Quo vadis, BioWare?

Rezension: „Dragon Age 2“ + alle DLCs – Version 1.04 – Plattform: Origin

von ModuGames am: 01.06.2021

Hier finden Sie meine bisherigen Rezensionen zu den Spielen der Dragon-Age-Reihe:

Viele Rollenspieler würden mir wohl zustimmen, wenn ich sage, dass Dragon Age: Origins eines der besten RPGs aller Zeiten ist. Die Erwartungen an einen Nachfolger waren entsprechend hoch. Als Dragon Age 2 dann im März 2011 veröffentlicht wurde, waren viele Spieler skeptisch. Nur anderthalb Jahre nach Origins? Kann das was werden? Und es stellte sich in der Tat heraus, dass der zweite Teil der Rollenspielreihe viele Fans enttäuschte. Warum das der Fall war und ob das Spiel nicht vielleicht doch empfehlenswert ist, möchte ich im folgenden Text erklären.

Tschüss Ferelden, hallo Kirkwall!

Dragon Age 2 beginnt an einem Ort, den Fans des ersten Teils bereits kennen: Lothering. Origins-Spieler wissen aber auch, dass das kleine Dörfchen zu Beginn der Verderbnis von der Dunklen Brut überrannt wurde. Und so trägt es sich auch in Dragon Age 2 zu, denn dessen Handlung überschneidet sich zeitlich mit der des ersten Teils. Wir spielen eine junge Frau oder einen jungen Mann aus der Familie Hawke, welche in Lothering wohnt („Hawke“ wird übrigens auch der Name sein, mit dem wir später angesprochen werden). Doch vom idyllischen Landleben bekommen wir nicht viel zu sehen, denn das Dörfchen wird, wie bereits erwähnt, von der Dunklen Brut angegriffen. Die Familie Hawke kann gerade noch entkommen und beschließt, sich ein neues Leben aufzubauen. Wir verlassen Ferelden und machen uns auf in die Stadt Kirkwall, die in den sogenannten „Freien Marschen“ liegt.

Vom Tellerwäscher zum Millionär – so könnte man die Geschichte wohl umschreiben. Wir starten als Flüchtling und steigen in der Hierarchie auf.

In Kirkwall angekommen, merken wir schnell, dass hier aber auch nicht alles toll läuft. Viele Flüchtlinge aus Ferelden wollen in die Stadt, doch hinein kommen nur wenige. Hawke muss jede Arbeit annehmen, die er/sie bekommen kann, um schlussendlich Zutritt zu Kirkwall zu erhalten. Doch selbst als Bürger Kirkwalls steht man zuerst ganz unten in der Nahrungskette. Die Geschichte von Dragon Age 2 besteht zu großen Teilen darin, dass sich Hawke in der gesellschaftlichen Struktur von Kirkwall hocharbeitet. Die Handlung ist hierbei in drei Akte eingeteilt, zwischen denen immer mehrere Jahre vergehen.

Anders, aber nicht schlechter

Doch nicht nur die örtliche Gebundenheit an Kirkwall und die klare Einteilung in Akte unterscheidet die Geschichte von der Origins-Handlung. Nein, Dragon Age 2 hat auch noch einen anderen Trick im Ärmel. Die Geschichte wird nämlich vom Zwerg Varric, einem unserer Begleiter, erzählt, während er verhört wird. Da Varric ein unzuverlässiger Erzähler ist und eine eigene Agenda verfolgt, weiß man als Spieler nie, was sich wirklich zugetragen hat. Spannend! Tatsächlich halte ich die Geschichte für die größte Stärke des Spiels. Was mich vor allem überzeugt hat, ist der Versuch BioWares, die Spielfigur zu vermenschlichen und verwundbar zu machen. So muss mein Held lernen, mit persönlichen Verlusten zu leben, was für ein Rollenspiel dieser Machart überraschend glaubhaft dargestellt wird.

Dramaturgisch muss sich Dragon Age 2 nicht hinter seinem Vorgänger verstecken. Vor allem der Handlungsstrang mit den Qunari ist packend erzählt.

Gerade weil Dragon Age 2 erzählerisch eine andere Richtung als Origins einschlägt, gefällt mir die Geschichte so gut. Wir retten eben nicht wieder die ganze Welt vor einer riesigen Bedrohung, sondern kümmern uns um die Angelegenheiten von Kirkwall. Das mag für manchen Fan ein Rückschritt sein, ist dieser Ansatz doch deutlich weniger bombastisch. Ich jedenfalls bin froh, dass DA 2 die Regel, dass Sequels immer alles noch größer und abgefahrener machen müssen, durchbricht. Auch das Worldbuilding befindet sich nach wie vor auf einem hohen Niveau. Viele Konflikte, die in Origins angedeutet wurden (wie die Rivalität zwischen Templern und Magiern), werden hier überzeugend fortgeführt. Und sollten Sie ein Fan der Qunari (man erinnere sich an Sten) sein, werden Sie in Dragon Age 2 voll auf Ihre Kosten kommen.

Neue Gesichter

BioWare-typisch stehen Hawke natürlich mehrere Begleiter zur Seite. Da wäre natürlich der bereits erwähnte Varric, welcher mit seiner trocken-sarkastischen Art nicht nur für Lacher sorgt, sondern mit seiner Armbrust namens Bianca auch in Kämpfen sehr nützlich ist. Früh treffen wir auch auf die disziplinierte Kriegerin Aveline, welche sich hervorragend als Tank eignet. Wer Dragon Age: Awakening gespielt hat, wird sich auch darüber freuen, dass der Magier Anders als Gefährte zur Verfügung steht. Dieser kann Templer nicht ausstehen und setzt sich mit aller Kraft für seine Magier-Kollegen ein. Varric, Aveline und Anders sind meine Standardbegleiter, jedoch sollten auch der ehemalige Sklave Fenris, die Elfen-Magierin Merril sowie die Piratin Isabella lobend erwähnt werden.

