Producer-Gruselgeschichten - Teil 1: An der Katastrophe vorbei geschrammt

Spieleentwicklung ist unberechenbar: Auf GameStar.de erzählt Branchen-Veteran Vincent van Diemen die schlimmsten Producer-Gruselgeschichten seiner Karriere. In Teil 1 berichtet er über das Devastation-Debakel.

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Hallo zusammen. Mein Name ist Vincent und ich bin ein Producer. Wie bei vielen Jobs in der Spieleindustrie habt ihr diese Positionsbezeichnung vermutlich schon oft gehört. Meine vermutlich sogar recht häufig, da man uns Produzenten gern losschickt, um der Presse für Interviews zur Verfügung zu stehen.

Das liegt vor allem daran, dass die Abwesenheit des Produzenten meistens nicht dazu führt, dass die Entwicklung ins Stocken gerät. Setzt man hingegen ständig den Lead Designer und den Art Director vor eine Kamera, wartet vielleicht irgendwo ein Grafiker auf seine Freigabe oder neue Arbeitsaufträge. Darüber hinaus sind die meisten von uns geschult darin, Produkte zu präsentieren. Vor allem aber sind alle Beteiligten froh, wenn sie uns Producer für ein paar Tage los sind.

Denn als Producer befindet man sich in einer mitunter heiklen Position, irgendwo zwischen Publisher und Entwickler. Bei den großen Publishern von heute, die viel mit internen Studios zusammenarbeiten, ist er vor allem ein Projektmanager. Jemand, der alle fälligen Arbeitsschritte identifiziert und danach ihre Umsetzung überwacht.

So wie ich den Job gelernt habe, ist er aber auch einer der Hauptverantwortlichen für die Qualität des fertigen Produkts. Auf Entwicklerseite hasst man ihn deswegen gern und oft. Weil er beispielsweise auf die zeitgemäße Erfüllung vertraglich festgelegter Zwischenergebnisse pocht. Im Fachjargon nennt man das "Milestones".

Wenn ihn der Entwickler gerade gut findet, hasst ihn dafür dann meist der Publisher. Zum Beispiel wenn er der PR-Abteilung erklären muss, dass sie den Entwickler nicht alle drei Wochen wegen neuer Screenshots und Videos behelligen kann. Dass der Publisher in der Regel sein Arbeitgeber ist, macht es natürlich besonders spannend, ihm ständig seine Wünsche auszuschlagen. Trotzdem ist Standhaftigkeit an dieser Stelle oft besonders wichtig, um den sauberen Fortgang der Entwicklung zu gewährleisten.

Gerät das Projekt mal in Schwierigkeiten, findet sich der Producer in einer besonders beneidenswerten Position wieder. Dann muss er einerseits seinem Arbeitgeber erklären, warum der mehr Geld investieren muss, als ursprünglich geplant. Dem Arbeitgeber, der ihn eingestellt hat, damit das nicht passiert. Andererseits muss er beim Entwickler mitunter Einschnitte im Spiel durchsetzen, wenn das ursprüngliche Konzept finanziell nicht mehr tragbar erscheint. Dem Entwickler, der in den Monaten bis zur Fertigstellung des Projekts trotzdem motiviert am Ball bleiben soll.

Währenddessen müssen Entwickler und Publisher vielleicht sogar ihren Vertrag neu aushandeln, weil der darin enthaltene Milestone-Plan nicht mehr umsetzbar ist. Der Produzent sitzt dann bei alldem in der Mitte und versucht die Entwicklung trotzdem weiterlaufen zu lassen und zum bestmöglichen Ende zu bringen. Da Softwareentwicklung selten nach Plan verläuft, passiert dies öfter, als einem lieb sein kann.

Artikel von Krawall.de
Die Artikelreihe »Producer-Gruselgeschichten« ist ursprünglich bei unserer Schwester-Website Krawall.de erschienen. Wir präsentieren Teil 1 der Reihe mit freundlicher Genehmigung von Krawall.de.

Einstieg in die Spielebranche

Bevor ich Produzent wurde, war ich Entwickler. Programmierer, um genau zu sein. Nur entwickelte ich keine Spiele, sondern leitete die IT-Abteilung einer Direktmarketing-Firma. Als mir das zu langweilig wurde, nahm ich 1993 meine Ersparnisse und einen Kredit von meinem Schwiegervater und steckte das Geld in meinen eigenen Spieleladen.

Einer meiner ersten Großhändler war eine Firma namens HD Interactive. Mit dem Geschäftsführer dort, Mike Horneman, verstand ich mich auf Anhieb sehr gut. Weil ich einer seiner ersten Kunden überhaupt war, kam Mike bald auch mal in meinem Laden vorbei und über die Zeit wurden wir Freunde.

