Früher war ich verrückt nach einer Fernsehshow, in der ein maskierter Magier die Tricks bekannter Zauberkünstler enthüllte. Egal ob scheinbar bombenfeste Fesseln, zerschnittene Frauen oder Kaninchen im Hut - hinter allem steckt nur eine geniale Täuschung.
Die Wahrheit zu kennen ist spannend, aber auch ein wenig enttäuschend. Will ich die unsichtbaren Fäden wirklich sehen? Oder die Illusion genießen, die extra für mich geschaffen wird? Harmony: The Fall of Reverie ist wie der Magier mit der Maske. Die Erzähler hinter dem großartigen Life is Strange enthüllen in ihrem neuen Adventure von vornherein das Skelett ihrer Geschichte.
Während die Folgen für Max und Chloe oft unabsehbar waren, taste ich mich nun an Story-Punkten entlang, als wären sie Knochen und Gelenke. Ein interessanter neuer Weg, um Gameplay und Story noch enger zu verknüpfen, aber auch ein Wagnis, das eine Erzählung entzaubern kann. Wie sich das spielt? Das erzähle ich euch jetzt.
Von der Dystopie zur Parallelwelt - und zurück
Harmony verbindet aber auch viel mit Life is Strange: Eine einfühlsame, alltägliche Geschichte kombiniert mit dem Übersinnlichen, das die Normalität ordentlich aufwühlt. Als Polly kehre ich Jahre nach ihrem Umzug nach Atina zurück, einer Mittelmeerinsel, die in bester Cyberpunk-Tradition von einem üblen Konzern kontrolliert wird. Über allem kreisen Drohnen und wer aus der Reihe tanzt, wird eingebuchtet.
Das ist aber nicht Pollys größte Sorge. Zu Hause erfährt sie, dass ihre Mutter Ursula spurlos verschwunden ist. Sie findet nur eine merkwürdige Kette, die sie prompt in eine Parallelwelt saugt - Reverie.
Dort erscheinen ihr sogenannte Bestrebungen, eigentlich abstrakte Konzepte wie Seligkeit oder Macht, die dort ganz ähnlich wie die Götter des Olymps in personifizierter Form leben (Hades lässt grüßen!) und heimlich in die Geschicke der Welt eingreifen. Seligkeit ist zum Beispiel ein stets gut gelauntes, unbedarftes Kind mit bunten Haaren, während Macht als ein grimmiger alter Geschäftsmann auf einem gigantischen Thron sitzt.
Wenn euch jetzt schon der Kopf raucht, geht es euch wie mir am Anfang der etwa viereinhalbstündigen Preview-Version, in der ich die ersten zwei Akte von Harmony spielen konnte.
Obwohl ich mich wie in einer Visual Novel lediglich durch Dialoge und Text-Bildschirme klicke, fühle ich mich anfangs überfordert. Hinzu kommt noch ein Kodex mit noch mehr Info-Overkill über Oxions (eine untergegangene Zivilisation) bis hin zu Egregore (ein übersinnliches Mineral, das die Zukunft sichtbar macht). Ein gemächlicherer Einstieg hätte dem Spiel gutgetan.
Knoten im Gehirn
Erholung für mein armes Gehirn ist aber erstmal nicht in Sicht, denn Harmony lässt mich gleich in die Zukunft blicken. Ich sehe zwar nicht genau, was passiert, aber die sogenannte Mantik zeigt mir ein Netz aus Knotenpunkten - vage beschriebene Ereignisse und Entscheidungen mit unterschiedlichen Bedingungen.
Hinter jedem dieser Punkte verbirgt sich eine kurze Story-Sequenz, die ich ausspiele, bevor ich die nächste Entscheidung treffen muss. Während das bei Life is Strange oder Telltale-Adventures bis auf bestimmte Schlüsselmomente meist im Hintergrund geschieht, sehe ich hier, welche Wahl welchen Pfad eröffnet oder blockiert hat - oder wie ich vorgehen muss, um eine bestimmte Route freizuschalten.
Das gibt mir ein Gefühl von Kontrolle, das mir sonst bei oft unvorhersehbaren Konsequenzen in Spielen fehlt. Trotzdem bleiben die Punkte offen genug, damit die Spannung nicht verloren geht. Allerdings hat es Don’t Nod auch hier für mich übertrieben.
Mal brauche ich eine gewisse Anzahl an Kristallen, mal einen anderen Knotenpunkt, mal muss ich einen ganzen Pfad spielen, um einen Weg freizuschalten - oder er bleibt wegen einer vorherigen Entscheidung verschlossen.
Nach jedem Gespräch in der Mantik zu landen, reißt mich aus dem Erzählfluss und all die unterschiedlichen Blockaden, Timer, Widersprüche oder Kausalitäten der Stationen dort funktionieren so ähnlich, dass sie den Entscheidungsbaum nur verkomplizieren, statt spielerischen Mehrwert zu bieten.
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