The Wandering Village - Angespielt: Ein faszinierender Aufbauspiel-Gegenentwurf zu Anno 1800

Wer denkt, Aufbaustrategie sei durcherzählt, hat noch nie eine Siedlung auf dem Rücken eines gigantischen, lebenden Tieres errichtet!

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Reinzoomen, rauszoomen, reinzoomen, rauszoomen, reinzoomen … Eigentlich sollte ich längst die ersten Gebäude meiner Siedlung errichten, aber ich kann in der Gratis-Demo von The Wandering Village einfach minutenlang nicht aufhören, am Mausrad zu drehen!

Irgendwie auch kein Wunder: In welchem anderen Aufbauspiel darf ich von der Weltkarte über ein gigantisches Monster bis zum auf dessen Rücken wachsenden Beerenstrauch zoomen? Eben!

The Wandering Village spielt in einer postapokalyptischen Welt, die durch mysteriöse giftige Pflanzen zunehmend unbewohnbarer wird. Eine kleine Gruppe Überlebender sucht deshalb Schutz auf dem Rücken einer gigantischen, wandernden Kreatur, die sie Onbu nennen. Mein Job ist es, gleichermaßen ihr Überleben zu sichern wie das von Onbu.

Aus dieser faszinierenden Grundidee macht das Schweizer Indie-Studio Stray Fawn (Niche, Nimbatus) ein noch faszinierenderes Spiel, das wunderbar klassisches Aufbautüfteln im Siedler-Stil mit genau der richtigen Prise Frostpunk-Survival und FTL-Roguelike mischt, ohne dass eine dieser Zutaten dominiert.

Stattdessen ergeben sie schon vor dem Start der Early-Access-Phase im Sommer ein ebenso harmonisches wie erstaunlich umfangreiches Aufbauspiel-Ganzes, für das ich aktuell sogar Anno 1800 links liegen lasse.

Der Autor
GameStar-Chefredakteur Heiko Klinge entdeckte seine Liebe zur Aufbaustrategie bereits 1989 mit SimCity auf dem C64, auch wenn das seinerzeit nur aus schwarzen Pixelblöcken auf grauem Grund bestand. Seitdem hat er nahezu alles gespielt, indem man irgendwas irgendwie bauen darf. Zu seinen Genrefavoriten zählen Die Siedler 2, Stronghold, Anno 1404/1800 und Frostpunk. Und eigentlich dachte er, dass ihn Aufbauspiele nicht mehr überraschen können. Bis er The Wandering Village ausprobiert hat.

Was macht The Wandering Village besonders?

Die anfängliche Begeisterung über das Rein- und Rauszoomen weicht schon nach wenigen Minuten der Erkenntnis, dass es sich hierbei nicht nur um einen optischen Gag handelt, sondern tatsächlich um eine wichtige Spielfunktion.

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Denn The Wandering Village besteht aus drei Komponenten, auch wenn die klassische Aufbaustrategie klar dominiert:

1. Siedlungsbau und Verwaltung: Auf dem Rücken von Onbu platziere ich Häuser, Farmen, Tischler und Lager, aber auch ungewöhnlichere Gebäude wie ein Fütterungs-Trebuchet, das Onbu artgerechte Riesenvieh-Nahrung in den Schlund schleudert.

Beim Platz-Puzzeln freut sich der Annoholiker in mir: Transportwege spielen eine wichtige Rolle, Farmen verlangen nach unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten, und ein Nahrungskatpult gehört selbstverständlich in Maulnähe.

Durch den geringen Platz und die begrenzte Bewohnerzahl muss ich erstaunlich viel mikromanagen, was wiederum angenehm an die ersten Siedler-Spiele erinnert. Wege beschleunigen das Tempo meiner Träger und Arbeiter, immer wieder muss ich Prozesse priorisieren, weil sich auch die Gegebenheiten und Herausforderungen meiner Siedlung ständig ändern.

Weil der Bauplatz auf Onbus Rücken naturgemäß stets gleich bleibt, geht The Wandering Village im Kampagnenverlauf anders als ein Anno weniger in die Breite, sondern mehr in die Tiefe. Ich bekomme zunehmend mehr Optionen, um aus dem begrenzten Bauplatz das Maximum herauszuholen.

