Kunstvoller Shooter-Klassiker

Rezension: „BioShock“ (Remastered Edition) – Version 1.0.122872 – Plattform: Steam

von ModuGames am: 29.11.2020

Wir befinden uns in den 1950ern. Ein Mann namens Andrew Ryan hat genug von den vorherrschenden Ideologien der Welt und beschließt, sein eigenes Utopia aufzubauen – auf dem Meeresgrund. Doch der Traum von einer individualistisch-kapitalistischen Stadt ohne Restriktionen scheitert kolossal. Klingt spannend? Aber hallo – willkommen in BioShock.

Nie wieder Billigflüge!

Flugzeuge sind statistisch gesehen (jedenfalls pro Reisekilometer) die sichersten Fortbewegungsmittel. Das denkt sich wohl unser Protagonist in BioShock, als er im Intro des Spiels eine Zigarette rauchend im Flieger sitzt: „Hier kann mir nichts passieren“. Tja, Pustekuchen! Der Flieger stürzt über dem Meer ab und dem Protagonisten gelangt es gerade noch so, zu einem Leuchtturm zu schwimmen, der sich in der Nähe befindet. Und in jedem Gebäude stößt man dann auf... eine Tauchglocke?! Ehrensache, dass man da natürlich sofort einsteigt! Was folgt, ist eine der legendärsten Szenen der gesamten Videospielgeschichte. Denn während wir uns dem Meeresboden nähern, wird uns das Weltbild von Andrew Ryan vorgestellt, dem Schöpfer der Unterwasserstadt Rapture. Hier ein Ausschnitt eines Zitats von Ryan, das man in der Glocke zu hören bekommt: Steht einem Menschen nicht das zu, was er sich im Schweiße seines Angesichts erarbeitet? „Nein“, sagt der Mann in Washington, „es gehört den Armen“. „Nein“, sagt der Mann im Vatikan, „es gehört Gott, dem Allmächtigen“. „Nein“, sagt der Mann in Moskau, „es gehört allen“. Ich konnte keine dieser Antworten akzeptieren. Das ganze mündet dann in Ryans unvergesslichem Zitat: „Ich entschied mich für Rapture“ (engl. 'I chose Rapture').

'I chose Rapture' – ein brillianter Moment! Die unterirdische Stadt wirkt verlassen und unheimlich, aber doch irgendwie anziehend.

In eben jenem Moment erhaschen wir zum ersten Mal einen Blick auf die Stadt – da ist Gänsehaut garantiert. Sobald die Fahrt in der Tauchglocke jedoch vorüber ist und man die Unterwassersiedlung zum ersten Mal betritt, merkt man: Etwas ist faul im Staate Rapture! Die Einrichtung ist verkommen und vor unseren Augen wird ein Mensch von einer unheimlichen Kreatur brutal ermordet. Glücklicherweise finden wir ein Radio in der Nähe, über das uns ein Mann namens Atlas kontaktiert, der uns fortan durch das Spiel führt. Wir machen uns also an die Erkundung von Rapture und finden bald unsere erste Waffe: eine Zange.

Shooter mit Rollenspiel-Anleihen

Bei BioShock handelt es sich, oberflächlich betrachtet, um einen typischen Ego-Shooter. Im Spiel finden wir nach und nach folgende Waffen: die bereits angesprochene Zange, einen Revolver, eine Schrotflinte, ein Maschinengewehr, einen Granatwerfer, eine Armbrust und einen Chemowerfer. Jede der Schusswaffen kommt mit drei Munitionstypen daher, sodass man der Situation entsprechend eine kluge Wahl treffen muss. Statt der heutzutage weit verbreiteten automatischen Lebensregeneration verfügt BioShock noch über einen HP-Balken, den man mit Verbandskästen (man kann bis zu neun mitnehmen) wieder auffüllen muss. Das ist allerdings nicht die einzige Anzeige, die wir im Blick behalten müssen, sondern wir müssen außerdem mit unserem Vorrat an EVE haushalten. Diese Substanz, die wir mit Spritzen wieder auffüllen können, wird benötigt, um unsere Plasmide nutzen zu können – wie Mana in einem Rollenspiel.

