Seite 3: Wie schlimm ist Electronic Arts wirklich? - Im Reich des Bösen

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EA muss sparen

Auch in anderer Hinsicht erweist sich das Timing der Übernahme als kritisch. 2008, kaum ein Jahr später, verschlechtert sich der Zustand von Electronic Arts innerhalb weniger Monate dramatisch. Durch die Wirtschaftskrise verunsicherte Konsumenten sorgen für zurückgehende Verkäufe. Fast zeitgleich scheitert EAs Versuch, mit innovativen Titeln wie Mirror's Edge und Dead Space neue Marken zu etablieren. Auch die etablierten Serien und die teuer eingekaufte Harry-Potter-Lizenz bleiben hinter den Erwartungen zurück.

Im Verlauf des Jahres verliert die EA-Aktie mehr als zwei Drittel an Wert. EA Chef John Riccitiello, der vor Jahren selbst eine Trendwende hin zu neuen, innovativen Marken eingeläutet hatte, bleibt keine andere Wahl als die Firma auf einen konservativen Sparkurs einzuschwören. Es gilt das Vertrauen der Aktionäre zurück zu gewinnen - zu denen übrigens auch eine Reihe von Bioware-Mitarbeitern gehören, die im Rahmen der Übernahme EA-Anteile erhalten hatten. Bis heute hat sich die EA-Aktie auf gerade mal 50% ihres damaligen Wertes erholt.

EAs Initiative hin zu innovativeren Spielen scheiterte auch an den Spielern. Insbesondere auf dem PC floppte Mirror’s Edge komplett. EAs Initiative hin zu innovativeren Spielen scheiterte auch an den Spielern. Insbesondere auf dem PC floppte Mirror’s Edge komplett.

Viele Gehaltsstufen unter Riccitiello ist es Trent Oster, der bei Bioware an den Folgen dieser neuen Marschrichtung verzweifelt. »Wenn du nicht gerade am neuen Battlefield arbeitest, bist du nie wirklich sicher«, beschreibt Oster seine letzten Jahre bei Bioware. Erst hier, unter dem immer stärker werdenden Druck des Finanzmarktes, beginnt EA an die Firma zu erinnern, von der so viele Spieler sprechen.

»Alle sechs Monate musst du den aktuellen Stand des Projekts bei EA vorstellen und wenn dieser »Pitch« nicht auf Zustimmung stößt, droht deinem Projekt das Aus. Für mich war das extrem schwierig, immer von einer solchen Präsentation zur nächsten zu leben, weil man sich kaum traut, etwas auszuprobieren. Zugleich bekommst du den Eindruck, dass die Firma nicht hinter dir steht. Du beginnst an dir zu zweifeln und fragst dich: Wenn alle glauben, dass aus dem Projekt sowieso nix wird, muss ja was dran sein. Vielleicht habe ich einfach auf's falsche Pferd gesetzt und es wäre wirklich am besten, wenn die Entwicklung eingestellt wird.

»Zugleich fehlt deinen Mitarbeitern die Bindung zum Spiel. Dieses Gefühl gemeinsam etwas zu erschaffen ist es, was dich und das Team motiviert über Wochen und Monate alles zu geben. Zwei meiner besten Leute kündigten in dieser Zeit ihren Job, einfach weil sie überzeugt waren, unser Projekt würde sowieso eingestellt. Das Wiederum macht es nur wahrscheinlicher, dass man bei uns wirklich den Stecker zieht. Es war ein Teufelskreis. Du kannst das wundervollste Spiel der Welt entwickeln und das Feedback ist immer: Das ist klasse - für den Moment. Wir sehen uns in sechs Monaten!«

Mirrors Edge Catalyst - Test-Video zum Parkour-Actionspiel Video starten 6:55 Mirror's Edge Catalyst - Test-Video zum Parkour-Actionspiel

Finanziell am Boden

Mit der EA-Aktie auf einem historischen Tiefstand und dem Scheitern der neuen Titel, agiert der Publisher vorsichtiger denn je. Zwar experimentiert EA weiterhin mit neuen Konzepten, doch das von Oster beschriebene Verfahren sorgt dafür, dass die wenigstens dieser Spieleprojekte im Innern je das Licht der Öffentlichkeit sehen. Das einzige große Wagnis, dass sich EA leistet, ist Biowares Star Wars: The Old Republic.

