Das Leben ist seltsam in Neo-Paris 2084

Gutes Action-Spiel mit Arkham-Prügeleien, guter Präsentation und ein paar Macken.

von ck001 am: 14.11.2021

Die Geschichte

Die Gedächtnisjägerin und Erroristin Nilin erwacht beraubt ihrer Erinnerungen im Neo-Paris des Jahres 2084 im berüchtigten Gefängnis „Bastille“, in welchem die Insassen ihren Erinnerungen beraubt werden, um sie gefügiger zu machen. Mit Hilfe des Hackers Edge kann sie von dort in einem Sarg fliehen, nur um in den Slums der Stadt von feindlichen Kreaturen umgeben wieder aufzuwachen. Nun muss sie aufs Neue ihre eigene Vergangenheit aufdecken, während unzählige Kräfte versuchen, dass eben dies nicht passiert. Erinnerungen sind eine Währung und wer sie kontrolliert, kontrolliert die Welt.

 

Die Welt

Das Spiel selbst erzählt seine etwas überladene und teils unlogische Geschichte mit sehr vielen gut geschnittenen Renderfilmen, verbunden mit den Quick-Time-Events (dazu später mehr) ergibt sich eine allgemein recht gefällige Präsentation.

Zur Geschichte passend präsentiert sich Remember Me in meines Erachtens nach zeitloser Cyberpunk-Optik, dunkle Ecken erhellt von grellem Neonlicht, heruntergekommene Slums und klinisch sterile Monumente zeitgenössisch-moderner Architektur wechseln sich ebenso ab wie historisch relavante Bauten umgeben von gigantischen Wolkenkratzer. Die Spielwelt bietet also grundsätzlich einiges an Schauwerten, auch wenn im Regelfall nur in der Distanz abgebildet, abseits einer modernisierten Variante der Bastille betritt man kreierte Gebäude und Gegenden. Die Levels selbst sind schlauchartig angelegt, alternative Wege existieren nicht. Geht man auf der Suche nach sammelbaren Gegenständen (Mnesists, Scaramechs und Elementen zur Verstärkung von Gesundheit und Fokus) durch die falsche Tür so wird diese permanent geschlossen, eine Rückkehr ist nicht vorgesehen.

Im Hintergrund findet man immer wieder mal bekannte Gebäude.

Im Hintergrund sind mitunter bekannte Pariser Gebäude und Wahrzeichen zu sehen.

So gelungen die Optik grundsätzlich auch sein mag, so leer ist die Welt selbst. Im Regelfall sieht man lediglich einige wenige Roboter und Drohnen ihre Arbeit verrichten, abseits von Gegnern trifft man auf keine menschlichen NPC, die nicht irgendwie mit der Geschichte zu tun haben. Dazu kommen etliche Informationen, wenn man bspw. durch ein Marktgebiet läuft, ein Angebot hier, eines Dort, hier eine Absperrung und da ebenso. Für das Spiel leider irrelevant, man kann in keinem Laden etwas kaufen oder mit einem der Roboter auch nur in irgendeiner Form interagieren.

Auch schade: die vorgerenderten Zwischensequenzen sind verwaschen und wie die Intros zu den Levels nicht abbrechbar.

Schlimmer fällt allerdings die Lokalisierung aus. Manche Sprecher der deutschen Version wirken so laienhaft, dass ich die Sprache auf Englisch (mit deutschen Untertiteln) umgestellt habe und hier fällt dann auch eine bestenfalls bemühte Übersetzung auf. Dass die Verabschiedung „Remember you soon“ zu „Auf Nievergessen“ wurde kann ich noch mit künstlerischer Freiheit erklären.

Der dem Sport entliehene und wohl recht bekannte Ausdruck „Sudden Death“ (wer den nächsten Punkt macht gewinnt das Spiel) wurde hingegen mit „Tod im Nu“ übersetzt, was technisch richtig sein mag, aber nicht zur sprechenden Figur und den stattfindenden Ereignissen (Bosskampf im Stile einer Sportübertragung) passt und irritiert.