Mit dem Maschinengewehr im Anschlag kämpft man hier gegen einen Big Daddy. Da der ziemlich viele Patronen schluckt, wäre es klug, die Plasmide einzusetzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Doch halt: Plasmide? Dazu muss man wissen, dass die Bewohner von Rapture durch Genmanipulation Zugang zu übermenschlichen Fähigkeiten erhalten haben. Dasselbe passiert uns natürlich auch! Die Basis für diese Fähigkeiten bildet das sogenannte ADAM, eine der Währungen im Spiel, doch dazu später mehr. Diese Plasmide ermöglichen uns allerlei abgefahrenes Zeug, so können wir etwa Blitze aus unseren Fingern schießen. Ich selbst vertrete bei Spielsystemen dieser Art die Philosophie „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, dementsprechend habe ich hauptsächlich „Electrobolt“ (das sind die Blitze) und „Abfackeln“ (damit kann man Feuer verschießen) verwendet. Leute, die gerne herumexperimentieren, werden hier ihre helle Freude haben, vor allem mit den etwas außergewöhnlicheren Plasmiden wie etwa der Telekinese. Es gibt noch ein weiteres Rollenspiel-artiges System: die sogenannten Tonika. Diese wirken ähnlich wie Plasmide, allerdings verbrauchen sie kein EVE und sind permanent aktiv. Über diese Tonika kann man zum Beispiel mehr Lebensenergie aus Verbänden ziehen, mehr Schaden austeilen oder Geräte leichter hacken.

Zwischen den konventionellen Waffen und den Plasmiden wechselt man übrigens, indem man die rechte Maustaste drückt. Eine Übersicht über die Waffen und die Plasmide, die man mitführt, erhält man über die Shift-Taste. Da stellt sich natürlich die Frage: Liegt auf Shift nicht sonst immer die Sprintfunktion? Tja, so etwas gibt es in BioShock nicht – hier macht sich das Erscheinungsjahr 2007 bemerkbar. Dadurch wirkt das Gameplay zwar etwas träge, aber es passt auch zu der entschleunigten, klaustrophobischen Atmosphäre des Spiels. An dieser Stelle noch eine lustige Geschichte: Im Zuge meiner Recherche für diese Rezension habe ich gerade erst herausgefunden, dass es in BioShock tatsächlich richtiges Anvisieren gibt. Ich habe das ganze Spiel in dem Glauben durchgespielt, man könne nur aus der Hüfte schießen! Dass dieses Feature existiert, erzählt einem das Spiel allerdings nicht, jedenfalls habe ich in den Einstellungen keinen Verweis darauf gefunden (es geht mit „Z“).

Von Automaten, großen Vätern und kleinen Schwestern

Rapture ist in mehrere Areale unterteilt, die man in linearer Reihenfolge angeht. Die Level selbst sind erstaunlich verwinkelt und weitläufig. Wer – wie ich – ebenfalls einen schlechten Orientierungssinn hat, wird sich über den Richtungsanzeiger freuen, der im Interface eingebaut ist. Man kann auch eine Karte aufrufen, allerdings stellt diese keine Höhenunterschiede dar, sondern zeigt alle Ebenen nebeneinander an, was die Karte stellenweise wirklich verwirrend und nutzlos macht. In den Arealen wird man oft auf verschiedene Apparaturen treffen: Neben normalen Verkaufsautomaten – hier dient gewöhnliches Geld als Währung – finden sich auch Genbanken (dort kann man Tonika kaufen), Gatherer's Gardens (zum Erwerb von Plasmiden) und „Alle Macht dem Volke“-Stationen, an denen man seine Schusswaffen in zwei Stufen aufrüsten kann. Lustig sind auch die „U-Invent“-Automaten, an denen man sich unter anderem Munition zusammenbauen kann.

Die Spielwelt ist oft interaktiv, so kann man Gefäße und Leichen durchsuchen und so unter anderem Geld finden. Zu viel Vodka sollte man allerdings nicht trinken – betrunken kämpft es sich nicht gut. 