Vander Caballero hat sich ebenfalls selbstständig gemacht und entwickelte das Indie-Action-Adventure Papo&Yo. Vander Caballero hat sich ebenfalls selbstständig gemacht und entwickelte das Indie-Action-Adventure Papo&Yo.

Für das MMO, so berichtet Oster, habe man dem Studio so viele Freiheiten gegeben, wie es im Rahmen der Lizenz nur möglich war. Doch trotz enormen Hypes bei der Veröffentlichung des Spiels im Jahr 2011 kann das Spiel die großen Erwartungen nicht erfüllen. Bereits wenige Wochen nach der Veröffentlichung wird klar, dass The Old Republic mit seinem klassischen Abo-Modell vermutlich nicht tragbar sein wird.

Die EA-Aktie tritt erneut den Sturzflug an. Im Juli 2012 erreicht sie mit rund 11 Dollar ihren absoluten Tiefpunkt. EA, der Gigant unter den Publishern, gilt plötzlich als Übernahmekandidat, so lächerlich gering ist sein Marktwert geworden. Zu dieser Zeit ist Trent Oster bereits nicht mehr im Unternehmen. Aber die Vermutung liegt nahe, dass der verängstigte Großkonzern spätestens in diesem Moment alle riskanten Projekte beerdigt.

Vander Caballero, der ehemaliger Design Director von EA Montreal kündigte bereits 2010 seinen Job. Auch er berichtet davon, wie vorsichtig sein ehemaliger Arbeitgeber geworden sei. Dabei weiß Caballero als ehemals führendes Mitglied der internen Research & Development Abteilung, wie falsch der Vorwurf ist, EA habe kein kreatives Personal.

Tatsächlich, so sagt er heute, hielt er es am Ende nicht mehr aus »die wundervollsten, kreativsten Ideen zu entwickeln, die außer mir und meinem Team nie jemand zu sehen bekommen wird«. Die Spieler, glaubt er, würden aus den Socken kippen, wenn sie wüssten, wie viel kreatives Potenzial in den EA-Abteilungen steckt. Leider aber, verkaufe sich Kreativität einfach nicht - zumindest nicht so gut, wie es für EA notwendig ist.

Zu groß für Kreativität

Denn wenn es einen Umstand gibt, der Electronic Arts vermutlich mehr prägt als jeder andere, dann ist es die schiere Größe des Konzerns. Um seine über 9000 Mitarbeiter in aller Welt zu bezahlen und seine Aktionäre glücklich machen zu können, muss EA klotzen, nicht kleckern.

Electronic Arts beschäftigt weltweit mehr als 9000 Mitarbeiter. Electronic Arts beschäftigt weltweit mehr als 9000 Mitarbeiter.

Ein riesiger bürokratischer Apparat ist nötig, um eine Firma dieser Größe zu führen und zu verwalten. Kleine Projekte interessieren sie schlicht nicht mehr. Louis Castle musste dies selbst erfahren, als er bei EA darum warb, die Fortsetzung eines Westwood-Spiels zu produzieren. Der Titel, dessen Namen er nicht nennen will, habe nur sieben Millionen Dollar gekostet, aber 40 Millionen eingespielt. Aus seiner damaligen Sicht ein gutes Geschäft. Doch als er dem Sales-Team von EA seinen Plan für eine Fortsetzung präsentiert, erteilt man ihm eine Abfuhr.

Was wie Größenwahn klingt, ist aber lediglich eine logische unternehmerische Entscheidung, sagt Castle heute: »Eine Firma wie EA kann zu jeder Zeit nur eine bestimmte Menge an Spielen im Portfolio haben, bevor sich die Aufmerksamkeit auf zu viele Kleinteile verstreut. Jedes Spiel braucht Produzenten, die wiederum an ihre Vorgesetzten berichten. Es braucht Marketing-Strategien, es braucht Vertriebsmitarbeiter und so weiter.