Ich habe wie gesagt mit englischer Sprachausgabe gespielt und die deutschen Untertitel mitlaufen lassen, was für das folgende Problem von Vorteil war:

Man muss eines der durchaus zahlreichen und netten Rätsel lösen (teilweise sind manche Schlösser in guter alter, Resident-Evil-Manier versperrt), in diesem Fall muss man den/die richtigen Buchstaben einer Wortfolge (hier: „HOMINIS M3MORIZE EVOLUTIO“) finden, um eine Tür zu öffnen. Auf englisch lautet diese Stelle nun „mankind holds its head up high“. Hominis hat etwas mit Menschen zu tun, Head/Kopf ist oben/am Anfang, also erster Buchstabe, ergo „H“ . Auf deutsch hingegen war für diesen Teil des Rätsels zu lesen „… muss die Menschheit tapfer sein“. Wer kommt denn hierbei auf den ersten Buchstaben? So wurde der Text zwar grundsätzlich richtig übersetzt, aber völlig an der Aufgabe vorbei.

 

Das Gameplay

Nilin ist eine Gedächtnisjägerin („Memory Hunter“), sie kann die Erinnerungen von Menschen manipulieren. Zudem verfügt sie über ein im Laufe ihres Abenteuers steigendes Repertoire an Nahkampfangriffen, eine Gerät mit unterschiedlichen Modi (Bewegung und Manipulation bestimmter, markierter Objekte und schnellfeuernder oder schlagkräftiger Schussabgabe). Sie ist auch eine geübte Athletin, weicht Gegnern mit eleganten Sprüngen aus und kann sich an Wänden und Vorsprüngen entlanghanteln. Das ihr und den Menschen implantierte Sensen-Modul weist ihr dabei mittels Markierung den richtigen Weg. Die Steuerung funktioniert auch mit Maus und Tastatur meist recht präzise und zuverlässig, aber ich meine, dass ein Gamepad das bessere Eingabeintrument wäre.

Ein Großteil des Spiels machen die launigen Kämpfe gegen unterschiedliche Varianten von Gegnern aus. Den kaum noch menschlichen Leapern begegnet man im Laufe des Tutorials und während die ersten Exemplare auch für Neulinge noch keine allzu große Herausforderung darstellen gesellen sich spezialisierte und schwerer zu bekämpfende Varianten dazu, selbiges gilt natürlich auch für Sicherheitskräfte und kämpfende Roboter.

Das Kampfsystem ähnelt dem der Arkham-Spiele, meist muss der Spieler mit einer Gruppe an Gegnern fertig werden, dabei deren Spezialfähigkeiten beachten und gleichzeitig die eigenen Talente und jene Nilins zeitgerecht anbringen.

Essentiell ist hierbei das sogenannte Kombo-Lab, in welchem sich der Spieler zu einem gewissen Grad eigene Kombos aus einem mit forschreitender Spieldauer wachsenden Katalog zusammenstellen kann. Zu Beginn beschränkt sich eine Kombo auf 3 Schläge, mit der Zeit kommen 3 Kombo-Varianten dazu, die 5, 6 und mehr Treffer bieten.

Diese Kombos werden von einem Schlag (linke Maustaste) oder einem Tritt (rechte Maustaste eingeleitet, diese erste Aktion kann nicht verändert werden. Die danach auszuführenden Angriffe sind grundsätzlich ebenfalls vorgegeben (Schlag oder Tritt), aber nicht ihre Wirkung. Der zuvor genannte Katalog, aus dem man sich Elemente für die Nahkampf-Kombo auswählen kann, besteht aus freizuschaltenden „Impressions“ (die gewählten Begriffe scheinen teilweise unnötig kompliziert) und die teilen sich auf in Schaden, Regeneration, S-Pressen und Ketten-Impressions, von denen jede Schlag- und Trittvarianten bietet.

Wählt man eine Schadens-Impression so erhöht sich der Schaden innerhalb einer Kombo (wer hätt s gedacht).