The Wandering Village - Der Trailer gibt euch einen Eindruck von Optik und Atmosphäre des Spiels Video starten 1:36 The Wandering Village - Der Trailer gibt euch einen Eindruck von Optik und Atmosphäre des Spiels

2. Roguelike-Erkundung: Während ich baue, stapft Onbu durch eine prozedural generierte Spielwelt. Habe ich einen Hornbläser-Turm gebaut, darf ich ihm dabei sogar Kommandos geben, etwa in welche Richtung es bei der nächsten Abzweigung gehen soll. Außerdem schicke ich wie in Frostpunk Expeditionen in zufallsgenerierte Wälder, Minen oder Siedlungsruinen, um wertvolle Ressourcen oder auch mal neue Überlebende zurückzukarren.

Die Welt besteht zudem aus unterschiedlichen Biomen, die massiv Einfluss auf meine Siedlung nehmen. Wer in den gemäßigten Dschungel nicht fleißig Wasser sammelt und Feldfrüchte anbaut, erlebt in Wüstenregionen sein hungriges Wunder. Und die eingangs erwähnten Pflanzen verteilen ihrerseits immer wieder giftige Sporen auf Onbus Rücken, um die ich mich schleunigst kümmern sollte.

3. Pokémon-Survival: Onbu ist eben nicht nur ein schick animierter Ort für meine Siedlung, sondern ein fühlendes Wesen, um dessen Wohlergehen ich mich genauso kümmern muss wie um das der Überlebenden. Er benötigt ebenso Nahrung wie Schlaf, und wenn er stirbt, habe ich automatisch die Partie verloren.

Je weiter ich meine Siedlung ausbaue, umso mehr Interaktionsmöglichkeiten bekomme ich mit Onbu. Und je weiter ich in die postapokalyptische Welt vorandringe, desto größer werden die Gefahren. Dadurch vermeidet The Wandering Village sehr geschickt die Routinefalle der meisten anderen Aufbauspiele, die zunehmend einfacher werden, wenn ich erstmal alles gebaut habe.

Siedlungsbau Hier verbringe ich die meiste Spielzeit, errichte Gebäude und weise meinen Nomaden neue Aufgaben zu.

Kreaturpflege Onbu will regelmäßig schlafen und gefüttert werden. Außerdem kann ich ihm auch Kommandos geben, die er allerdings nicht immer befolgt.

Erkundung Onbu bewegt sich über eine Weltkarte und durch unterschiedlichste Biome. Außerdem kann ich hier Expeditionen zum Erforschen von zufallsgenerierten Orten schicken.

Was gefällt uns?

Die Optik: The Wandering Village mag auf Standbildern optisch eher simpel wirken, entfaltet in Bewegung aber schnell einen zauberhaften, an die Filme von Studio Ghibli erinnernden Zeichentrick-Charme, dem sich selbst ein Manga-Skeptiker wie ich kaum entziehen kann.

Vor allem wirkt alles wunderbar lebendig und organisch: Im Hintergrund zieht die Landschaft des jeweiligen Bioms vorbei, im Vordergrund verfolge ich das detailverliebte Gewusel meiner Untertanen, die wie in Die Siedler Bäume fällen, Rüben ernten und jede Ressource nachvollziehbar von A nach B zu C transportieren.

Einzig einige nicht animierte Produktionsgebäude mindern den »Macht schon beim Zusehen Spaß!«-Effekt. Hier will Stray Fawn im Verlauf der Early-Access-Phase aber noch nachbessern.

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Die Spieltiefe: Anfangs jongliere ich in The Wandering Village lediglich mit vier Rohstoffen, zwei Handvoll Gebäudetypen und 16 Überlebenden. Und das im ebenso grünen wie fruchtbaren Dschungel.

Doch je weiter Onbu voranschreitet, umso mehr verstehe ich, wie gut hier ein Rädchen ins andere greift. Der Kniff: Ich habe stets mehr Aufgaben als Arbeitskräfte zur Verfügung. Außerdem wachsen Bäume und Beeren auf Onbus Rücken nur sehr langsam nach.

Wer einfach nur wild drauflos abholzt und aufbaut, wird deshalb spätestens in der ersten Wüstenregion Probleme bekommen. Stattdessen muss ich clever priorisieren und meine Strategie flexibel den jeweiligen Umweltbedingungen anpassen.

