Banner of the Maid klingt zu schlecht, um wahr zu sein. Wie pitcht man bitte so ein Spiel seinem Entwicklerteam? Hey Leute, lasst uns doch mal ein Rundentaktik-Spiel im Anime-Look machen, in dem ihr als Schwester von Napoleon Bonaparte historische französische Generäle in die Schlacht führt, die allesamt Chinesisch sprechen (das Spiel stammt aus China, die Texte gibt's aber auf englisch).
Dazu noch ein bisschen übernatürlicher Krimskrams mit Jeanne d'Arc, einer magisch begabten Marie-Antoinette und so. Liegt ja auf der Hand. Oh, und wir brauchen sexy Fanservice. Jede Menge nackte Haut, denn die Französische Revolution war ja vor allem eines: scharf wie eine Guillotine.
Bei so einem abstrusen Konzept bleibt mir natürlich bloß eine vernünftige Reaktion übrig: Banner of the Maid kaufen und im Urlaub spielen. Denn es gibt wenig Faszinierenderes als ein völlig absurdes, unbekanntes Spiel, das von seiner Community gefeiert wird. Fast 90 Prozent der knapp 3.500 Steam-Reviews fallen positiv aus.
Und tatsächlich ist Banner of the Maid weit mehr als bloß eine Obskurität für den Sansculotten-Heimatverein. Auch wenn der Anime-Look es vielleicht aus Prinzip zum letzten Spiel macht, das ihr euch jemals kaufen würdet: Ihr verpasst ein Erlebnis, das insbesondere Fire-Emblem- und XCOM-Fans ziemlich begeistern könnte.
Was ist das bitte für ein Spiel?
Banner of the Maid funktioniert simpel. Als Napoleons Lieblingsschwester Pauline Bonaparte befehligt ihr in den 1790ern einen Trupp aus männlichen wie weiblichen Generälen, beispielsweise Louis Desaix, Jean Lannes, Joachim Murat oder - Sekunde, da muss ich kurz Luft holen - Charles-Geneviève-Louis-Auguste-André-Timothée d’Éon de Beaumont. Kannte ich natürlich alle auch ohne Wikipedia. Hier zum Beispiel mal Pauline Bonaparte in historischer und Ingame-Variante:
Im Fall von Joachim Murat werden die Ähnlichkeiten deutlicher:
Pauline Bonaparte und ihre Armee kämpfen nun also in den Wirren des Koalitionskrieges gegen innere wie äußere Bedrohungen. Ihr schlagt Schlachten in Italien, zieht gegen Briten, Preußen und Co. zu Felde. Und zwischen den rund 30 Missionen treibt ihr die Story wie in Fire Emblem durch zahllose Gespräche voran. Paulines Geschichte vermischt historische Ereignisse mit fiktiven Begebenheiten, es geht um ihr ganz persönliches Ringen, sich zwischen all den Fraktionen zu behaupten. Aber eben auch um das Schicksal Frankreichs.
Alles schön und nett, aber ganz ehrlich: Banner of the Maid spielt man nicht wegen des Plots. Ihr wollt Schlachten schlagen, eure Lieblingscharaktere hochleveln, die Gegner taktisch in die Enge treiben. Das komplexe Sozial-Drumherum eines Fire Emblem mit Liebesbeziehungen, Kinderkriegen und so weiter sucht ihr vergebens, die Story bleibt oberflächlich. Aber trotzdem ist die historische Kulisse klasse: Die Krisen der Französischen Revolution sind ein herrlich unverbrauchter Schauplatz - alleine deshalb bin ich motiviert, in die Pariser Vergangenheit einzutauchen.
Mehr zur Faszination historischer Spiele gibt's übrigens in unserem Experten-Podcast mit History-YouTuber Steinwallen. Und hier seht ihr Banner of the Maid mal in Bewegung:
Wieso macht das Spaß?