Ja, BioShock hat ein Crafting-System, wenn auch ein sehr rudimentäres. Die Werkstoffe findet man, indem man etwa Behältnisse oder Leichen durchforstet. Apropos Leichen: Reden wir über die Gegner. Standardmäßig haben wir es mit Splicern (ADAM-süchtigen Einwohnern von Rapture) und deren Variationen zu tun. Denen kommt man jedoch ziemlich leicht bei. Schwieriger sind da schon die Big Daddies. Diese Kollegen in den Taucheranzügen dienen als Beschützer für die Little Sisters, die ADAM ernten. Nachdem man einen Big Daddy fachgerecht in Altmetall verwandelt hat, wird man mit der Entscheidung konfrontiert, ob man die Little Sister retten oder ausbeuten möchte. Letzteres bringt zwar deutlich mehr ADAM ein, ist aber moralisch sehr fragwürdig. Dabei handelt es sich um eine der wenigen Instanzen, wo wir in BioShock wirkliche story-relevante Entscheidungen treffen können, denn abhängig davon, ob wir Little Sisters ausbeuten ode retten, ändert sich das Ende der Geschichte.

Hacking und strategisches Denken

Die letzte wichtige Gegnergruppe besteht im Sicherheitssystem von Rapture. In der ganzen Stadt sind Kameras installiert, die bei Erkennung eines Ziels kleine Flugroboter herbeirufen. Aber auch normale Geschütze sollte man nicht unterschätzen! Glücklicherweise kann man alle Sicherheitssysteme hacken. Hier bietet sich der Electrobolt an, um das betreffende Gerät kurzzeitig außer Gefecht zu setzen. Das Hacken erfolgt über ein Minispiel: Man muss Rohre richtig anordnen, damit eine Flüssigkeit von A nach B fließen kann. Das ist nicht sonderlich spannend – vor allem, wenn man mehrere Geräte direkt nacheinander hacken will –, aber ich habe schon deutlich schlechtere Minispiele gesehen. Dafür ist es auch sehr cool, wenn man das Sicherheitssystem dann gegen die Splicer und Big Daddies verwenden kann.

Der Revolver wäre normalerweise nicht meine erste Wahl, aber Munition ist rar gesät und das Teil eignet sich gut für Präzisionsarbeit.

Wie schwer ist BioShock denn in etwa? Das Spiel bietet folgende Schwierigkeitsgrade an: leicht, mittel, schwer und extrem. Für diese Rezension habe ich auf „mittel“ gespielt, was mich angemessen gefordert hat. Dies liegt nicht unbedingt daran, dass die Gefechte per se sonderlich anspruchsvoll wären, obwohl manche es durchaus in sich haben. Die Schwierigkeit bei BioShock erwächst eher daraus, dass die Munition sehr knapp ist. Das mag jetzt ein sehr subjektiver Eindruck sein, aber ich habe das Gefühl, dass modernere Shooter diese Munitionsknappheit nicht mehr allzu oft einsetzen – dabei ist sie so effektiv! Denn aus diesem Umstand erwachsen strategische Überlegungen, so muss man genau abwägen, auf welche Art und ob man Gegner überhaupt angreift. Gerade die Big Daddies sind ziemliche „bullet sponges“, aber man muss eben an denen vorbei, um an die Little Sisters zu kommen, die als ADAM-Quelle dienen. Geht man das Risiko ein, auf lange Sicht keine Munition zu haben, um dafür mehr ADAM zu erlangen? Gar nicht mal unspannend.

Eine (fast) ausgezeichnete Geschichte

Ich habe jetzt zugegebenermaßen viel über das Gameplay gesprochen, aber es wird Zeit, zum wahren Aushängeschild von BioShock zurückzukehren: der Geschichte. Über die Details der Handlung möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen, aber ich muss ein paar allgemeine Gedanken loswerden. Es gibt in diesem Spiel einen Moment, wo man dazu verleitet wird, zu denken, man habe das Ende erreicht. Dabei handelt es sich in der Tat um eine einzigartige, dramatische und intelligente Sequenz, die einige sehr interessante Fragen über das (Nicht)Vorhandensein der menschlichen Autonomie aufwirft und die an und für sich schon einen sehr guten Schluss abgegeben hätte. Doch das Spiel geht noch weiter – und liefert uns einen spannenden Plottwist. Dumm nur, dass BioShock letztenendes mit einem ziemlich gewöhnlichen 08/15-Bosskampf endet, weil man so etwas ja anscheinend haben muss. Ich finde es extrem schade, dass das Spiel sich für diesen Schritt entschieden hat, denn ansonsten würde ich die Story problemlos als ziemlich fantastisch bezeichnen.

