Seite 3: Zufallsgenerierte Spielwelten - Das Spiel mit dem Zufall

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Zufall ist genau das, was kleine Studios brauchen

Diese ehrliche Euphorie für vergangene und zukünftige Träume, die dank prozeduraler Generierung plötzlich greifbar scheinen, kann aber über eines nicht hinwegtäuschen: Dass sie ihren aus der Not geborenen Charakter bis heute nicht völlig abgelegt hat. Der Journalist und Gamedesigner Jim Rossignol arbeitet mit seinem Studio Big Robot an Sir, You Are Being Hunted, einem von Stalker inspirierten Shooter, in dem der Spieler von Gentlemen-Robotern gejagt durch britische Landschaften flüchten muss.

»Prozedurale Generierung«, so Rossignol, »ist zweifelsohne ein mächtiges Werkzeug. Was sie leisten kann, ist längst noch nicht vollständig ausgelotet.« Sein Spiel leistet zumindest einen kleinen Beitrag dazu: Die Moore, Städte und Hügel, in denen die Menschenhatz stattfindet, sind zufallsgeneriert. Ein wichtiger Grund dafür war, wie Rossignol bereitwillig einräumt, tatsächlich eine Beschränkung – allerdings nicht bei der Hardware, sondern bei den verfügbaren Ressourcen.

Das via Kickstarter finanzierte Sir, You Are Being Hunted ist ein sehr ehrgeiziges Projekt für ein unabhängiges Kleinststudio wie Big Robot – ohne prozedurale Generierung hätte es schlicht nicht realisiert werden können. »Der Zufall kann Unmengen von Inhalten prozieren – genau das, was kleinere Studios brauchen, um ihre Ziele umzusetzen«, erklärt Rossignol.

Der Aufschwung der prozeduralen Generierung geht also Hand in Hand mit dem Indie-Boom der letzten Jahre – vordergründig finden sich Zufallselemente fast ausschließlich in Spielen kleinerer, unabhängiger Studios. Die wenigen Spiele aus dem AAA-Bereich, die offen auf den Zufallsfaktor setzen, lassen ihn meist nur zaghaft zum Zug kommen: »Ich war wirklich aufgeregt, als Valve ankündigte, sie würden in Left 4 Dead 2 die Level prozedural verändern. Aber das kam vielleicht an zwei, drei Stellen zum Einsatz und machte kaum einen Unterschied«, bedauert Chris Park.

Dabei ist es durchaus erstaunlich, dass die großen Studios der prozedurale Generierung nur ungern eine tragende Rolle geben. Denn sie ist ihnen keineswegs fremd: Für Spiele wie Skyrim oder Far Cry 3 wurden die Landschaften auf diese Weise erschaffen – ein übliches Vorgehen im AAA-Bereich. Im Gegensatz zu Rogue und Konsorten bemühen sich diese Spiele aber, den Zufallsfaktor möglichst zu vertuschen: Die Berge, Hügel und Dschungel entspringen zwar Algorithmen, aber sie werden anschließend vom Team kontrolliert und überarbeitet. Die Landschaften werden also nicht auf dem Rechner des Spielers generiert, dem letztlich eine zwar schönere, aber starre Welt präsentiert wird.

Proteus: Beobachten, zuhören, spazieren: Proteus von Ed Key und David Kanaga ist ein ungewöhnliches Projekt das keine vorgegebenen Ziele und keine zu überwindenden Hindernisse kennt. Dem Spieler wird eine prozedural generierte Insel geboten, die er nach Lust und Laune erwandern und erkunden kann.

Begehbare Musik Außergewöhnlich ist das Zusammenspiel von Ohr und Auge, in dem jede Kreatur, die man aufstöbert, jeder Wetterumschwung und jede Pflanze Töne und Geräusche von sich gibt, die sich zu atmosphärischen Klangteppichen verweben. Proteus ist begehbare Musik.

Warum diese Zurückhaltung? Kaum jemand kann das besser erklären als Jake Solomon, der Chefentwickler von XCOM: Enemy Unknown. Solomon verfocht ursprünglich den Plan, dem Vorbild des Ur-Ufo zu folgen und die Karten, in denen die Schlachten gegen die außerirdischen Invasoren stattfinden, prozedural generieren zu lassen. Der Plan scheiterte aber an einer Reihe von Widerständen.

Statt zufallsgenerierter Levels gibt es nun handgemachte. Lediglich die Reihenfolge, in denen man ihnen begegnet, ist zufällig. »Wenn du als Entwickler die Kontrolle aus der Hand gibst, wirst du zwangsläufig Schwierigkeiten mit der Balance bekommen «, erklärt Solomon den Sinneswandel. Das Bedürfnis nach Kontrolle wächst mit der Größe des Projekts und dem damit einhergehenden größeren Budget und Risiko.

