Jürgen Fritz ist ein freundlicher älterer Herr, Professor für Spielpädagogik, sie ist sein Steckenpferd seit mehr als 30 Jahren; er gilt als ruhig und umgänglich. Christian Pfeiffer, hager, von puritanischem Ernst, ist im Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen mitunter schwer zu erreichen, er tourt von einem Termin zum nächsten, ein gefragter Mann. Die beiden Herren haben noch nie miteinander gesprochen. Dennoch verbindet sie dieser Tage ein eigenartiger Streit.
Fritz, der Pädagoge, hat im Frühjahr ein Buch herausgegeben, das Eltern und Lehrern Rat verspricht: »Computerspiele(r) verstehen« heißt es. Das allein wäre nicht ungewöhnlich, pädagogische Literatur über Computerspiele gibt es mittlerweile reichlich. Doch das Buch erscheint bei der Bundeszentrale für politische Bildung, hat also einen offiziellen Anstrich und wird, so Christian Pfeiffer pikiert, »staatlich subventioniert« – zwei Euro kostet der 320 Seiten dicke Band, innerhalb von zwei Monaten waren 5.000 der 12.000 gedruckten Exemplare abgesetzt. Dann wurde der Verkauf gestoppt. Schuld daran ist Pfeiffer, der Kriminologe. Er hat das Buch abschießen lassen. Es gibt einen offiziellen Grund dafür und einen anderen, dahinterstehenden, und dieser zweite Grund hat viel mit gekränktem Stolz zu tun, mit Deutungskämpfen und der Frage, wie man in Deutschland über Computerspiele denken soll und wie nicht.
Abgeschossen
Es ist der 5. März 2008, an der Fachhochschule Köln drängt eine Traube von Menschen in die Aula zum Kongress »Clash of Realities«, einer Tagung von Spieleforschern. Im Vorraum sind Tische aufgebaut, darauf liegt in kleinen Stapeln ein Buch: »Computerspiele(r) verstehen«. Eine Neuerscheinung, erfährt man, die in Kürze in den Verkauf gehe, Kongressteilnehmer bekommen ein Gratisexemplar. Band 671 in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung ist nüchtern aufgemacht, auf der Titelseite zeigt ein Foto eine Messeszene. Man muss zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass damit Computerspiele gemeint sein könnten. Ein unscheinbares Buch, die meisten Besucher lassen es liegen.
Vielleicht dauert es nur Tage, vielleicht einige Wochen, aber irgendwann erreicht das Buch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN). Dort liest man es mit Aufmerksamkeit, denn es enthält Essays von Forschern, deren Ansichten in Hannover beargwöhnt werden. Man stutzt. Ärgert sich. Bildet schließlich ein drei Mann starkes Spezialteam, dessen Aufgabe es ist, das Buch auf Schwachstellen abzuklopfen. Und auseinander zu nehmen.
Die Rezension erscheint Anfang Mai auf der Website des KFN, sie fällt vernichtend aus. »Verharmlosung und Beschwichtigung« heißt die Überschrift, auf 19 Seiten zerrupfen die Autoren Beitrag um Beitrag, entdecken in den Texten »Naivität«, »fehlende Reflektion«, »verkürzte Sichtweisen«, Unsachlichkeit und immer wieder Verharmlosung, Verharmlosung, Verharmlosung. Die KFN-Mitarbeiter stört insbesondere, dass ihre eigenen Forschungsergebnisse in dem Band nicht berücksichtigt werden. Das KFN steht Computerspielen kritisch gegenüber, es betont seit Jahren deren Risiken.
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