filme wie Der Herr der Ringe nur einen Bruchteil der Papiervorlage wieder.
Kein Wunder also, dass die ersten storybetonten Spiele interaktive Bücher waren, also Text-Adventures: Ich lese, gebe einen Befehl ein, und lese dann weiter. Selbst spätere Abenteuer wie Baldur’s Gate (1998) und Planescape Torment(2000) vermitteln ihre Geschichten weiterhin zum Großteil in Textfenstern und entwickeln eben dadurch eine derartige erzählerische Tiefe, dass sich Spieler bis heute daran erinnern. Darauf folgten dann erst die Vollvertonung und nun die zunehmend filmhafte Inszenierung. So entfernt sich das Medium Spiel immer weiter vom Buch und nähert sich dem Medium Film an – mit allen Vor- und Nachteilen.
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