Seite 2: Die größten Spiele-Klischees - Teil 1 - Rote Fässer, Gedächtnisverlust & Co.

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Das endlose Inventar

Der namenlose Held aus der Gothic-Reihe ist der stärkste Mensch aller Zeiten. Nein, nicht weil er die Orks oder einen untoten Drachen besiegt hat, Das ist Kinderkram. Aber schleppen Sie mal 13 Zweihänder, 21 Knüppel, 45 Wolfspelze, 5 komplette Rüstungen, 55 Stück Fleisch, 40 Heiltränke, die komplette Kräuter-Flora eines Kontinents und 51.344 Goldstücke mit sich herum. Und das ohne zu schnaufen, im Dauerlauf und in Kampfsituationen sowie beim Springen und Schwimmen!

Risen: Versuchen Sie mal, so viel mit sich herumzuschleppen! Allein an den 43 Fackeln werden Sie schon scheitern. Risen: Versuchen Sie mal, so viel mit sich herumzuschleppen! Allein an den 43 Fackeln werden Sie schon scheitern.

Auch Guybrush Threepwood und Co. aus den Adventures lassen Leitern, Affen, Kessel oder schwere Schatztruhen in ihren Taschen verschwinden. »Schummelei!« mögen da die Heldenkollegen aus Diablo, Oblivion oder Dragon Age: Origins rufen, denn die haben zumindest platz- oder gewichtslimitierte Inventare. Aber ist es so viel realistischer, wie der Held in Diablo drei Plattenrüstungen mit sich herumzuschleppen oder wie die Rollenspielkollegen permanent mit 50-80 kg Gepäck unterwegs zu sein? Was sagt eigentlich Niko Bellic (GTA 4) dazu, der unter seinem Trainingsanzug eine Pistole, eine Uzi, ein Sturmgewehr, ein Scharfschützengewehr sowie einen Raketenwerfer versteckt, dazu noch tausend Schuss an Ersatzmunition sowie Granaten? Nicht anders machen es viele Shooter-Kollegen. Und Gordon Freeman schweigt sich zu dem Thema lieber aus.

Nahe zu jede Form von Inventar ist ein Kompromiss zwischen Realismus und Spielbarkeit. Nehmen Sie zum Beispiel mal einen Heftordner, Dokumente oder auch nur einen Wecker in die Hand, und verstauen Sie die Sachen ungesehen an oder in Ihrer Alltagskleidung, von einem Morgenstern oder den Lederstiefeln +2 mal ganz zu schweigen. Spiele wie Adventures leben nun mal davon, dass der Held Gegenstände nach Belieben einsammeln und im Spielverlauf kombinieren und einsetzen kann. Rollenspiele und vor allem Action-Rollenspiele beziehen einen Großteil Ihrer Motivation aus den zu erbeutenden Items, Waffen und Rüstungen. Je mehr, je stärker, je mächtiger, umso besser.

Auf dem Weg aus diesem Dilemma sind die Entwickler erfinderisch geworden. Shooter beschneiden zunehmend die Waffenzahl (Halo, Call of Duty), in Rollenspielen beschränken entweder Charakterwerte oder eine vorgegebene Zahl von Feldern den Rucksack, und Spiele wie Mass Effect 2 schaffen das Inventar im Wesentlichen ganz ab. Trotz all dieser Operationen am Patienten »Inventarsystem«, werden wir wohl auch weiterhin mit seinen unrealistischen Ausformungen leben müssen. Ehrlich gesagt wollen wir es ja auch so. Wer will schließlich nicht so stark sein wie der namenlose Held aus Gothic?

Von Schalterrätseln und Druckplatten

Stellen Sie sich mal vor, Sie besäßen ein unglaubliches Vermögen oder ein ungeheuer mächtiges Artefakt oder ein finsteres Geheimnis, von dem die Welt nie erfahren darf. Was würden Sie tun, um es in Sicherheit zu wissen? Den sichersten Safe der Welt kaufen, es unzugänglich einmauern, im tiefsten Meer versenken oder gleich endgültig vernichten? Das klingt logisch.

Drakensang: Am Fluss der Zeit: Die wahrscheinlich sicherste Methode, einen Dämon zu bannen: ein Drehspielchen. Drakensang: Am Fluss der Zeit: Die wahrscheinlich sicherste Methode, einen Dämon zu bannen: ein Drehspielchen.

