Baldur's Gate 3: Der Dark Urge ist genial, aber zeigt ein großes Problem vieler Rollenspiele

Endlich böse sein! Fabiano spielt Baldur's Gate 3 gerade als Dunkles Verlangen und hatte noch nie so viel Spaß mit Niederträchtigkeit.

Als Dark Urge sucht Fabiano derzeit die Schwertküste heim. Muhaha. Als Dark Urge sucht Fabiano derzeit die Schwertküste heim. Muhaha.

Gestern habe ich die letzte Bastion des Guten in den Schattenlanden ausgelöscht, nur um mich am Leid seiner Verteidiger zu laben. Ein großer Schritt für mich! Denn normalerweise bringe ich es selten übers Herz, in einem Rollenspiel einen wahrhaft bösartigen Durchgang zu starten. Meistens zerschellt der Versuch nach einigen Stunden an meiner lupenreinen Herzensgüte. Zumindest rede ich mir das ein ...

Doch bei Baldur's Gate 3 ist das anders. Hier dauert mein Spieldurchgang als widerwärtig brutaler hochelfischer Hexenmeister bereits über 20 Stunden an und hat mich bis tief in den zweiten Akt des Rollenspiels getragen.

Ist Baldurs Gate 3 die Renaissance der Oldschool-Rollenspiele? - mit RBTV Video starten 1:10:35 Ist Baldur's Gate 3 die Renaissance der Oldschool-Rollenspiele? - mit RBTV

Denn es ist nicht so, als würde mir böse spielen keinen Spaß machen. Ich habe derzeit eine diebische Freude daran. Die meisten anderen Rollenspiele übersehen nur vollständig, was es für ein wahrhaft befriedigendes Erlebnis wirklich braucht.

Baldur's Gate 3 hat eine Antwort namens Dunkles Verlangen darauf und einen genialen Weg gefunden, an dem sich viele andere RPGs ein Beispiel nehmen sollten. Und zwar nicht nur, wenn es darum geht, ein ekelhafter Drecksack zu sein.

Eine von Larians besten Ideen

Zweifellos gehört Baldur's Gate 3 zu den besten Rollenspielen aller Zeiten. Für mich ist es sogar das beste Rollenspiel, das ich jemals gespielt habe. Allerdings muss ich so ehrlich sein und zugeben, dass das auch ganz viel mit der außergewöhnlich hochwertigen Optik zu tun hat. Bei derart mechanisch tiefgehenden Oldschool-Rollenspielen gibt es das normalerweise nicht. Die wenigsten sind überhaupt komplett vertont.

In einem vernünftigen Durchgang ist Minthara als Gefährtin keine Option, diesmal hoffe ich sie für meine Sache zu gewinnen. In einem vernünftigen Durchgang ist Minthara als Gefährtin keine Option, diesmal hoffe ich sie für meine Sache zu gewinnen.

Ja, Baldur's Gate 3 hat auch einige spielerische Features, die es von der Konkurrenz abheben. Wie etwa die Freiheit, nahezu jedes Objekt in der Welt irgendwie zum Einsatz zu bringen, doch weitestgehend läuft Baldur's Gate 3 rein mechanisch und erzählerisch Spielen wie Pathfinder: Wrath of the Righteous nicht unbedingt den Rang ab.

Mit Dark Urge hat sich Larian aber selbst übertroffen. Die Idee, eine Spielfigur einzubauen, die erzählerisch komplett darauf ausgelegt ist, euch zu einem bösartigen Massenmörder zu machen, ist schlicht brillant. Zumal gerade die hochwertige Optik nochmal zusätzlich die Wirkung des Bösen steigert, da ich die blutigen Konsequenzen meines Handelns deutlich vor Augen geführt bekomme.

Warum mache ich das?

