CD Projekt, EA & Co.: Entlassungen trotz Rekordgewinnen – wie passt das zusammen?

In vielen kleinen wie großen Unternehmen geht derzeit die Job-Angst um – zurecht, denn die Arbeitgeber schreiben Rekordgewinne. Ein Gastkommentar von Petra Fröhlich.

Guten Morgen. Kannst du mal kurz vorbeikommen?

Ich hatte an diesem lauen Sommertag kaum den ersten Kaffee gezogen und den Rechner hochgefahren, da klingelte auch schon das Chefbüro durch. Vermeintliche Routine. Schließlich gab es ja andauernd Anlass, gemeinsam auf Excel-Tabellen zu starren. Doch der Grund war diesmal ein anderer.

Ich blickte in angespannte Gesichter. Setz dich. Folgendes: Wir müssen dir kündigen. Kein geschmeidiger Wie-isses-Smalltalk, kein Rumgedruckse, stattdessen die Arschbombe ins Bällebad. Mit Anlauf.

Ich war so konsterniert, dass ich erstmal nachfragte: Häh? Echt jetzt? Wieso das? Nur ich? Noch andere? Klassische Übersprungshandlung. Spätestens seit der erfolgreichen Teilnahme an Arbeitsrecht-Seminaren hätte ich wissen müssen, dass Wieso-Weshalb-Warum-Fragen in diesem Stadium erstens irrelevant und zweitens sinnlos sind. Weil es darauf keine Antworten gibt, erst recht keine guten. Vielleicht wollte ich einfach nur sicher gehen, dass nicht versehentliches Falschparken auf dem Firmengelände zu dieser Entscheidung geführt hatte.

In dieser Situation gehen einem natürlich die üblichen Gedanken durch den Kopf: Sind die bekloppt? Das können die doch gar nicht. Wie soll das ohne mich / uns gehen? Zur völligen Verblüffung aller Beteiligten stellt sich im Nachgang nahezu immer heraus: Doch, das geht. Das geht sogar ganz prima. Wenn selbst Apple ohne Steve Jobs klar kommt – warum sollte das nicht in ungleich kleinerem Maßstab klappen?

Petra Fröhlich
Petra Fröhlich

Petra Fröhlich war über 22 Jahre durchgehend Bestandteil der Redaktion von PC Games - von 2000 bis 2014 im Amt der Chefredakteurin. Im Juli 2016 startete Fröhlich das Nachrichtenmagazin GamesWirtschaft, inzwischen eines der führenden deutschsprachigen B2B-Angebote mit Schwerpunkt Computerspiele.

Dieser Artikel erschien zuerst bei GamesWirtschaft.de, wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung.

Jedenfalls setzte nach zwei, drei Telefonaten allmählich wieder der Verstand ein; parallel hatten weitere Kannst-du-mal-kurz-vorbeikommen-‚Meetings‘ stattgefunden.

In den folgenden Wochen einigten wir uns darauf, dass ich meinen Vertrag abzüglich Resturlaub komplett erfülle und eine stabile Übergabe organisiere – so, wie wenn ein US-Präsident das Oval Office besenrein an den Nachfolger übergibt, inklusive der Praktikanten. Die Kladde mit den wichtigsten Zugangsdaten, Verträgen und UFO-Sichtungen war demzufolge auch mit ‚ABSCHUSS-CODES‘ beschriftet. Nach einer letzten Stadionrunde durch die Stockwerke und einer Der-Deckel-geht-auf-mich-Mahlzeit mit dem engsten Zirkel war dieses Kapitel dann beendet – nach mehr als zwei Jahrzehnten. Der Rest an sentimentalem Gedöns wurde mit dem Jahreswechsel und reichlich Schaumwein weggespült.

Womöglich kommen Ihnen Szenen wie diese bekannt vor. Schließlich gibt es ähnliche Brüche in faktisch jeder beruflichen Biografie. Warum mir dieses Erlebnis gerade jetzt, in diesen Tagen, neun Jahre später (wieder) in den Sinn kommt, liegt an den vielen, vielen Gesprächen wie den eingangs geschilderten, die in den vergangenen Wochen und Monaten überall in den Personalabteilungen der Republik geführt wurden. Bei Medienhäusern, bei Tech-Riesen, natürlich in der Games-Industrie – in Studios, Agenturen, bei Publishern und in Niederlassungen großer Konzerne. Vieles wird erst mit Verzögerung publik, Einiges per Zufall, Manches gar nicht.

Zuweilen trifft es nur vereinzelte Positionen, oft aber ganze Gewerke, Abteilungen, Standorte und geografische Zuständigkeiten. In Online-Rollenspielen gibt es dafür den schönen Begriff des ‚Wipe‘ – gemeint ist der Fall, dass es eine komplette Gruppe verschworener Paladine, Magier und Hexenmeister trotz bester Vorsätze, bester Ausrüstung und bester Vorbereitung in einem Verlies zerlegt. Erst schwindet die Raumdeckung, dann die Munition, schließlich die Hoffnung.

