Seite 3: Producer-Gruselgeschichten - Teil 1: An der Katastrophe vorbei geschrammt

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Keine bösen Absichten

Das aber nur als kleinen Exkurs. Schon damals, 2003, war solches Geschäftsgebaren am Aussterben. Heute wird die Zusammenarbeit von beiden Seiten in der Regel als finanzielle Partnerschaft begriffen. Zumindest die führenden Publisher haben verstanden, dass sie im Wettbewerb um die besten Studios und die besten jungen Talente nur gewinnen können, wenn sie faire Konditionen und ein kreatives Umfeld schaffen.

Auch Arush hatte keine unlauteren Absichten. Die verhängnisvolle Konstellation war in diesem Falle schlicht durch mehrere unglückliche Umstände entstanden. Ein naives, unerfahrenes Entwicklerteam traf auf einen Publisher, der auf die Zusammenarbeit mit einem solchen Team nicht vorbereitet war. Und beide Parteien wurden durch einen Agenten "verkuppelt", der nur seinen eigenen Profit im Sinn hatte.

Erst kurz vor der Katastrophe konnte die Veröffentlichung von Devastation verschoben werden. Erst kurz vor der Katastrophe konnte die Veröffentlichung von Devastation verschoben werden.

Da wir keinen direkten Kontakt zum Entwickler hatten, konnten wir jedoch nichts weiter tun, als Arush zu überzeugen, wenigstens den Veröffentlichungszeitpunkt zu verschieben. Dort wollte man das ungeliebte Projekt aber nur noch endlich loswerden. Als ihr Vertragspartner, wären wir im Zweifelsfalle gezwungen gewesen, das Spiel auch in seinem katastrophalen Zustand in die Läden zu stellen. Da wir im Grunde nur ein Dienstleister waren, hatten wir keine Handhabe um eine Verschiebung gegen den Willen von Arush durchzusetzen.

Alles, was blieb, war der Versuch, sie mit logischen Argumenten zu überzeugen. Ein Unterfangen, mit dem wir in den ersten Anläufen kläglich scheiterten. Erst nach Tagen des Debattierens gelang uns endlich der Durchbruch. Mein Boss Mike Horneman und ich waren an diesem Tag spät abends auf dem Rückweg von unserem deutschen Vertriebspartner Ascaron, als sich unsere Partner aus Amerika meldeten. Wir fuhren also auf einen Autobahnrastplatz, schalteten die Freisprechanlage ein und diskutierten beim Licht der Leselampe über das weitere Vorgehen.

Über eine Stunde redeten wir auf sie ein, die Veröffentlichung zu verschieben. Ihren und unseren Firmennamen nicht zu beschädigen, indem wir ein so unfertiges Produkt auf den Markt brachten. Am Ende lenkten sie ein.

Späte Einsicht

Zum Glück, muss man dazu sagen. HD Interactive war in dieser Zeit noch im Aufbau begriffen. Hätten uns die Händler am Ende wegen eines unspielbaren Produkts 90% Retouren vor die Tür gekippt, wäre das für uns finanziell ein schwerer Schlag gewesen.

Devastation war lange Zeit in einem katastrophalen Zustand. Devastation war lange Zeit in einem katastrophalen Zustand.

Zudem begannen wir gerade erst damit, uns wenigstens in Holland und Deutschland einen Namen zu machen. Neben Manhattan Project hatte allenfalls die Veröffentlichung des in Deutschland indizierten Spiels Mortyr ein paar Wellen geschlagen. Mit einem Fiasko dieses Ausmaßes in Verbindung gebracht zu werden, hätte unsere Firma auf Monate hin in Misskredit bringen können. So konnten wir Arush zumindest überzeugen, die dringendsten Änderungen vorzunehmen.

Als "Devastation" schließlich erschien, war es in der öffentlichen Wahrnehmung sicherlich dennoch kein großer Erfolg. Das Spiel war nach wie vor in keinem wirklich guten Zustand.

