Ob Satinavs Ketten, Edna bricht aus oder The Whispered World: Die Hamburger Firma Daedalic ist im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens zum weltweit größten Produzenten für klassische Adventures aufgestiegen. Umso überraschender, dass die Daedalic Days 2016 (stilecht inszeniert an Bord eines alten Frachtschiffs) ganz andere Genres in den Fokus rücken.
Einzig das im Hauruck-Verfahren veröffentlichte Deponia Doomsday steht auf der Abenteuer-Agenda. Daedalics derzeit wohl wichtigste und teuerste Produktion Silence glänzt hingegen durch Abwesenheit - von einem Release im Oktober ist nunmehr die Rede. Die Lücke soll ein Quartett an Titeln füllen, das ebenso variantenreich wie unterhaltsam daherkommt: Wir haben Candle, Caravan, Crazy Machines 3 und The Long Journey Home ausprobiert.
Candle
Worum geht's?
Die Mixtur aus Rätseln, Plattform-Elementen und esoterisch angehauchter Inszenierung erinnert Kenner sofort an den Indie-Hit Braid von Jonathan Blow (The Witness). Protagonist Teku spaziert durch eine mystische Spielwelt, die komplett per Wasserfarben auf echtem Papier gezeichnet und hinterher eingescannt wurde.
Im Mittelpunkt steht dabei die titelgebende Kerze, respektive Tekus magischer Flammenfinger: Mit der kleinen Funzel entzündet man Objekte, um so beispielsweise den weiteren Weg durch die im Metroidvania-Stil aufgebaute Umgebung freizumachen. Auch in finsteren Höhlen und bei der Abschreckung von Unholden leistet die Fackel wichtige Dienste. Das Interface bleibt dabei betont spärlich: Nähert man sich einem manipulierbarem Gegenstand, so wird die mögliche Interaktion als kryptisches Symbol eingeblendet.
Wer steckt dahinter?
Die spanischen Teku Studios wurden 2012 von zwei Studenten gegründet - inzwischen besteht das Indie-Team aus sechs Mitarbeitern. Das Debüt-Projekt Candle sammelte per Crowdfunding insgesamt knapp 52.000 US-Dollar ein.
Was ist toll, was doof?
Der Aquarell-Look von Candle ist zwar ein echter Hingucker, die vielen Details erschweren jedoch den Spielablauf: Denn die Differenzierung von begehbarer Ebene und Hintergrund-Dekoration gestaltet sich mitunter schwierig. Zudem fallen bereits die ersten Rätsel recht knackig und undurchsichtig aus: Ohne geduldiges Rumprobieren kommt man hier nicht weit. Bis zum Release am 14. April dürfte sich daran leider kaum noch etwas ändern.
Caravan
Worum geht's?
Hier ist der Name tatsächlich Programm: Als Anführer einer Karavane wandert man durch den Orient des Mittelalters und erlebt seine ganz eigene Geschichte aus 1001 Nacht. Im Stil des Taktik-Knallers The Banner Saga betrachtet man die Gewaltmärsche aus einer seitlichen 2D-Perspektive - das Ziel einer jeden Reise wird zuvor auf einer Karte ausgewählt. Zufallsbegegnungen, Gespräche unter den Karawanen-Mitgliedern und Ressourcen-Management (Stichwort: Wasser) peppen die automatisch ablaufenden Spaziergänge auf.
Um den Trupp auf Dauer finanzieren zu können, ist reger Handel nötig: Rohstoffe günstig einkaufen und dann woanders teuer verscherbeln - das Prinzip ist zwar altbekannt, wird jedoch durch ein Minispiel aufgelockert. Je besser die Skills des eigenen Verhandlungsführers und je schlauer man Würfel sortiert, desto mehr Rabatt kann man beim Feilschen rausschlagen. Kämpfe laufen ähnlich ab, sollten aber vermieden werden - denn einmal niedergestreckte Charaktere bleiben für immer im Wüstensand zurück.
Wer steckt dahinter?
Caravan ist eine Entwicklung Made in Germany: Die virtuelle Kameltreiberei wird von der Berliner Firma It Matters Games produziert. Das kleine Team gehört zu einem Studio-Verbund namens Remote Control Productions und hat sich bislang vor allem im Mobile-Markt mit Titeln wie My Dolphin Show einen Namen gemacht.
Was ist toll, was doof?
Auch wenn Caravan in rein technischer Hinsicht wenig spektakulär wirkt, so versprüht die Präsentation im Stil einer antiken Wandmalerei doch enorm viel Charme. Zudem verläuft dank zahlreicher Stellschrauben keine Wüstentour wie die andere. Freunde geruhsam-strategischer Kost sollten hier also richtig sein. Fraglich indes, ob auch die Langzeitmotivation stimmt. Denn viele Elemente wirken nicht unbedingt tiefgründig. Als Release-Zeitraum wird aktuell das 2. Quartal 2016 angegeben.
