Was Jugendliche empfehlen
Um zu erfahren, was Jugendliche bewusst aus Spielen mitnehmen, kann man sie fragen, wovor sie jüngere Geschwister oder andere Kinder beim Spielen beschützen würden. Zwei amerikanische Autoren haben genau dies getan (Kutner & Olson) und eine interessante Antwort erhalten: Jugendliche Spieler würden kleinere Kinder vor dem Fluchen im Spiel beschützen. Denn dies könnte ihrer Ansicht nach unmittelbar ins wirkliche Leben übernommen werden -- anders als das Anzünden von Autos, das Schießen mit einer Maschinenpistole oder das Bekämpfen von Zombies. Beim Fluchen sahen sie also die geringste Rahmung und somit die größte Wahrscheinlichkeit, dass unangebrachtes Verhalten transferiert würde.
Was die Spieler in meiner Untersuchung am häufigsten ins wirkliche Leben mitnahmen war die Stimmung, in die das Spiel sie versetzte. Viele nutzten Spiele gezielt, um ihre Stimmung positiv zu verändern (z.B. um Erfolgserlebnisse zu sammeln oder Aggression abzubauen). Wurden sie aber beim Spielen von negativen Gefühlen übermannt oder häuften sich Misserfolge, dann artete der Zeitvertreib in Stress aus. Ähnliches wurde von Spielsituationen berichtet, in denen das Programm dem Spielenden unbekannte Handlungs- und Denkmuster abverlangt. Die Frustration wirkt auch nach Spielende einige Zeit nach.
Denken und Fühlen
In meiner Untersuchung ist eine Rahmung klar erkennbar: die interviewten Spieler wissen, wann sie im Spiel sind, wann in der Wirklichkeit. In den seltenen Fällen, in denen die (Aktions-)Rahmung versagte (weil Spieler Handlungsmuster aus dem Spiel in die Wirklichkeit mitnahmen), geschah dies nur für wenige Sekunden und nur bei vollautomatisierten Handlungen. Ausnahme war die motorisch realitätsnahe Rennsimulation, bei der eine Anpassung des Gehirns an die Spielgeschwindigkeit in die Realität übertragen wurde.
Größer ist vermutlich die Durchlässigkeit auf der mentalen Ebene: Man denkt beim Spielen über Dinge nach, die einen im wirklichen Leben beschäftigen, oder im wirklichen Leben über Episoden aus dem Spiel. Auf der emotionalen Ebene ist eine Rahmung kaum vorhanden, weshalb Spieler das Spiel aktiv dazu nutzen, um eine Veränderung auf der emotionalen Ebene zu bewirken. Weil sie auch im Spiel für ihre Handlungen verantwortlich sind, spüren sie Erfolg und Misserfolg eher unmittelbar: ärgern sich, wenn sie versagen, freuen sich, wenn sie erfolgreich sind.
Fazit
In der Faktebene würden Aktionen aus dem Spiel ins wirkliche Leben nur dann übernommen, wenn sie vollkommen automatisiert und physisch durchführbar wären. Dies ist -- bis zu einem gewissen Punkt -- bei geübten Autofahrern nach Rennsimulationen der Fall, weswegen ich eine Pause vor dem Autofahren unbedingt empfehlen würde. Oder aber der Spieler lenkt seine Aufmerksamkeit auf seine möglicherweise veränderte Wahrnehmung und fährt deshalb bewusst (also nicht mehr automatisiert). Wenn jeder Shooter-Spieler im wirklichen Leben ein hervorragender Schütze wäre, der vollkommen automatisiert schießt und ständig bewaffnet rumläuft, dann hätte ich Bedenken, mein Haus zu verlassen. In Wirklichkeit aber scheitert die unbewusste Übertragung solcher Spielinhalte an beiden Voraussetzungen. In diesen Fällen funktioniert die Rahmungskompetenz einwandfrei -- und sorgt in den Ausnahmefällen weiterhin nur für Belustigung. Monica Mayer
Die Autorin
Dr. Monica Mayer ist Psychologin und erforschte in ihrer Promotion die Motivation zum digitalen Spielen. Die Ergebnisse ihrer Doktorarbeit, auf der dieser Essay basiert, wurden als Buch veröffentlicht: »Warum leben, wenn man stattdessen spielen kann?«, Verlag WH, 2009
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