Ich will damit gar nicht sagen, dass ich gerne einen Massenmörder verkörpere. Viel mehr geht es mir darum, dass Larian meinen Charakter damit automatisch einen glaubhaften Grund dafür gibt, überhaupt böse zu handeln. Im Zweifel kann ich immer noch versuchen, mich dagegen zu wehren. Aber ich bekomme eine willkommene Ausrede, wenn ich das gar nicht möchte.

Mein Charakter wird einfach von dem finsteren Verlangen getrieben, in Innereien zu baden, Unschuldige zu opfern und blutrotes Chaos zu stiften. Ja, das ist vielleicht ein bisschen plump. Aber immerhin etwas und auch die Geschichte reagiert darauf, dass dieses Verlangen in den Hirnwindungen meines Hochelfen steckt!

Als Dark Urge laufen einem irgendwann die Gefährten davon, Gale hält überraschend lange durch. Als Dark Urge laufen einem irgendwann die Gefährten davon, Gale hält überraschend lange durch.

Ich bin nicht einfach nur böse, um böse zu sein. Ich bekomme ein Gefühl dafür, dass meine Taten sich organisch in die Geschichte von Baldur's Gate 3 einordnen und verkomme nicht einfach nur zum Arschloch-Shepard. Dass ich böse handle, ist unausweichlich mit dem Hintergrund meiner Figur verwoben. Ich war schon immer böse und nicht erst seit Spielbeginn.

Meine Vergangenheit ist wichtig

Nicht nur böse Durchgänge profitieren von einer ausgearbeiteten Vorgeschichte. Denn eigentlich bin ich der Meinung, es sollte noch viel mehr solcher für die Story relevante Hintergründe im Spiel geben. Ich liebe es, dass das Dunkle Verlangen mir suggeriert, dass mein Held vor den Ereignissen rund um Gedankenschinder und Totengötter bereits ein Leben hatte. Dass es wirkt, als sei die Geschichte nur für ihn geschrieben.

Natürlich nimmt das mir die Möglichkeit, meinen Hintergrund völlig frei zu bestimmen, aber am Ende ist mir da eine kohärente Erzählung fast wichtiger - solange ich immer noch die Wahl habe. Ja, ich könnte natürlich auch einfach als Gale, Schattenherz oder Lae'zel spielen, die ja ebenfalls eine feste Vorgeschichte mitbringen. Aber da fehlt mir wiederum die Option, mein Aussehen und meine Klasse zu bestimmen. Die feste Klasse könnte ich noch verschmerzen, solange ich wenigstens meine Figur editieren dürfte. Das gehört für mich zu einem Rollenspiel einfach dazu.

Das Dunkle Verlangen ist eigentlich ein weißes Drachenblut, kann aber auch alles andere sein. Das Dunkle Verlangen ist eigentlich ein weißes Drachenblut, kann aber auch alles andere sein.

Absurderweise hat Larian genau das in der Vergangenheit bereits erlaubt. Bei Original Sin 2 konnte ich etwa das Aussehen und die Klasse vorgefertigter Charaktere wie Lohse oder Fane selbst bestimmen. Dragon Age: Origins ist ein weiteres Spiel, das ähnlich clever in die Story eingreift und mich erstmal die einzigartige Hintergrundgeschichte meiner Spielfigur durchleben lässt. Aber auch hier ist dieser Hintergrund dann im Endeffekt deutlich weniger mit der eigentlichen Story verzahnt, als das beim Dunklen Verlangen der Fall ist.

Vielleicht ist das eine unrealistische Hoffnung. Aber ich wünsche mir einfach, dass in Zukunft wieder öfters Charaktergenerierung mit einer durchdachten Geschichte kombiniert wird. Beim Dark Urge klappt es ja schon! Da ist es zu weiteren Vorgeschichten dieser Art nur ein kleiner Schritt.

Und im Zweifel kann ich immer noch darauf verzichten und wieder als unbeschriebenes Blatt losziehen, das sich in erster Linie über sein Volk und seine Klasse identifiziert. Doch mein Gefühl sagt mir, dass Rollenspiele an dieser Stelle noch nicht ihr ganzes Potenzial ausschöpfen.

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