Crazy Machines 3
Worum geht's?
Na um verrückte Maschinen natürlich! Die bekannte Serie bleibt ihren Wurzeln treu und bietet auch im dritten Teil wieder Puzzles, bei denen man unvollständige Gerätschaften mit passenden Objekten reparieren muss. So nutzen wir beispielsweise ein Sofa und eine Badewanne auf Rädern, um Goldklumpen sicher ans Ziel einer Schürfvorrichtung zu transportieren. Sämtliches Level-Inventar besteht hierbei aus dreidimensionalen Polygonen und verfügt über authentische Physik-Eigenschaften: Drückt man den Auslöser-Knopf, so wird also eine entsprechende Simulation gestartet - und kein vorgefertigter Skript-Verlauf abgespult.
Der wohl spannendste Teil des Spiels ist jedoch sein überaus mächtiger Editor: Mit wenigen Mausklicks lassen sich nicht nur komplexe Aufgaben, sondern auch ausgeklügelte Maschinen bauen. Denn einzelne Elemente können miteinander kombiniert und physikalisch verändert werden. Einem Gummihund mit Raketenantrieb steht also nichts im Wege. Sämtliche Kreationen können sodann per direkter Steam-Workshop-Anbindung online geteilt werden.
Wer steckt dahinter?
FAKT Software besteht bereits seit 1999 und kümmert sich vom Standort Leipzig aus um die Geschicke der Crazy Machines-Reihe. Die Firma entwickelt jedoch nicht nur Spiele, sondern auch Business-Anwendungen und Smartphone-Apps.
Was ist toll, was doof?
Die 3D-Grafik von Crazy Machines 3 kann sich wirklich sehen lassen, auch wenn das Design und die Beleuchtung arg klinisch unterkühlt herüberkommen. Das Potenzial des Editors ist indes ohne Frage enorm, allerdings muss noch am Bedienkomfort gearbeitet werden. Generell merkt man dem Spiel ein bisschen an, dass FAKT Software recht bürokratisch an die Sache herangeht - mehr Spaß und weniger Physikunterricht, bitte!
The Long Journey Home
Worum geht's?
Mit Lichtgeschwindigkeit ins Verderben: Der Jungfernflug eines Raumschiffs geht derart schief, dass sich seine Crew in einem unbekannten Sternensystem wiederfindet. Und The Long Journey Home erzählt von der ebenso beschwerlichen wie ereignisreichen Heimreise. Spielerisch erwartet uns eine Hommage an die Klassiker Star Control und Pirates!, gewürzt mit Elementen des aktuell angesagten Rogue-Genres. So manövriert man sein Shuttle durch die Galaxie, erforscht Hunderte von Planeten und trifft auf Alienrassen. Letztere Begegnungen laufen ziemlich innovativ ab: Wie bei einem alten LucasArts-Adventure setzt man Satzbausteine zusammen - welche Worte zur Auswahl stehen, das hängt vom bisher Erlebten ab.
Ebenfalls erstaunlich: Die Spielwelt wird prozedural und (anhand von Basisparametern) zufällig erstellt. Um die Handlung dennoch stringent erzählen zu können, kanalisieren die Entwickler den Fortgang durch Sprungtore, die jeweils den Weg in den nächsten Sektor verbauen. Mehrspieler-Funktionen im klassischen Sinn sind zwar nicht geplant, der Austausch mit Gleichgesinnten wird jedoch durch einen genialen Kniff gefördert: Per freier Code-Eingabe kann man die Generierung der Zufalls-Galaxie nämlich beeinflussen. Geben also zwei Spieler zum Start denselben Text (etwa »GameStar-Universum«) ein, so sind die beiden Sternensysteme identisch.
Wer steckt dahinter?
Seit August 2014 unterhält Daedalic neben seinem Hamburger Hauptsitz auch ein Studio in Düsseldorf. Erstes Projekt von Daedalic West ist eben The Long Journey Home. Als kreativer Kopf fungiert mit Andreas Suika ein Mann, der bei Blue Byte lange Jahre maßgeblich an Episoden der Siedler-Serie mitgearbeitet hat.
Was ist toll, was doof?
The Long Journey Home ist abseits der typischen Adventures das aktuell spannendste Spiel von Daedalic. Die einzelnen Elemente sind ebenso klug wie ideenreich aufgebaut, der Umfang stimmt dann prozeduraler Technik ebenfalls. Nun liegt es an den Entwicklern, die Bausteine zu einem funktionierenden Weltraum-Abenteuer zusammenzufügen - was angesichts der komplexen Systeme durchaus noch schiefgehen kann. Nicht umsonst gibt Andreas Suika zu, dass »die Siedler-Teile im Vergleich zu The Long Journey Home fast schon kleine, unkomplizierte Spiele waren«.
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