Aber durch die Verschiebungen, die wir erreichen konnten, war es immerhin so weit gediehen, dass es vertretbar wurde, den Titel zu veröffentlichen. In der Presse erreichte es Wertungen im Bereich von um die 70%. Ein Ergebnis, das im Grunde schon einem Wunder gleichkam. Ich kann nur spekulieren, wie viel Arbeit des Entwicklerteam bei Digitalo trotz seiner misslichen Lage noch in das Spiel gesteckt haben muss.

Da unser Firmenlogo im Vorspann stand, erschien uns das Qualitätsniveau trotzdem ehrenrührig. Der Gedanke daran, dass "Devastation" in dieser Form über die Ladentheken ging, war mir in jeder Hinsicht zuwider: als Spieler, als Angestellter von HD Interactive und als ehemaliger Spielehändler.

Auch Mike war damit überaus unglücklich. Doch Arush wollte von einem Patch für das Spiel nichts wissen. Nun, da es endlich im Laden stand, war man dort einfach nur froh, das Projekt vom Hals zu haben. Die einzige Möglichkeit, einen Patch zuwege zu bringen, war ihn gemeinsam mit dem Entwicklerteam auf unsere Kosten selbst zu produzieren.

Und so bin ich dann Producer geworden.

Wenn man nicht alles selbst macht...

In den folgenden Wochen besorgte ich mir die Genehmigung von Arush, einen Patch zu produzieren. Ich baute einen Kontakt zum Entwicklerteam auf, dass nach seinen Erfahrungen mit Arush in etwa zu viel Zutrauen hatte wie ein geprügelter Hund. Zum Glück war auch Digitalo extrem unglücklich darüber, wie "Devastation" in den Handel gekommen war. Die Aussicht, ihr Spiel doch noch nachbessern zu können, war letztlich stärker als ihre Vorbehalte.

In Deutschland erschien Devastation unter dem Publisher Ascaron. In Deutschland erschien Devastation unter dem Publisher Ascaron.

Gemeinsam erarbeiteten wir eine Liste der bestehenden Mängel, identifizierten die gravierendsten Probleme und ich erstellte daraufhin einen Projektplan, der unserem Budget entsprach. Alle Fehler zu beheben, war zu diesem Zeitpunkt ein Ding der Unmöglichkeit. Manche Probleme waren einfach zu tief im Programmcode verwurzelt. Um sie zu beheben, hätte man das Spiel zur Hälfte neu entwickeln müssen. Doch insgesamt ließ sich ein großer Teil von "Devastations" Problemen beheben oder zumindest abmildern.

Als der Patch schließlich erschien, telefonierte ich ein letztes Mal mit unseren Partnern bei Arush. Obwohl sie keinen Cent zur Entwicklung beigetragen hatten, wollten wir, dass auch die amerikanischen Spieler in den Genuss der Verbesserungen kamen. Doch da Arush in seiner Version einen anderen Kopierschutz benutzte, war unsere Version des Updates mit ihrer Fassung nicht kompatibel.

Mehr widerwillig als begeistert, erklärte man sich dort bereit eine eigene Fassung unseres Patches anzubieten. Wir schickten daher eine ungeschützte Fassung der Software in die USA und seitdem habe ich nichts mehr von Arush gehört.

Es war das letzte Mal, dass wir einen Vertrag unterschrieben haben, bei dem wir keinen Einfluss auf die Entwicklung nehmen konnten. Es zeigte mir, dass ich den Job des Produzenten zumindest besser ausführen konnte, als manch anderer in der Industrie. Und es belegte, was einige wenige bis heute noch nicht begriffen haben: Ein Verhältnis zwischen Publisher und Entwickler, das darauf hinausläuft das sich eine Partei hinstellt und sagt: "Euer Arsch gehört uns!", schadet dem Spiel.

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