Gothic ist auch in 2021 noch ein geniales Rollenspiel

Da Gothic bald ein wohlverdientes Remake erhält, habe ich es nochmal durchgespielt und festgestellt, dass das Spiel, trotz der veralteten Grafik, noch zu den...

von Fades am: 02.06.2021

Jenseits der magischen Barriere

Die Geschichte von Gothic beginnt mit einem Krieg zwischen Orks und Menschen im fiktiven Königreich Myrtana. Um diese Bedrohung abwenden zu können benötigt der König des Reiches magisches Erz um daraus starke Waffen zu schmieden und die Orks zurückzuschlagen. Deswegen greift er zu drastischen Mitteln und befiehlt den mächtigsten Magiern des Landes eine magische Barriere zu erschaffen um Gefangene zum Erzschürfen zu zwingen und deren Flucht zu verhindern. Leider geht dabei etwas schief und die magische Barriere umgibt ein größeres Gebiet als geplant wobei auch die Magier selbst darin gefangen sind. Der König treibt fortan Handel mit der Gegend, die nur "Die Kolonie" genannt wird und bietet dabei Nahrungsmittel, Kleidung, Frauen und vieles Weitere das es innerhalb der Barriere nur sehr begrenzt gibt, im Austausch gegen das geschürfte Erz. Der Protagonist ist ein namenloser Held, welcher zur Strafe für ein kleineres Verbrechen in die Barriere geworfen wird. Er erhält den Auftrag einen Brief an den obersten Feuermagier zu überbringen, woraus sich eine Spannende Story entspinnt, die zwar nicht zu den allerbesten Spielestories zählt, aber stets spannend und nachvollziehbar erzählt ist und den Spieler durchgehend an den Bildschirm bindet.

 

Survival of the Fittest

Zu Beginn des Spiels wird dem Spieler deutlich gezeigt wie schwach und unwichtig sein Avatar in dieser Spielwelt eigentlich ist. Gleich nach dem Eintreten in die Kolonie wird der namenlose Protagonist verprügelt und nur durch das Eingreifen seines späteren Mentoren Diego gerettet. Auch in Kämpfen beißt man mit dem rostigen Schwert, das man gleich nach Spielbeginn findet (zumindest beim ersten Durchspielen) zuverlässig ins Gras. Um Ausrüstung kaufen zu können benötigt man Erz, welches man für manche Aufträge, durch Diebstahl oder durch das Verkaufen von Gegenständen, die man in der Spielwelt findet (z.B. Beeren, Heilkräuter, etc.), verdient. Damit kann man bei bestimmten NPCs entsprechende Gegenstände kaufen. Ein Schmied hat also nur Nahrungsmittel und verschiedene Waffen bzw. Stahl aus dem man selbst Waffen schmieden kann und je nachdem welchen Lager man angehört verkaufen einem manche Händler besonders wichtige und seltene Gegenstände wie stärkere Rüstungen gar nicht erst. Dadurch wird das Gefühl in einer Kolonie unter rivalisierenden Lagern zu leben auf tolle Weise vermittelt. Von besagten Lagern gibt es drei, welche sich gebildet haben da die Bewohner der Kolonie inklusive der Magier verschiedene Wege einschlugen. Die Templer im Sumpflager etwa glauben an die Erlösung von ihrer Gefangenschaft durch den "Schläfer" und sind durch diesen Glauben in den anderen Lagern verschrien, aber durch den Verkauf von Sumpfkraut, welches eine berauschende Wirkung entfesselt wenn man es raucht, tolerieren andere Lager vereinzelt Mitglieder dieses Lagers in ihren Lagern, wohingegen das alte Lager von Gomez und den Erzbaronen mit eiserner Hand regiert wird, hier herrscht Zucht und Ordnung, Verbrechen werden geahndet und absolute Loyalität ist ein zentrales Aufnahmekriterium, dieses Lager ist das Einflussreichste, da es die ertragreiche alte Mine kontrolliert und mit dem König Handel treibt. Das neue Lager ist liberaler, je stärker man ist umso beliebter ist man, Verbrechen werden nur selten geahndet. Die Banditen des neuen Lagers kontrollieren die neue Mine, handeln aber nicht mit dem König sondern planen mithilfe des Erzes aus der Gefangenschaft zu entkommen. Außerdem kann man in den verschiedenen Lagern bei bestimmten NPCs seine Fertigkeiten mit Punkten, welche man beim Stufenaufstieg erhält, verbessern. Teilweise wollen die NPCs aber auch noch für ihre Mühen kompensiert werden, dafür fällt meist ein mittlerer Erzbetrag an, teilweise reicht aber auch ein Bier oder ein Brot. So wird man nach und nach immer stärker und besiegt irgendwann Gegner, die zu Beginn unbesiegbar wirkten, ohne große Anstrengung. Das Fortschrittsystem ist motivierend, realistisch und passt auch zur Story in der der Held auch zunehmend mehr Respekt und Anerkennung erhält.

 

"Was ist denn das da hinten? Kann man den Turm da wirklich besteigen?"