Eine regenerative Impression bietet bei Treffer etwas Heilung, verursacht aber weniger Schaden.

Eine S-Pressen ist wichtig, um Fokus-Punkte zu sammeln und damit Spezialfertigkeiten aufzuladen und gleichzeitig den Cooldown von Spezialfertigkeiten zu beschleunigen – für die Boss-Gegner und auch etliche spezialisierte Gegner absolut essentiell, weil man sonst keine Chance hat bzw. man andernfalls 3 Minuten lang im Kreis läuft und springt, bis die Fähigkeit wieder verfügbar ist.

Und abschließend die Ketten-Impression, die das vorhergehende Element (Schaden, Regeneration oder S-Pressen) nochmals verstärkt.

Und so baut man seine Kombos zusammen. Will ich mehr Schaden anbringen, will ich, dass mich ein Schlag in einer Kombo auch ein kleines bisschen heilt, will ich schnell Fokus-Punkte sammeln und will ich vielleicht irgendetwas noch etwas mehr Kraft verleihen? Es funktioniert gut und kann auch während der Kämpfe angepasst werden, aber früher oder später hat man dann seine Kombinationen, bei denen man im Regelfall bleibt. Zum einen, weil man sie dann gezielter anwenden kann, wenn man bspw. Gesundheit benötigt, zum anderen, weil das Austauschen von Impressions einer Kombo zumindest mit Maus und Tastatur ein Krampf ist.

Das Kombo-Lab im Überblick, zwei weitere Kombinationsmöglichkeiten kommen später noch hinzu.

Die Spezialfertigkeiten habe ich bereits erwähnt, die erste, die man erlernt ist die Raserei, Nilin teilt dann auf Mausdruck stärkere Schläge aus und springt dabei automatisch von Kontrahent zu Kontrahent. Dazu kommen dann später „Roste in Frieden“ (Roboter wechseln die Seite und greifen Gegner an), eine andere macht unsichtbare Feinde sichtbar und angreifbar während sie normale Kontrahenten betäubt. Die sogenannte Logik-Bombe sorgt in einem gewissen Radius für Schaden (gefährdet auch Nilin) und die letzte Fertigkeit macht Nilin unsichtbar; sie kann sich an einen Gegner schleichen und ihn mit einer speziellen Aktion ausschalten.

Viele Gegnertypen erfordern eine spezielle Herangehensweise. Manche müssen erst sichtbar gemacht werden, damit man sie bekämpfen kann, bei anderen muss zuerst der sie verstärkende Mob erledigt werden. Fliegende bzw. an den Wänden hängende Feinde können nur beschossen werden, ein Typus verfügt über einen Schild, welcher die meisten Angriffe abwehrt und stattdessen Schaden zufügt. Besonders bei gemischten Gruppen gilt daher eine Priorisierung, in welcher Reihenfolge Feinde ausgeschaltet werden (hier stellt sich die automatische Zielerfassung mitunter als Krux heraus) und das bedeutet mitunter auch, die leichteren zum Aufladen der Spezialfertigkeiten so wenig als möglich zu verletzen und zuerst die schwierigeren Kontrahenten zu bekämpfen, sonst kann es passieren, dass der letzte Gegner der ist, den man aufgrund seiner Schilde nur unter Einsatz der eigenen Gesundheit kleinkriegt. Im Regelfall ist das aber auch kein allzu großes Drama, stirbt Nilin so wacht sie mit voller Gesundheit (aber ohne Fokus!) wieder auf. Die Bosskämpfe sind in mehrere Stufen unterteilt und die werden auch als Speicherpunkte genutzt. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass freies Speichern nicht unterstützt wird, aber das Spiel speichert so häufig, dass es kein Problem darstellt. Sonderlich schwer ist das Spiel im Großen und Ganzen nicht, manche Passagen können sich als etwas kniffliger erweisen.