Es kostet Unsummen diese Maschinerie in einem Giganten wie EA anlaufen zu lassen. Viel wichtiger ist aber, dass die Zahl der Produkte, die EA gleichzeitig in Entwicklung haben kann, endlich ist. Limitiert durch diese Ressourcen. Und der Job der Führungsetage ist es, dafür zu sorgen, dass diese begrenzte Anzahl von Produkten den maximalen Gewinn abwirft. Ein Titel wie meiner, der am Ende nur 40 Millionen Dollar Umsatz abwirft - so profitabel er auch sein mag - ist zu klein. Er belegt nur einen dieser Plätze, den ein Spiel einnehmen könnte, dass potenziell 100 Millionen, 300 Millionen oder noch mehr einspielen könnte.«

Trotzdem gelingt es Castle über die Jahre seine Vorgesetzten zu überzeugen, in innovative, etwas kleinere Projekte zu investieren. Doch nach den verheerenden Kursverlusten der Aktie wird auch sein Team Opfer des neuen Sparkurses. »Es war so ein wunderschönes Spiel, entwickelt von mehreren Teams die über den ganzen Globus verteilt waren und das völlig neue Wege im Geschichtenerzählen eingeschlagen hätte«, beschreibt Castle sein letztes Projekt.

2009 verlässt er EA, wie er sagt im besten Einvernehmen. Den Aufkauf von Westwood hat er nie bereut. »Hätte EA nicht den Zuschlag erhalten, wären wir an Microsoft verkauft worden«, sagt er. Dort, so glaubt Castle, wäre es Westwood dann ergangen wie den Ensemble Studios: Man hätte eine Weile die erfolgreichen Reihen fortgeführt und wäre dann mit dem Erscheinen der Xbox für Microsoft recht schnell überflüssig geworden.

Die Westwood-Führung circa 1997 mit einem jungen Louis Castle ganz links außen. Damals, sagt er, habe man viel mehr auf's Geld geachtet. Die Westwood-Führung circa 1997 mit einem jungen Louis Castle ganz links außen. Damals, sagt er, habe man viel mehr auf's Geld geachtet.

Für sich allein wiederum hätte Westwood schon vor der Übernahem durch Virgin Interactive im Jahr 1992 nicht mehr lange überlebt. Die letzten Projekte des Studios verschlangen bereits damals über eine Million Dollar. Der maximale Vorschuss, den Westwood von seinen Publishern bekam, betrug jedoch nur 750.000 Dollar.

Die letzte Viertelmillion musste Westwood also aus eigener Tasche bezahlen - Tendenz steigend. Ein Risiko, da ist sich Castle sicher, dass das Studio sehr bald Kopf und Kragen gekostet hätte. »Ich hatte immer den Eindruck, dass uns EA mit den besten Absichten übernommen hat und sich wahnsinnig bemühte, uns zu unterstützen«, sagt er. Eine Aussage, bei der ihm alle von uns interviewten Entwickler zustimmen.

Düstere Legenden

Dennoch wird es auch in Zukunft weiterhin Spieler geben die an der Legende festhalten, EA habe Origin, Westwood und ihresgleichen durch strikte Marketingvorgaben und Fixierung auf ewige Fortsetzungen kaputt gemacht. Dabei erinnert EA in ihren Erzählungen vielmehr an einen wohlmeinenden Riesen, der die Studios in seinem Überschwang einfach zu fest gedrückt hat. Tod durch Liebe, sozusagen.

Hauch von Ironie: Nicht lange nach der Übernahme durch EA steht Louis Castle bei Dreharbeiten zu C&C: Tiberian Sun neben James Earl Jones, der Stimme von Darth Vader. Hauch von Ironie: Nicht lange nach der Übernahme durch EA steht Louis Castle bei Dreharbeiten zu C&C: Tiberian Sun neben James Earl Jones, der Stimme von Darth Vader.