Die Schlachten von Banner of the Maid laufen rundenbasiert ab. Ziemlich exakt wie in Nintendos Fire Emblem. Ihr verschiebt Pauline und eine Handvoll Generäle Zug um Zug durch die Landschaft, um gegnerische Truppen smart zu bezwingen. Jeder Anführer beziehungsweise jede Anführerin bringt automatisch ein eigenes Regiment mit, das ihr beim Angriff auf die Feinde loslasst. Anders als in Fire Emblem oder XCOM repräsentiert eine Figur also keinen einzelnen Helden, sondern ein ganzes Regiment. Wenig überraschend bringen die jeweils eigene Fähigkeiten mit: Artillerie-Generäle wie die chronisch betrunkene Paulette ballern mit ihren Truppen aus weiter Ferne.
Die schwere Kavalleristin Oscar ist dann am stärksten, wenn sie mit ihrem Reiterregiment über weite Strecken Anlauf nehmen kann, bevor sie einen Feind zu Klump galoppiert. Und Fußtruppen wie der treue Jeans Lannes schießen die Reiterei in Windeseile vom Pferd. Jede der vier Kampfklassen hat Vor- wie Nachteile, klassisches »Schere, Stein, Papier« und ... ähm ... Brunnen. Für jede erfolgreiche Aktion sammeln eure Truppen Erfahrung, steigen mit der Zeit im Level auf und können zu mächtigeren Spezialregimentern befördert werden.
Aus diesem simplen Prinzip entspinnt sich das gleiche faszinierende Kopfkino wie in einem XCOM: Eure Generäle wachsen euch ans Herz wie in einem Rollenspiel, während ihr Runde um Runde strategisch abwägt. Wenn dann die schwachbrüstige Spionin Adelaide im Alleingang mit allerletzter Kraft eine Mauerbresche gegen England verteidigt, um Pauline und Co. die Flanke zu decken, macht eure Fantasie daraus ein zweites Helms Klamm.
Szenarien wie dieses entwickeln sich ganz automatisch im Schlachtgetümmel. Wenn die Reitertrupps von Desaix und Oscar Seite an Seite durch feindliche Heerscharen stürmen, um in einem Selbstmordkommando eine Zivilistin zu decken. Oder Pauline und ihre Leute sechs Runden lang anstürmende Piraten abwehren, nur um durch ankommende Truppen in letzter Sekunde das Blatt zu wenden. Wer auf diese Art Schlachtfeld-Storytelling steht, erlebt hier rund zehn bis 15 wirklich fesselnde Spielstunden.
Für wen lohnt sich Banner of the Maid?
Bei allen Jubel-Fanfaren für dieses grandiose Rundentaktik-Kopfkino will ich eure Erwartungen aber nicht zu weit in die Höhe treiben: Man merkt Banner of the Maid an, dass es von einem winzigen chinesischen Indie-Studio stammt. Im Vergleich zu Fire Emblem und XCOM wirkt das alles reduziert. Nur einige wenige Truppentypen, recht überschaubare Missionen. Außerdem fehlt manchen Gefechten die taktische Flexibilität: In einigen Schlachten zeichnet sich ein klarer Königsweg ab, während alle andere Strategien es deutlich schwerer haben.
Und zwischen den Einsätzen könnt ihr zwar diverse französische Fraktionen besuchen (zum Beispiel Jakobiner und Royalisten), euch bei ihnen durch Nebenquests und die richtigen Dialogentscheidungen auch beliebt machen, aber so wirklich viel Fleisch hat dieses Paris-Gameplay nicht auf den Rippen. Meist kaufe ich mir bloß ein paar Waffen und stürze mich wieder ins Gefecht.
Gerade Nintendos jüngere Fire-Emblem-Spiele bieten hier so viel mehr Einheiten-Management, Rollenspiel-Möglichkeiten und Story-Tiefe. Aber Banner of the Maid kostet selbst ohne Steam Sale bloß 17 Euro, während ihr für die Konkurrenz 50 Euro latzt. Lasst euch also vom Anime-Look nicht sofort vergraulen. Banner of the Maid ist ein wirklich cooles Taktik-Spiel - wenn auch von der etwas anderen Sorte.
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