Wie bereits erwähnt erstrecken sich die Bosskämpfe über mehrere Stufen, erledigen kann man sie allerdings erst nach erfolgreicher Absolvierung mehrerer Quick-Time-Events. Wohl dem, der im richtigen Moment die richtigen Knöpfe drückt, denn sonst steigt man bei der letzten Stufe vor dem QTE wieder ein und muss nochmals die Sequenz durchlaufen und wenn es ganz schlimm wird, nochmals.

Hinzu kommt, dass diese Sequenzen von einer massgeschneiderten, längeren und cineastisch-schicken Animation unterstrichen wird, das mag beim ersten Mal noch zu einem „WOW“-Effekt führen, wenn man allerdings mehrmals die exakt gleiche Sequenz sieht und bestehen muss nervt es. Es kann auch sein, dass man partout nicht draufkommt, was man tun muss, um einen Kampf zu gewinnen, das Spiel unterstützt dann mit den richtigen Tipps, bspw. welche Spezialfertigkeit zum Einsatz kommen muss.

Manchmal setzt Nilin auch ihre Fähigkeiten als Gedächtnisjägerin ein, sie manipuliert damit die Erinnerungen einer Person, um bspw. eine feindliche Person zur Hilfe zu bewegen. Es läuft so ab, dass man eine bestimmte Erinnerung als Film sieht und diese dann durch rotierende Bewegung der Maus zurückspulen muss, um markierte Objekte zu manipulieren, so dass bspw. eine Schusswaffe entsichert wird oder ein medizinisches Gerät einem Patienten die falsche Substanz injiziert. Oftmals stehen dem Spieler mehrere Objekte zu Wahl, doch nicht jedes wirkt sich auf die Situation aus. So gilt es quasi, die richtige Kombination zu finden, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen; zumindest auf Steam gibt es aber auch Achievements, wenn man zwar eine falsche Kombination nutzt, aber dennoch ein besonderes Ereignis auslöst.

Eine Erinnerungsmanipulation - manipulierte Gegenstände werden links unten angezeigt.

 

Fazit:

Ich fand das Spiel sehr gelungen, die Kämpfe laufen sehr flüssig, die Eingaben werden präzise übernommen, auch wenn das Gamepad wohl das Mittel der Wahl sein sollte. Die Präsentation mit all ihren Filmen hat mir auch gut gefallen, auch wenn es teilweise recht kitschig und meines Erachtens nach unlogisch wird.

Negativ sind mir die sehr engen Levels aufgefallen und noch störender die deutsche Lokalisierung, welche ich zu den schlechtesten zähle, die mir persönlich untergekommen sind (wenn auch weit von einem Desaster a la Mechwarrior 4: Mercenaries entfernt).

Bei der Grafik und den zahlreichen Robotern musste ich an eine Mixtur aus Mass Effect und Binary Domain denken, aber es teilt sich wohl auch viele Gene mit dem aktuelleren Hellblade: Senua´s Sacrifice: die engen Schlauchlevels, die guten Kämpfe, eine hochwertige Präsentation – wo Hellblade allerdings punkten kann ist der emotionale Aspekt. Mit Nilin habe ich nie so mitgefiebert wie mit Senua und der mitreißend inszenierte, zeitlich variable Endkampf mit der anschließenden Sequenz katapultiert das letztere Abenteuer nochmals enorm nach oben. Gut und unterhaltsam finde ich Remember Me aber allemal, auch wenn man merkt, dass Dontnod sehr viele Ideen auch in Life is strange wiederverwertet hat, an welches sich ironischerweise wohl mehr Spieler erinnern werden als an das hier getestete Erstlingswerk des Studios.

Die Charaktermodelle von Nilin und der (eher unwichtigen) Kopfgeldjägerin Sedova haben den Entwicklern sichtlich gefallen.


Wertung
Pro und Kontra
  • Grafik und Stil
  • Kombo-Lab
  • Präsentation
  • Verschiedene, gut funktionierende Spielelemente (Kämpfe, Rätsel, Manipulation)
  • Schlauchlevels
  • deutsche Lokalisation
  • Quick-Time-Events können etwas nerven
  • Maus-Tastatur-Steuerung im Kombo-Lab

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



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