Schwache Konsequenzen
Doch wie denken sich die Entwickler diese Entscheidungen aus? Und warum ist die Entscheidung, wer ein magisches Kind erziehen darf, dann doch wieder so schwierig? Keine Belohnung, keine große Moral, keine dramatischen Duelle, nur zwei Frauen, ein Kind und für den Hexer Geralt die Aussicht auf ein Leben nach der Monsterjagd. Warum schaffen es Spiele wie The Witcher, mich stutzig zu machen, zu unbequemen Entscheidungen zu zwingen? Und warum gehen die meisten Entscheidungen, die ich in anderen Spielen treffe, so leicht von der Hand?
»Das Spiel liegt außerhalb von Weisheit und Torheit, es liegt aber auch außerhalb von Wahrheit und Unwahrheit und von Gut und Böse«, schreibt 1938 der niederländische Kulturwissenschaftler Johan Huizinga in »Homo Ludens«. Spiele, so Huizinga, sind keine idealen Träger von Moral. Es liegt also in der Natur der Sache, dass sich Spiele oft selbst so schwer tun mit schwierigen Entscheidungen. Denn Spiele müssen vor allem als System aus Regeln und möglichen Aktionen funktionieren. Durch die Kombination von Bild, Ton und Interface machen mir gute Spiele klar, welche Folgen meine Entscheidungen haben. Ich drücke die Maustaste, und der Duke schießt. Jede wiederholbare Aktion im Spiel muss einen vorhersehbaren Effekt haben, sonst kann sie frustrieren. Wenn ich klicke, der Duke aber nicht schießt, dann bin ich enttäuscht. Warum sollte diese Vorhersehbarkeit bei Entscheidungen anders sein?
Ein Spiel muss Feedback geben über getroffene Entscheidungen. Die Einteilung in Gut und Böse soll mir ermöglichen, die Konsequenzen meiner Entscheidungen besser einzuschätzen – etwas, das ich bei Entscheidungen im echten Leben schmerzlich vermisse. »Starre Gut-Böse-Systeme helfen«, sagt Casey Hudson. »Sie können bestimmte Situationen klarer darstellen und geben Spielern Feedback darüber, welche Rolle sie gespielt haben.« Wenn ich in Knights of The Old Republiceinen Streit zwischen zwei Familienclans schlichte, belohnt mich das Spiel mit Gutmensch-Punkten. Wenn ich die Familien gegeneinander ausspiele und in ein Massaker hetzte, sammle ich Bösewicht-Zähler. So einfach kann Moral sein.
Außerdem müssen Spiele wiederholbar sein - und fair. Wenn Gordon Freeman von den Combine niedergeschossen wird, dann deinstalliert sich Half-Life 2nicht automatisch, sondern lädt einen Spielstand für einen weiteren Versuch. Wenn eine Entscheidung zu einem unerwünschten, nicht idealen Ergebnis führt, dann lade ich eben einen älteren Spielstand, der zum besseren Ergebnis führt. Zugleich sollten Spieler durch eine getroffene Entscheidung nicht schwer benachteiligt werden. Denn auch das führt zu Frust. Und da die Spieleentwicklung heutzutage Millionenbudgets verschlingt, müssen sich die Entwickler bemühen, Frust zu vermieden, um möglichst viele Fans anzulocken und die hohen Kosten wieder einzuspielen. Je schwächer die Konsequenzen einer Entscheidung ausfallen, desto mehr zufriedene Käufer gibt es. Auch so einfach kann Moral sein.
Keine falschen Entscheidungen
Wie also können Spiele trotzdem unbequeme Fragen stellen? In einem 2009 veröffentlichten Artikel im wissenschaftlichen Journal Game Studies erklärt der Spieleforscher Marcus Schulzke, wie eine bedeutende Entscheidung in einem Spiel aussehen muss: »Das Ideal ist ein Szenario mit einem moralischen Dilemma mit dem Potenzial für gute und schlechte Ausgänge, die bedeutende Folgen mit sich tragen, über die Spieler aber nur begrenztes Wissen verfügen sollten.« Schulzke verfolgt damit ein klares Ideal, das man in wissenschaftlichen Artikeln zum Spieldesign eher selten findet.
Es ist aber ein Ideal, das nur schwer zu verwirklichen ist. Unklarheit, so der aktuelle Design-Standard, führt zu Frust. »Es sollte keine ›falschen‹ Entscheidungen geben«, sagt auch Sebastian Stepien, »falsche Entscheidungen gibt es nur in Logik-Puzzles. Bei Entscheidungen in Geschichten, bei Entscheidungen, in denen es um Weltanschauung, um Moral, um Ehrlichkeit geht, sollte es keine ›korrekte‹ Lösung geben. Eine Spielwelt sollte glaubhaft auf die Entscheidungen der Spieler reagieren und die positiven und negativen Effekte einer Wahl zeigen, ohne Spieler dafür zu verurteilen.«
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