Sechs Jahre Entwicklungszeit für ein augenscheinlich simples und ziemlich kurzes Rätselspiel wie Superliminal wirken erst mal relativ lang. Schließlich geht es in dem Titel eigentlich nur darum, durch das Manipulieren von Objekten immer abstraktere und wunderschön gestaltete Levels in Egoperspektive zu durchqueren. Wer bei dem ersten Titel von Pillow Castle allerdings einen Walking Simulator Plus erwartet, täuscht sich gewaltig.
Das fängt allein bei der Vorgeschichte an. Uns wird zu Beginn erklärt, dass die Firma Somnasculpt mit fortschrittlicher Technologie die Träume von Menschen begehbar gemacht hat. Damit soll es möglich sein, Probleme wie anhaltenden Selbstzweifel oder Stimmungsschwankungen an der Wurzel zu beseitigen. Woran genau unsere nicht näher definierte Protagonistin leidet, ist nicht klar. Es wird lediglich deutlich, dass ihr keine Wahl als diese experimentelle Therapie bleibt und wir sie durch ihr eigenes Unterbewusstsein steuern müssen.
Damit werden auch die stellenweise wirklich ziemlich abgefahrenen Spielumgebungen gerechtfertigt. In Träumen ist schließlich vieles möglich. Zum Beispiel mit dem Fahrstuhl von Unterbewusstseinsebene zu Unterbewusstseinsebene zu fahren oder eine harmlose Renovierungsaktion als Horrorgeschichte zu verkaufen.
Alles eine Frage des Blickwinkels
Diese oft unerwarteten Wendungen ziehen sich wie ein roter Faden durch Superliminal. Den passenden Kontext liefern die herrlich humorigen Ansagen des personifizierten Computerprogramms, das uns mit beißenden Kommentaren durch das gut gemachte Tutorial und das weitere Geschehen führt, und die Audiologs von Dr. Glenn Pierce, dem Gründer von Somnasculpt. In Kombination erinnern diese hervorragend eingesprochenen Ausführungen an Portal und The Stanley Parable, obwohl Superliminal letzten Endes doch ein anderes Spiel ist.
Schließlich geht es hier wortwörtlich um neue Blickwinkel. Denn das Rätseldesign ist gänzlich auf der Idee der erzwungenen Perspektive aufgebaut. Diese Technik aus Film, Kunst und Architektur sorgt je nach Position des Betrachters oder der Kamera für optische Täuschungen. So wirken Gegenstände, die in der Realität winzig sind, je nach Einstellung riesengroß. Dieser Gegensatz ist der Kern eines Großteils der frühen Puzzles von Superliminal.
Ein Beispiel: Um eine hoch in der Wand eingelassene Tür zu erreichen, müssen wir aus einem Stück Käse eine Rampe bauen. Das Stück ist dafür natürlich nicht groß genug. Gehen wir aber nah genug ran, heben es mit einem Mausklick auf und lassen es mit einem weiteren Klick so fallen, dass es im Verhältnis zur Umgebung in unserem direkten Sichtfeld groß wirkt, verwandelt sich das Lebensmittel in eine gigantischere Version seiner selbst.
Auch die Umgebung kann in die Lösung der Rätsel einbezogen werden. Beispielsweise finden wir uns an einer Stelle in einer Art nachgebautem Filmset wieder. Dessen Wände können wir durch das Bauen von Rampen überwinden - oder einen anderen Weg suchen. Und spätestens an der Stelle mit dem Ventilator und den Äpfeln waren wir über alternative Lösungsansätze dankbar - solltet ihr einen Blick auf Superliminal werfen, wisst ihr schnell, was wir meinen.
Technisch nicht mehr taufrisch
Für jedes Unterlevel, vom Puppenhaus über den schon erwähnten Horrortrip durch schummrige Flure bis zur komplett abstrakten Welt aus Licht und Schatten haben sich die Macher auch unterschiedliche Ergebnisse bei der Interaktion mit Objekten überlegt. Heben wir in einem Level noch Gegenstände mit einem Klick auf, verdoppeln wir diese im nächsten Level vielleicht durch Draufklicken. Das täuscht allerdings nicht darüber hinweg, dass es in den meisten Rätseln nur darum geht, Treppen zu bauen und Schalter für Türen zu aktivieren.
Wenn das Spiel allerdings diese Erwartung umkehrt, scheint das Potenzial durch. Leider wird es gerade in den optisch interessantesten späteren Levels manchmal schwierig, die Rätselmechaniken zu entschlüsseln. So gab es im Test ein oder zwei Stellen, an denen wir ein auf den ersten Blick simples Rätsel nur durch krampfhaftes Herumprobieren lösen konnten.
Wird das Spiel zu abstrakt und verliert sich zu sehr in seiner Designphilosophie, kommt es also durchaus mal zu Frustmomenten. Die werden auch durch die reduzierte und deswegen manchmal etwas detailarme Optik nicht wieder aufgefangen. Besonders ärgerlich: Wenn einem der nicht abschaltbare Weichzeichner-Effekt an den Rändern des Blickfelds einmal aufgefallen ist, nervt er bei jedem Kameraschwenk und lässt sich nicht mehr ins Unterbewusstsein zurückverbannen.
Realität ist, was du draus machst
Thematisch passt dieser Effekt zwar zur Traumreise, auf die wir uns mit Superliminal begeben. Die besondere Atmosphäre und das traumwandlerische Gefühl erschafft das Spiel aber auf anderem Weg. Zum Beispiel dadurch, dass wir uns immer wieder fragen, ob wir denn wirklich noch friedlich schlummern oder nach der letzten Fahrstuhlfahrt schon längst wieder in der echten Welt aufgewacht sind und jetzt die tatsächlichen Flure der Somnasculpt-Klinik durchlaufen.
Dieses Spiel mit der wahrgenommenen und tatsächlichen Realität verleiht Superliminal eine weitere Bedeutungsebene und macht die Aneinanderreihung der tendenziell recht ähnlichen Puzzles spannender als erwartet. Vor allem auch, weil dadurch kein Leerlauf aufkommt. Während wir darüber grübeln, welche Realitätsverdrehung hinter der nächsten Ecke auf uns wartet, kommt einem selbst der längste Spaziergang durch pastellfarbene Puppenhausflure oder Testkammern nämlich eher kurz vor.
Letztlich will uns das Spiel beweisen, dass die Lösung vieler Probleme Ansichtssache ist. Dass nicht jedes Hindernis in der echten Welt durch das Betrachten aus einem anderen Blickwinkel überwunden werden kann, ist klar. Aber schließlich flimmert zum Ende des Spiels nicht umsonst der Satz »Danke fürs Träumen« über den Bildschirm.
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