Solche Wipes gab es zuletzt auffallend häufig, erst vor ein paar Tagen beim Witcher-Studio CD Projekt Red, das sich von jedem zehnten Beschäftigten trennen wird. In der Ankündigung teilt der CEO trocken mit, man habe schlichtweg zu viel Mensch für zu wenig Projekt. Das mag entwaffnend ehrlich wirken. Nur: Das Signal an die verbliebene Belegschaft ist natürlich einigermaßen verheerend. Nämlich: Egal wie lang du dabei bist und wie sehr du dich reinhängst und wie brillant dein Beitrag ist und wie viele Überstunden du geschoben hast und wie sehr du dich mit der Firma identifizierst und wie sehr du in deiner Aufgabe aufgehst – all das ist, nun, egal.

Danke für nix.

Viele große Publisher wie Ubisoft unter Yves Guillemot haben in den letzten Jahren Stellen abgebaut. Viele große Publisher wie Ubisoft unter Yves Guillemot haben in den letzten Jahren Stellen abgebaut.

In den allerseltensten Fällen hat das vorzeitige Aus für die Beschäftigten damit zu tun, dass das betreffende Unternehmen am Rande des Ruins stand oder steht. Erst wenn eine Firma aufeinanderfolgend Rekord-Quartale meldet oder die Bezüge des oberen Managements erhöht oder ambitionierte Zukäufe tätigt, würde ich mir als Arbeitnehmer ernsthafte Sorgen machen.

Dass es beim Arbeitgeber brummt, ist vielmehr das exakte Gegenteil einer Job-Garantie – siehe Electronic Arts, siehe Microsoft, siehe Activision Blizzard, siehe Ubisoft, siehe Take-Two. Die Hamburger Forge of Empires-Manufaktur InnoGames weist für 2021 einen Bilanzgewinn von 89 Mio. Euro bei 200 Mio. Euro Umsatz aus, wirft im April 75 Leute raus und holt sich im Juni weitere 2 Mio. Euro an nicht rückzahlbaren Subventionen ab. Kann man machen. Wären Sie sehr überrascht, wenn es sich nicht um einen Einzelfall handelt?

In den offiziellen Verlautbarungen (so es welche gibt) wird dann gerne argumentiert, man sehe sich im Sinne einer strategischen Neuausrichtung leider, leider zum Handeln gezwungen. Auch wenn es wahn-sin-nig schwer falle, sich von hochgeschätzten Mitgliedern unseres Teams zu trennen. Man werde alles tun, um die Betroffenen zu unterstützen – denen man natürlich nur das Allerbeste für die Zukunft wünscht (solange diese Zukunft auf einer anderen Payroll stattfindet, klar). Thoughts and Prayers.

Alles Larifari. Am Ende geht es um: Kosten. Margen. Bottom Line. So simpel, so ungerecht.

Just diese Dissonanz lässt Betroffene oft aus allen Wolken fallen, wenn sie von Stellenabbau bedroht sind – weil sie nach übereinstimmender Auffassung von Vorgesetzten, Kollegen, Kunden ja konstant einen mindestens okayen, wenn nicht fantastischen Job machen. In jedem Fall liegen keine individuellen Verfehlungen vor. Es hilft daher ungemein, wenn man die Trennung um Himmelswillen nicht persönlich nimmt und nicht länger hadert als nötig – leicht gesagt, aber im Ernstfall freilich ein schwacher Trost.

Wem gefühltes Unrecht widerfährt, weil er oder sie nach längerer Firmenzugehörigkeit betriebsbedingt entnommen wird, muss sich zumindest nicht um ein Kalenderblatt-Best-of aus dem Umfeld sorgen: Wo eine Tür zugeht, geht eine andere auf. Leute wie du werden doch überall gesucht. Bei deiner Erfahrung und deiner Qualifikation hast du morgen wieder was Neues. Vielleicht hat es ja was Gutes. Sei froh, dass du noch rechtzeitig den Absprung ‚geschafft‘ hast.

Das Verrückte: Es stimmt. Alles davon. Auch wenn es im Einzelfall länger dauert als erhofft, bis sich das passende Türchen öffnet oder bis der Aufbau des eigenen Gewerbes ‚wirkt‘. Wenn ich auf Weggefährten treffe, denen Ähnliches passiert ist, machen die allermeisten einen ziemlich aufgeräumten Eindruck. Man könnte fast sagen, sie seien … glücklich. Auch wenn dieses Glück manchmal außerhalb der Spiele-Industrie liegt.

Und irgendwie wäre es ja auch naiv anzunehmen, man werde beim amtierenden Arbeitgeber zuverlässig das Renteneintrittsalter erreichen (was gelegentlich vorkommt) – gerade in der Tech-, Games- und Medien-Branche, wo die Karrierestufen endlich und die Geduldsfäden kurz sind.

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