Erst in jüngeren Jahren finden sich Entwickler die ein Bild des Publishers zeichnen, wie man es kennt: Ängstlich, risikoscheu und auf der Suche nach neuen Geldquellen, um die Aktionäre zu beruhigen. Fast scheint es, als sei EA ironischer Weise erst über die Jahre zu der Firma geworden, für die man es schon lange gehalten hat. Mit dem Aufschwung der EA-Aktie und dem Start der neuen Konsolengeneration besteht daher auch die Hoffnung, dass der Publisher in Zukunft wieder mehr Wagemut beweist.

Wer mag, kann an den Berichten der ehemaligen Studiobesitzer zweifeln. Doch keiner der von uns befragten Entwickler hat einen Grund, EA weiter Honig ums Maul zu schmieren. Richard Garriott hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisch zu seinem ehemaligen Arbeitgeber geäußert und trug allein im Rahmen seiner Trennung von NCSoft 28 Millionen Dollar nach Hause.

Trent Oster, der mit Abstand die kritischste Meinung zu EA hat, gründete sein eigenes Studio Beamdog, das die Enhanced Editions zu den Bioware-Klassikern Baldur's Gate und Baldur's Gate 2 entwickelt hat. Louis Castle telefonierte mit uns aus seinem Büro bei SHFL Entertainment, einem Hersteller von Kartenmischgeräten für Casinos. Die Firma, in die Castle mitinvestiert war, wurde im November 2013 vom Automatenhersteller Bully übernommen. Wert des Deals: rund 1,3 Milliarden Dollar.

Baldurs Gate 2: Enhanced Edition - Test-Video zum Rollenspiel-Remake Video starten 4:51 Baldur's Gate 2: Enhanced Edition - Test-Video zum Rollenspiel-Remake

Genauso aber arbeitet kein einziger der von uns interviewten Entwickler mehr bei einem großen Publisher. Sie bekennen einhellig, dass sie mit ihrem Job als Entwickler am glücklichsten waren, während sie in kleinen, engagierten Teams arbeiteten, in denen jeder an einem Strang zog.

Insbesondere Peter Molyneux sehnt sich wie kein Zweiter zurück zu den Anfangstagen seiner Karriere. Als wir ihn während der Gamescom treffen, sitzt er in einem selbst angemieteten Hotelzimmer und lebt aus einem Koffer voller Zigaretten und Laptop-Zubehör. Sein neues Spiel Godus läuft endlich im Multiplayer und schon nach fünf Minuten fragt er ungeduldig, ob man nicht schnell zusammen losspielen könne.

Command & Conquer: Red Alert 2 erschien nach der EA-Übernahme und ist bis heute das C&C-Spiel mit der besten Metacritic-Nutzerbewertung. Command & Conquer: Red Alert 2 erschien nach der EA-Übernahme und ist bis heute das C&C-Spiel mit der besten Metacritic-Nutzerbewertung.

»Ich weiß noch den genauen Moment, in dem ich beschloss, bei Microsoft zu kündigen«, erzählt er, während er einen zweiten Laptop hervor kramt, um darauf die Partie zu starten, »Ich saß in meinem Büro, hatte die Augen geschlossen und versuchte mich auf eine Designfrage zu konzentrieren, als plötzlich irgendjemand an meinem Stuhl herumfummelt. Ich schrak hoch, blickte mich leicht panisch im Büro um und sah: Die Bürostuhl-Frau!«, Molyneux macht eine kurze Pause und man ist nicht ganz sicher ob sie der Rhetorik dient, oder damit er endlich die zweite Maus angeschlossen bekommt.

»Wissen Sie, wer die Bürostuhlfrau ist? Haben Sie eine? Microsoft bezahlt sie, damit sie jeden Monat vorbei kommt und die Bürostühle ergonomisch korrekt nachjustiert: perfekte Höhe, perfekte Neigung. In diesem Moment dachte ich: Was in aller Welt tue ich hier? All der Komfort, die schönen Büros, die tolle Kantine - es nimmt dir diesen Hunger, einen Teil deiner Leidenschaft. Es saugt dich aus.«

Inzwischen steht der Laptop, Godus lädt und Peter Molyneux lässt sich noch mal kurz in die Couch zurückfallen. »Firmen wie EA und Microsoft sind nicht böse«, sagt er, »Wir sind schwach.«

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