Sollten Sie es nur einsperren wollen, würden Sie doch dafür Sorge tragen, dass es ein bombensicheres Schloss ist und niemand den Schlüssel bekommt? Na klar! Doch was machen stattdessen all die Könige, Magier, Schurken, Verbrecher und Großväter dieser Computerspiele-Welt? Sie sichern ihr Wertvollstes mit Rätseln! Noch dazu oftmals mit solchen, die jedes achtjährige Kind nach ein paar Minuten Nachdenken lösen könnte, wie zum Beispiel das nicht totzukriegende Verschiebebild-Puzzle (Black Mirror 2). Oder es sind ewige Rätselklassiker der Marke »Acht-Damen-Problem im Schach« (The Whispered World) oder »Nutze ein 5-Liter- und ein 3 Liter-Gefäß, um 4 Liter abzufüllen« (Knights of the Old Republic). Zumeist fällt den klügsten oder finstersten Köpfen der Geschichte nichts Besseres ein als Schalterkombinationen, Druckplatten-Mechanismen, Dreh- und Rechenspielchen oder im schlimmsten Falle sogar Worträtsel. Dass vor uns kein anderer Held diese »Herausforderungen« meistern konnte und der Schatz nicht schon mindestens zehnmal vom anderen Abenteuern geplündert wurde, grenzt jedes Mal aufs Neue an ein Wunder.

Geschickt eingesetzte und hübsch in die Handlung integrierte Logikspielchen können das Spielgeschehen durchaus auflockern und den Spieler fordern. Doch die viele Entwickler begnügen sich mit Minispiel-Rätseln als Füllmasse, um das Abenteuer zu strecken, was oft einfach nur nervt. Zudem ist es sehr schwer, den Schwierigkeitsgrad auf die Spieler abzustimmen. Während die einen das Rätsel als Herausforderung für Grundschüler empfinden, sind andere schon durch simple Verschiebebild frustiert.

Gedächtnisverlust als Segen

Was für ein Morgen! Kaum erwacht, schon kracht und scheppert es: Unbekannte schießen auf uns, andere Unbekannte sterben um uns herum. Der Ort ist uns unbekannt, die Gesichter auch, eigentlich alles. Und wer sind wir? Was können wir? Und was haben wir zuvor getan? Was zum Geier ist hier nur los?

Drakensang: Am Fluss der Zeit: Die wahrscheinlich sicherste Methode, einen Dämon zu bannen: ein Drehspielchen. Drakensang: Am Fluss der Zeit: Die wahrscheinlich sicherste Methode, einen Dämon zu bannen: ein Drehspielchen.

Kommt Ihnen dieses Szenario bekannt vor? Dann haben Sie wahrscheinlich Knights of the Old Republic gespielt. Oder den Comic-Shooter XIII. Oder The Witcher. Mit schöner Regelmäßigkeit sucht der Gedächtnisverlust uns Spieler vor dem Bildschirm heim. Das Spektrum an Amnesie-Varianten reicht dabei von partiellem Gedächtnisschwund nach einem Mord (Fahrenheit) oder einer Heldentat (Gothic 2) bis zum Totalverlust aller Erinnerungen (KotOR, The Witcher). Wer Spielehelden betrachtet, muss zu dem Schluss kommen: Harte Kerle, aber die Birne scheint eher weich zu sein.

Ein Großteil der Faszination an Computerspielen liegt in der Identifikation mit der Spielfigur. Die Spieler handeln an Stelle ihrer Avatare, sie kommunizieren für sie, übernehmen ihre charakterliche Fortbildung (Levelaufstieg) und steuern sie im Kampf. Dieses Spielen einer Rolle unterliegt aber Einschränkungen. Je nach Handlungsgehalt des jeweiligen Spiels wird der Spieler in ein Korsett aus vorgegebener Biographie, sozialem Umfeld und aktuellen Situationen gepresst. Das wiederum kann die Identifikation erschweren. Wenn zum Beispiel Niko Bellic in GTA 4 aufgrund seiner Kriegstraumata ungehalten jähzornig reagiert und auf der anderen Seite seiner Nervensäge von Cousin alles nachsieht, dann kann das je nach subjektivem Empfinden des Spielers die Identifikation verstärken oder ins Gegenteil verkehren. Je mehr Weißstellen die Entwickler dem Charakter zugestehen, umso mehr kann der Spieler seine eigene Persönlichkeit hineinprojizieren. Das funktioniert besonders elegant über Lücken in der Biographie, bevorzugt durch Amnesie hervorgerufen. So ist der Spieler selber motiviert, diese weißen Flecken auf der Karte zu füllen, indem er der Vergangenheit nachspürt.

Meist ist der Gedächtnisschwund von großer Handlungs- und Persönlichkeitsrelevanz (Verschwörung, Mord, Sith-Lord!), trotzdem kann der Spieler noch frei entscheiden, ob er sich sein Handeln vor dem Gedächtnisverlust als Teil seines Avatars aneignen möchte oder nicht. Alternativ dienen partielle Gedächtnisverluste als Übergang zu Fortsetzungen, um neuen Spielern den Einstieg zu erleichtern und um das Gedächtnis der alten Serienveteranen wieder aufzufrischen. Auf jeden Fall werden Gedächtnislücken den Spieler vor und die Charaktere auf dem Bildschirm auch in Zukunft noch oft heim suchen.

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