Diktator mit Schnuller - Tropicos größte Stärke ist Banane

Unter »Emergent Storytelling« verbirgt sich eine Wunderwaffe von Spielen. Laut Dimi brilliert Tropico genau dort. Ähnlich wie Die Sims. Oder PUBG.

In Tropico erlebt man absurde Geschichten. Und die begeistern selbst Genre-Muffel. In Tropico erlebt man absurde Geschichten. Und die begeistern selbst Genre-Muffel.

Kennt ihr Alberto, den Schnuller-Diktator? Nein? Na gut, nicht weiter schlimm, schließlich habe ich diesen dubiosen Politiker nur ein einziges Mal mit der Welt geteilt: Im Testvideo zu Tropico 5, das mittlerweile ja schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat. Lustigerweise sind die wilden Eskapaden dieses Alberto das erste, was mir in den Kopf kommt, wenn man mich auf Tropico anspricht. Und hinter dieser Tatsache verbirgt sich das eigentliche Genie der Tropico-Reihe.

Aber eins nach dem anderen: Alberto war - der Schnuller lässt es vermuten - eine sehr komplexe Persönlichkeit. Als El Presidente einer Bananenrepublik konnte er sich mit beherztem Nuckeln nicht zufriedengeben. Ein Staat braucht Unabhängigkeit! Während Alberto offiziell vor den britischen Kolonialherren katzbuckelte, unterstützte er insgeheim deren verhasste Widersacher: die Rebellen.

Er war ein Puppenspieler, der die Unabhängigkeit seiner eigenen Diktatur mit Intrigen und absoluter Kontrolle vorantrieb. Die Massen erstarrten in Ehrfurcht, wenn ihr schnullertragender Anführer sich auf dem Balkon seines Palastes zeigte.

Denn jeder wusste: Wenn man für Stunk im Land des Schnullernucklers sorgt, dann steht in Windeseile eine Spezialeinheit vor der eigenen Haustür, um mit ein paar überzeugenden Worten und einer noch überzeugenderen Kalaschnikow den … ähm … Frieden zu bringen.

Der Autor: Kollege Maurice verzweifelt regelmäßig daran, was für ein Strategiebanause Dimi ist. Insgeheim hat Dimi aber durchaus seine Freude an RTS-Klassikern wie Age of Empires oder Schlacht um Mittelerde. Nur macht's ihm einfach Spaß, Maurice zur Verzweiflung zu treiben. Lediglich bei der Aufbaustrategie laufen Wahrheit und diabolische Täuschung ineinander: Hier konnte bisher nur Tropico Dimis Begeisterung wecken, allerdings aus ziemlich gutem Grund.

Mein ganz persönlicher Diktator

Wie die meisten Menschen, die sich im Erwachsenenalter Babyspielzeug in den Mund stecken, hatte Alberto durchaus seine exzentrischen Seiten. An manchen Tagen saß ihm der Schalk im Nacken. Dann ließ er mitten in Wohnsiedlungen Raketensilos errichten, nur um die Straßenzüge mal so richtig mit Qualm zu fluten. Bisschen Spaß muss schließlich sein.

Alberto, ein Politiker im Spannungsfeld von Paradeuniform und Baby-Spielzeug. Alberto, ein Politiker im Spannungsfeld von Paradeuniform und Baby-Spielzeug.

Oder er pflanzte Nationalparks neben Kohlekraftwerke, um die Umweltschützer in den Wahnsinn zu treiben. Alberto konnte ein bitterböser Scherzkeks sein - denn wer wollte ihn schon aufhalten? Die halbe Regierung seines Landes besetzte er mit den eigenen Familienmitgliedern.

Alberto ist mein ganz persönlicher Diktator. Durch ihn habe ich in Tropico nicht nur den üblichen Machtaufstieg erlebt, um den es in Aufbaustrategiespielen nun mal geht. Nein, im skurrilen Fidel-Castro-Szenario von Tropico landen in meinem Diktatoren-Tagebuch auch unzählige völlig bescheuerte, schwarzhumorige, überdrehte Geschichten.

Gute Geschichten brauchen nicht immer ein Skript

Und damit trumpft Tropico seit dem ersten Serienteil bei einem Aspekt auf, der mich bei Anno und Co. vergleichsweise kalt lässt: Ich erlebe grandiose Geschichten, die ich selbst geschrieben habe. Die Serie brilliert im sogenannten »Emergent Storytelling« - also Geschichten, die rein aus der Spielmechanik entstehen.

Lustigerweise verbirgt sich dahinter der gleiche Mechanismus, der unzählige Spieler an PUBG, Die Sims 4 und Skyrim begeistert: Das Gefühl, man müsse seine eigenen bekloppten Erlebnisse eigentlich in einem Buch festhalten, so denkwürdig fühlen sich all die Anekdoten an.

Panzer gehören zu Albertos liebsten rhetorischen Mitteln. Panzer gehören zu Albertos liebsten rhetorischen Mitteln.

Interaktive Geschichten brauchen nicht zwangsläufig ein Drehbuch, es reichen kreative Spieler in einer ebenso kreativen Sandbox. PUBG-Spieler erzählen sich die wildesten Storys über ihre Erlebnisse im Battle Royale; Aktionen, bei denen sie nur durch eine Bratpfanne am Hintern überleben konnten. In Die Sims errichten sich indes morbide Chaos-Orchestratoren eine Dynastie aus Geistern, indem sie Swimming-Pool-Schwimmern ihre Leitern klauen.

Es gibt viele Dinge, die bei Spielen im Gedächtnis bleiben können. spielerische Stärken, grandiose Bosskämpfe, knallharte Schwierigkeitsgrade. Bei Tropico erinnere ich mich vor allem an die Geschichten, die ich mir selbst damit erzählt habe.

Und ja, auch bei Anno und RTS-Kollegen wie Company of Heroes berichten mir Freunde von ihren Erlebnissen. Auch dort verbirgt sich Emergent Storytelling. Allerdings sind diese Schilderungen selten so wunderbar Banane wie meine Erlebnisse in der Bananenrepublik von Alberto.

Albertos vermeintliches Paradies verbinde ich mit haufenweise skurrilen Geschichten. Albertos vermeintliches Paradies verbinde ich mit haufenweise skurrilen Geschichten.

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