Und da ist ja noch der Forschungsbaum mit 30 weiteren Gebäude, die meinen Handlungsspielraum im gleichen Maße erweitern, wie ich mich neuen Herausforderungen stellen muss.

Im Forschungsbaum schalten wir neue Gebäude frei, die zunehmen komplexe Produktionsketten mit sich bringen. Im Forschungsbaum schalten wir neue Gebäude frei, die zunehmen komplexe Produktionsketten mit sich bringen.

Die saubere Umsetzung: Die Demo beschäftigt je nach Spielweise rund zwei bis vier Stunden pro Durchgang, wirkt jetzt aber schon polierter als viele Indie-Aufbauspiele zum Release.

Klar lesbare Icons verraten mir präzise, welche Probleme ein Siedler oder Gebäude hat. Ich darf das Geschehen jederzeit beschleunigen, verlangsamen und sogar anders als in Anno 1800 auch im Pausemodus Befehle erteilen, sodass trotz der Survival-Thematik nie Stress aufkommt.

Download der Gratis-Demo

Zur rund zwei bis vier Stunden langen Demo von The Wandering Village gelangt ihr über die Steam-Produktseite von The Wandering Village. Der eigentliche Download-Button ist etwas versteckt, ihr findet ihn in der rechten Infospalte.

Die restliche Bedienung flutscht bis auf ein paar Kleinigkeiten ebenfalls vorbildlich, weshalb sich das Entwicklerstudio in der geplanten einjährigen Early-Access-Phase »nur noch« aufs Balancing und das Ergänzen weiterer Inhalte konzentrieren kann.

So sollen Dschungel-, Wüsten- und Berg-Region noch um ein Wasser- und ein Ruinen-Biom ergänzt werden. Außerdem stehen Fliegende Händler, zähmbare Vögel und zusätzliche Story-Elemente auf der Update-Liste. Der eigentliche Kern von The Wandering Village funktioniert aber jetzt schon blendend.

Was ist noch unklar?

Das Storytelling: Was hat die Umweltkatastrophe verursacht? Woher stammt mein Nomadenvolk? Was ist Onbu für ein Wesen, und gibt es noch mehr wie ihn? Oder ist er gar eine sie? Es spricht für die Atmosphäre von The Wandering Village, dass mir derart viele Fragen beim Spielen durch den Kopf schießen.

Aber es wäre eben großartig, wenn die Roguelike-Kampagne diese auch beantworten würde. Story-Elemente fehlen bis auf ein kurzes Intro sowie ein paar Tutorial-Textboxen komplett, sollen im Verlauf der Early-Access-Phase aber noch nachgeliefert werden.

Zum einen über das Verteilen von Lore-Objekten in der Spielwelt, zum anderen über einen dedizierten Storymodus. Hier ist allerdings laut Studiogründerin Philomena Schwab noch unklar, wie dieser aussehen wird.

The Wandering Village hat es auch in unsere Videoliste der spannendsten Aufbauspiele 2022 geschafft. Video starten 12:59 The Wandering Village hat es auch in unsere Videoliste der spannendsten Aufbauspiele 2022 geschafft.

Das Balancing: Das grundsätzliche Zusammenspiel aus ganz viel Aufbaustrategie, ein bisschen Roguelike und einer Prise Survival klappt bereits prima, die großen Balancing-Fragen muss Stray Fawn allerdings erst noch lösen.

Wie vermeiden sie im Kapagnenverlauf frustrierende Sackgassen, falls ich mich mal verplant habe? Wie fair wirken sich die Zufallselemente auf den (bislang einzigen) Schwierigkeitsgrad aus? Und vor allem: Wie viel Lust habe ich auf einen neuen Durchgang, falls ich den Tod meines so liebgewonnen Onbus erleben muss?

Denn schon jetzt ist klar: Eine Kampagne in The Wandering Village wird deutlich länger dauern als die von Roguelike-Kollegen wie FTL, Hades oder Slay the Spire. Das spricht einerseits für Umfang und Spieltiefe, erhöht andererseits aber massiv die Frustgefahr bei einem späten Scheitern.

Das könnt selbst einem Zoomfetischisten wie mir die Laune verderben, auch wenn ich bis dahin noch sehr viel rein- und rauszoomen werde. Reinzoomen, rauszoomen, reinzoomen, rauszoomen, reinzoomen…

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