Trotzdem gibt es Risiken, die sich einzugehen lohnen. Auch XCOM enthält Zufallselemente, etwa die Klasse, die einem Soldaten zugewiesen wird. Solomon dazu: »Wählt das Spiel für dich eine unerwünschte Klasse, kann das natürlich Frust auslösen. Andererseits ermuntert es dich aber auch, Taktiken auszuprobieren, auf die du nie gekommen wärst, wenn du volle Kontrolle gehabt hättest. Im Idealfall bekommen Spieler so das Gefühl, eine einzigartige Erfahrung zu machen.«

Obwohl Solomon ein Fan des Zufallsfaktors ist – er spricht gar vom »Wunder der prozeduralen Generierung«, die das Computerspiel zum einzigartigen Medium mache – versteht er die Skepsis, die dem Zufall gegenüber herrscht. »Viele Entwickler bei großen Studios sind in einer Zeit ausgebildet worden, in der Fotorealismus das Maß aller Dinge war.

Nun ist es nicht nur unglaublich schwierig, realistisch aussehende Inhalte generieren zu lassen. Hinzu kommt, dass viele Designer ausgebildet wurden, jene Inhalte zu produzieren. Da ist die Vorstellung, dass der Computer einem die Arbeit abnehmen könnte, natürlich bedrohlich.«

X-COM: Während das Ur-X-COM (1993) seine Einsatzgebiete aus immer wieder gleichen Versatzstücken wie Tankstelle, Wohnhaus und Rübenfeld zu immer neuen Kombinationen aus 4x4-Karten mischte...

Mehr Zufall ist weniger Kontrolle ... geht das Firaxis-Remake XCOM: Enemy Unknown einen anderen Weg: Um das Balancing des Spiels besser unter Kontrolle zu haben, haben die Entwickler sich entschieden, eine begrenzte Anzahl handgefertigter Karten ohne Zufallselemente zu verwenden.

Zufall ist ein Werkzeug

Vielleicht zeigt sich in der Zufalls-Berührungsangst der großen Studios aber auch eine Haltung, die weit älter ist als diese selbst: Die nämlich, das alles von Menschhand Gemachte mehr wert ist als das, was eine Maschine hervorbringt. Diesem Gedanken liegt aber ein Irrtum zugrunde: Prozedurale Generierung heißt keineswegs, dass der Computer die ganze Arbeit übernimmt.

»Der wesentliche Unterschied zur »Handarbeit« ist, dass man nicht mehr nur einen Level designen kann, sondern das gesamte Spiel auf einmal überblicken muss«, erklärt Jim Rossignol. »Das ist etwas anderes, als jedes Details selbst zu entwerfen. Trotzdem bestimmt der Entwickler letztlich im selben Maße über die Inhalte.«

Jeder Spieldurchlauf mag sich zwar im Detail unterscheiden - aber die Erfahrung bleibt sich im Kern immer ähnlich: »In Sir, You Are Being Hunted wird jeder Spieler dieselbe Art von Angst durchleben. Jede zufallsgenerierte Welt ist eine Satire auf das britische Klassensystem, und jeder Spieler kann dies aus der Welt heraus interpretieren, unabhängig davon, wie sie nun strukturiert ist. Künstler verwenden Werkzeuge, um sich in ihren Werken auszudrücken, und zufallsgesteuerte Systeme sind ebenfalls ein solches Werkzeug.«

Sir, You Are Being Hunted Jim Rossignol ist in erster Linie bekannt als Journalist und Mitbegründer des Spieleblogs Rock, Paper, Shotgun. Das von ihm mitbegründete Studio Big Robot beschreibt sich selbst als »Spiele- Entwicklungsprojekt von Jim Rossignol und einer Reihe talentierter Künstler, Programmierer und Spieledesigner.« Sir, You Are Being Hunted ist das mit Abstand größte Projekt des jungen Teams: Mithilfe von Kickstarter-Kapital entsteht ein vermeintlicher Ego-Shooter, in dem man sich am falschen Ende eines Gewehrlaufs wiederfindet.

Prozedural generiertes Pseudo-England In einem prozedural generierten Pseudo-England blasen tadellos erzogene Roboter zur Menschenhatz – wer gegen die intelligenten, frei agierenden Jagdgruppen überleben will, muss die Kunst der Ablenkung, des Fallenstellens und des Schleichens ebenso beherrschen wie den Abzug seiner Flinte.

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