Was hat es mit den Little Sisters auf sich, die durch Rapture ziehen und ADAM von Leichen ernten? Dem gehen wir auf die Spur.

Um die BioShock-Geschichte abzuschließen, habe ich laut Steam neun Stunden gebraucht. Die meisten Spieler werden wohl ähnlich viel auf der Uhr haben, +/- eine Stunde, wie ich schätzen würde. Das halte ich für eine faire Spielzeit, zumal die Handlung größtenteils stringent und ohne Füllmaterial erzählt ist. Lediglich einige Aufträge der Marke „Finde so und so viele von Gegenstand xyz“ haben mich etwas aus meinem Spielfluss herausgebracht, aber das ist vernachlässigbar.

Remaster oder doch eher Demaster?

Zuletzt noch ein paar Worte zur Technik. Für diese Rezension musste die Remastered Edition herhalten. Zwar habe ich BioShock vor Jahr und Tag auch einmal in der Originalversion gespielt, allerdings reicht mein Gedächtnis nicht mehr aus, um sagen zu können, wie sich die technischen Verbesserungen auswirken. Also hieß es für mich: Ab auf YouTube, wo sich schnell herausgestellt hat, dass die Remastered Edition ein sehr zweischneidiges Schwert ist. Einige Dinge sehen besser aus, das stimmt, und die Tonbänder mit Entwicklerkommentaren, die man in der Spielwelt findet, sind auch ganz nett. Aber an manchen Stellen sieht es tatsächlich schlechter aus als das Original!

Hier ein Screenshot aus der Remastered Edition. Oben links sehen Sie die Anzeigen für Gesundheit und EVE.

Grundsätzlich finde ich die Grafik aber nicht scheußlich, zumal mich die Optik in Spielen ohnehin nicht sonderlich interessiert. Die Waffenmodelle, die Objekte und Texturen im Allgemeinen befinden sich auf einem Niveau, dass sie zumindest nicht störend auffallen. Lediglich bei den Effekten wie Wasser und Feuer muss das Spiel Federn lassen. Dafür finde ich den Architekturstil und die Idee einer Stadt auf dem Meeresgrund, die langsam verfällt, einfach ziemlich stylisch. Die musikalische Untermalung und das Sounddesign erzeugen außerdem eine angespannte, klaustrophobische Atmosphäre – BioShock ist zwar kein Horrorspiel per se, aber stellenweise ist es schon sehr bedrückend.

Fazit

Meiner Beobachtung nach ist die geläufige Meinung zu BioShock, dass es zwar erzählerisch sehr gut ist, aber der spielerische Teil nicht mithalten kann. Ich verstehe, woher diese Einschätzung kommt, denn es gibt mit Sicherheit den ein oder anderen Schnitzer im Gameplay. Zum Beispiel hadere ich immer noch mit mir, ob ich die Minispiele denn nun gut finde oder nicht. Auch die fehlende Sprintfähigkeit ist einer der Kritikpunkte, die man anbringen kann. Und ja, manche Menüs sind etwas unvorteilhaft. Aber ganz ehrlich: Umso mehr ich über BioShock nachdenke, desto besser finde ich das Gameplay. Die Spezialfähigkeiten sind interessant und laden zum Experimentieren ein, die strategische Komponente (Greife ich diesen Big Daddy an? Spare ich lieber Munition? Was kaufe ich mir?) ist spannend und auch die Levelarchitektur ist angenehm komplex. Darüber hinaus besitzt BioShock Qualitäten, welche die etwaigen Schwachstellen mehr als nur ausgleichen können. Die wendungsreiche Geschichte, die philosophischen Fragen und das einzigartige Setting machen dieses Spiel zu einer Erfahrung, wie man sie nur selten bekommt. Dementsprechend kann ich hier eine klare Empfehlung für alle Shooter-Fans aussprechen, die gewisse Abstriche bei der Mechanik in Kauf nehmen können, aber kunstvolle Spiele wertschätzen.


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nein

Spielzeit:

Mehr als 10, weniger als 20 Stunden



Kommentare(2)
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