Nun zur Spielwelt. Diese ist nicht annähernd so groß wie die moderner Open-World-Titel, ist den meisten aber durch einige geniale Designentscheidungen einen Schritt voraus. Zum einen machen die Grenzen der Welt einfach Sinn. Das mag zwar nach einem lapidaren Punkt klingen, durch die Erklärung mit der magischen Barriere dient die Levelgrenze hier sogar einem Zweck: Sie soll uns das Gefühl vermitteln Gefangener in diesem winzigen Teil einer viel größeren Welt zu sein- und das funktioniert bestens. Zudem kann man jeden Teil der Welt uneingeschränkt erkunden und sieht oft in der Ferne einen interessanten Punkt, den man sich näher ansehen will. Da man beim Erkunden meist auf Loot stößt der eigentlich nur in der ersten Spielhälfte wirklich sinnvoll ist, lohnt sich das Erkunden der Spielwelt vor allem am Anfang, das wird auch durch die Aufträge unterstützt, die den Protagonisten nach und nach in jeden Teil der Welt führen. Außerdem verzichtet Gothic auf eine Minimap oder ähnliches. Questgeber beschreiben die Orte an denen die Quest erledigt werden soll oder den Weg dahin oder geben dem Protagonisten eine Karte auf der fast nur die entsprechende Route eingezeichnet ist. Beim Kartenmacher können Karten gekauft werden, welche aber oft nicht vollständig sind. Die Spielwelt ist für mich eines der Highlights des Spiels, da sie perfekt mit der Story abgestimmt ist, wodurch die Welt sehr realistisch wirkt.

 

Steuerung

Die Steuerung erfüllt ihren Zweck, ist aber teilweise etwas umständlich (z.B.: Interaktionstaste + W = Truhe auf    und    Interaktionstaste + D = ausgewählten Gegenstand ins Inventar verschieben). Das Kampfsystem ist teils etwas hakelig, nach etwas Eingewöhnungszeit kann man aber fast jeden Gegner besiegen solange man das Richtige Timing beim Blocken, Schlagen und Aus- bzw. Zurückweichen hat. Auch der Einsatz von Zaubern geht mühelos von der Hand und macht dank der netten Effekte ziemlich viel Spaß.

 

Sound

Die Hintergrundmusik ist wenig abwechslungsreich und enthält keine Ohrwürmer nur das Konzert der Band "In Extremo" bleibt in Erinnerung und ist genial ins Spiel integriert. Die Sprecher sind sehr gut und ziehen den Spieler vorbildlich ins Spiel. Mir hat die Sprachausgabe so gut gefallen, dass der Punkt Grafik in meinen Augen dadurch ausgeglichen wird. 

 

Grafik

Die Grafik ist natürlich nicht mehr zeitgemäß, weshalb das Spiel ja auch demnächst ein Remake erhält. Polygonarme Modelle, verwaschene Texturen und kaum Details sorgen dafür, dass man Gothic keinesfalls wegen seiner Grafik spielen sollte.

 

Bugs und Abstürze

Die Steamversion des Spiels enthält schon den Communitypatch, welcher das Spiel auf modernen Systemen lauffähig macht und kleinere Grafikänderungen vornimmt. Diese Version bringt aber auch einige Fehler mit sich die teilweise durch Grafikmods ausgeglichen werden können. So wurde in meinem Spieldurchgang die magische Barriere nicht immer angezeigt und mein Spielcharakter ist beim Rutschen an schrägen Abgründen oft hängengeblieben, sodass nur das Beenden des Spiels via Taskmanager und das Laden des letzten Spielstandes half. Beim Verlassen der alten Mine stürzte das Spiel während der Ladesequenz jedes Mal (!) ab. Ich konnte diesen Absturz mehr als 10-mal in Folge reproduzieren. Nach dem Deinstallieren des Communitypatches konnte ich die alte Mine dann wieder verlassen. Dieser Fehler sollte aber bereits bereinigt sein (ich konnte die alte Mine danach immer mit Communitypatch problemlos besuchen und verlassen, vielleicht tritt der Fehler aber auch nur beim ersten Besuch auf). Ansonsten lief die Steamversion sehr gut und hat so geringe Anforderungen, dass jeder Gamer problemlos flüssig spielen können sollte.

 

Sonstiges

Die Spielzeit beträgt je nach Spielweise zwischen 40 und 60 Stunden, wobei man mithilfe einiger Mods auf der Internetseite World of Gothic weit über die 100-Stunden-Marke kommen kann. Ich hoffe darauf dass das Remake nahe am Original bleibt, welches vor allem durch seine tolle Atmosphäre und seine nachvollziehbare Welt besticht. Der Hauptcharakter redet beispielsweise selbst in Dialogen nur wenig und stellt eigentlich nur Fragen, er kommentiert nicht jede Situation als wüsste er in einem Videospiel zu stecken und verhält sich stets nachvollziehbar. Auch jede der anderen Figuren handelt nach ihren Idealen oder hat nachvollziehbare Motivationen für ihre Handlungen (etwa Gier oder den Drang ihre Überlegenheit unter Beweis zu stellen). Wenn das Remake den Geist dieses Gothics gut einfängt würde ich jedem Leser dieses Tests empfehlen das Remake zu Spielen, wenn es nicht gelingt ist auch das Original trotz etwas veralteter Grafik und ein paar Bugs und Abstürzen auf jeden Fall einen Kauf wert, vor allem da es kein Vollpreisspiel mehr ist.

 


Wertung
Pro und Kontra
  • tolle glaubwürdige Spielwelt
  • tiefgründige Charaktere
  • motivierende Geschichte
  • lange Spielzeit
  • hoher Wiederspielwert durch verschiedene Lager
  • reichlich Mods
  • tolles Fortschrittssystem
  • Ingame Auftritt der Band "In Extremo" als absolutes Highlight
  • vereinzelte Bugs und Abstürze
  • teils hakelige Bedienung
  • veraltete Grafik
  • monotone Hintergrundmusik

Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 100 Stunden



Kommentare(0)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.