Sieben Jahre später war seine Firma groß genug, während der Markt für kleine Spielehändler eher zu schrumpfen begann. Also packte ich meine Sachen, machte einen großen Schlussverkauf und ließ mich von Mike als eine Art Produktmanager einstellen. Gemeinsam wollten wir aus der ehemaligen Vertriebsfirma einen richtigen Publisher machen.

Vincent liebt Strategie- und Rollenspiele. Sein Favorit ist "Fallout 2". Das neue XCom findet er toll, vermisst aber die Komplexität des Originals. Vincent liebt Strategie- und Rollenspiele. Sein Favorit ist "Fallout 2". Das neue XCom findet er toll, vermisst aber die Komplexität des Originals.

Der Autor: Vincent van Diemen
In dieser Reihe gibt er drei spannende, mitunter irrsinnige Einblicke in sein Leben als Producer. Vincent lebt mit seiner Frau Trudy, zwei Kindern und einer Katze in Zoeterwoude, Holland. Das Bemerkenswerteste das Vincent über seine Heimatstadt einfällt ist, dass sie der Standort der größten Heineken-Brauerei Europas ist. Seit dem Jahr 2003 arbeitet er als Producer für Computerspiele.

Im Dienste unseres Offenheitsgebotes weisen wir darauf hin, dass Vincent außerdem mit Krawall-Chef Andre Peschke befreundet ist. Es tut ihm leid und er hofft, dass es ihm nicht zum Nachteil ausgelegt wird.

Mit diesem Vorhaben waren wir zunächst sehr erfolgreich. Da es in Holland nicht viele Publisher gab und Mike bereits alle nötigen Kontakte besaß, machte unser Geschäft rasche Fortschritte. Einer der ersten bekannteren Titel in unserem Angebot war damals das Spiel Duke Nukem: Manhattan Project. Ein Spiel, das wir als Co-Publisher für die amerikanische Firma Arush auf den Markt brachten.

Co-Publisher zu sein bedeutete jedoch, dass wir auf die Entwicklung des Spiels keinerlei Einfluss nehmen konnten. Als kleines Unternehmen erwarben wir lediglich die Publishinglizenzen für das betreffende Spiel innerhalb der europäischen Territorien. Den tatsächlichen Vertrieb der physischen Güter übernahmen dann Partner in den unterschiedlichen Ländern, deren Aktivitäten durch uns koordiniert wurden. Dieses erste Projekt lief absolut wunderbar und problemfrei. Als Arush kurze Zeit später mit einem neuen Projekt an die Tür klopfte, sagten wir daher sofort zu.

Ein verheerendes Projekt

Das neue Projekt, das wir in Europa betreuen sollten, war ein Shooter namens Devastation. Ein Spiel, das Arush zusammen mit dem jungen Nachwuchs-Team Digitalo auf die Beine stellen wollte. Basierend auf der damals aktuellen Unreal-Engine sollte "Devastation" ein hübscher, konkurrenzfähiger Shooter werden, der sich zu einem erstaunlich günstigen Preis produzieren lies.

Devastation war ursprünglich als Multiplayer-Mod geplant. Devastation war ursprünglich als Multiplayer-Mod geplant.

Wir fungierten erneut als Co-Publisher, auch diesmal fast ohne Produktionsverantwortung. Wir sollten lediglich bei der Qualitätskontrolle des Spiels assistieren, insbesondere im Hinblick auf die Übersetzung des Titels in die wichtigsten europäischen Sprachen. Diesmal sollte uns diese Art der Zusammenarbeit aber noch sehr leidtun.

Denn unsere Position als Erfüllungsgehilfe sorgte dafür, dass wir nur sehr wenig davon mitbekamen, was sich im Verlauf der Entwicklung von Devastation abspielte. Beispielsweise erfuhren wir erst im Nachhinein von der Produktionsgeschichte des Spiels.

Ursprünglich war "Devastation" nämlich als kostenlose Mehrspieler-Modifikation für Unreal geplant worden. Doch als das Mod-Team erkannte, dass ihr Spiel die Qualität eines kommerziellen Produkts erreichen konnte, wollten sie mehr. Auf der Suche nach Wegen, den Titel einigen Herstellern direkt anzubieten, bissen sie jedoch auf Granit.

Als eines der Team-Mitglieder einen Agenten kennenlernte, der versprach, ihr Produkt bei einem Publisher unter Vertrag zu bringen, sagten sie daher begeistert zu. Als ihnen der gleiche Agent einen Vertrag mit recht haarsträubenden Konditionen vorlegte, unterschrieben sie. Und als Arush in den Vertragsverhandlungen zusätzlich einen Singleplayer-Modus forderte, sagten sie: "Ja!"

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