Anders muss nicht nur für schlechte Wortspiele im Deutschen herhalten, sondern er muss auch noch mit einem inneren Dämonen klarkommen.

Eine ziemlich bunte Truppe also, wie immer. Jeder Begleiter besitzt ein eigenes Zuhause in Kirkwall, wo wir ihn oder sie aufsuchen können. Dort lassen sich dann schön geschriebene Dialoge und Nebenquests starten. Die Schattenseite daran ist natürlich, dass nicht mehr so viel Gemeinschaftsgefühl aufkommt wie in Origins, wo wir mit der ganzen Truppe um das Lagerfeuer herum gesessen haben. Nun ja, sei's drum. Schwerer wiegt da schon die Änderung, dass Gefährten eine vorgegebene Rüstung haben. Man kann also nicht mehr Helme, Schuhe etc. austauschen, wenn man bessere Ausrüstung findet. Mit Waffen geht das aber sehr wohl noch. Wo bleibt denn da die Logik?

Von Dialogen und Fähigkeiten

Apropos Dialoge: BioWare haben das alte Dialogsystem über Bord geworfen und stattdessen ein Dialograd eingeführt. Wir haben zwar nach wie vor die Möglichkeit, in manchen Situationen Fragen an NPCs zu stellen, aber in letzter Instanz werden uns bei jeglichen Entscheidungen genau drei Möglichkeiten serviert. Auch ist die Spielfigur nun komplett vertont. Dazu möchte ich sagen, dass ich weder ein Problem damit habe, dass alle Entscheidungen auf drei Optionen heruntergebrochen werden, noch dass mein Held spricht. Letzteres finde ich sogar sehr atmosphärisch. Mein Problem ist eher, dass alle drei Optionen klar als gut, neutral oder böse gekennzeichnet werden, was meines Erachtens nach schon an Bevormundung grenzt. Auch sehr problematisch ist, dass sich die Auswahlmöglichkeiten des Dialograds nicht immer mit dem decken, was meine Figur dann letztendlich auch ausspricht. Dann entstehen gerne mal wirklich furchtbare Situationen der Marke „Nein, das habe ich doch überhaupt nicht so gemeint“.

Nur unser Held kann seine Rüstung wechseln, andere Figuren können lediglich ihre Waffen sowie kleinere Gegenstände (Amulett, Ringe etc.) austauschen.

Ansonsten handelt es sich bei den gameplaytechnischen Neuerungen von Dragon Age 2 fast immer um Simplifizierungen. Nicht alle davon sind schlecht, aber gehen wir sie der Reihe nach an. Wie in Origins auch können wir uns zu Anfang des Spiels zwischen drei Klassen entscheiden: Krieger, Schurke und Magier. Das Skillsystem ist aber bei weitem nicht mehr so umfangreich, wie es einmal war. Bei einem Levelaufstieg steigern wir nur noch Attribute und Fähigkeiten. Von Talenten wie Taschendiebstahl oder Giftherstellung findet sich keine Spur mehr. Auch die Fähigkeiten selbst funktionieren anders als in Origins. Wir können nun Fähigkeiten in bis zu zwei Stufen steigern. Das halte ich tatsächlich für sinnvoll, da man im Vorgänger irgendwann zu viele Fähigkeiten hatte, die man nicht mehr benutzt hat. Insgesamt stehe ich dem neuen Skillsystem zwiegespalten gegenüber. Es ist definitiv einfacher zu erlernen und deutlich übersichtlicher, aber Hardcore-Rollenspielern dürfte es wohl zu seicht sein. Das war es dann aber auch soweit mit den positiven Aspekten von Dragon Age 2. Ab jetzt wird es unschön.

Look how they massacred my boy

Das mit Abstand größte Problem dieses Spiels ist sein Kampfsystem. Dies wird vor allem dann sehr offensichtlich, wenn man es mit dem von Origins vergleicht, das ich absolut fantastisch finde. Grundsätzlich kommandieren wir immer noch einen Vierertrupp und bestreiten Kämpfe in pausierbarer Echtzeit. Geändert wurde jedoch, dass man nicht mehr so weit herauszoomen kann wie in Origins. Es geht zwar immer noch zu einem gewissen Grad, aber eine geradezu RTS-artige Ansicht sollte man hier nicht mehr erwarten. Das ist stellenweise frustrierend, wenn man seine Streiter etwa auf eine höhere Position schicken will, dies aber aufgrund des Kamerawinkels nicht möglich ist. Sauer aufgestoßen ist mir auch der „Style over substance“-Ansatz, dem die Entwickler augenscheinlich gefolgt sind. In meiner Rezension zu Origins habe ich noch lobend hervorgehoben, wie verhältnismäßig langsam und dafür schwerwiegend alle Kampfanimationen waren.

Mit dieser Gruppe an Feinden kommen wir noch ganz gut klar, aber was ist mit den Wellen an Gegnern, die noch von der Decke springen könnten?

In Dragon Age 2 ist alles anders. Die generelle Geschwindigkeit wurde enorm erhöht. Figuren schlagen selbst mit schwersten Waffen unheimlich schnell zu. Dazu kommt noch, dass die Kämpfer vollkommen unnötige akrobatische Einlagen ausführen (Sprünge, Salti, Rollen etc.). Daher wirken die Kämpfe eher wie ein Superhelden-Cartoon und weniger real. Darunter leidet meiner Meinung auch die Glaubwürdigkeit. Zugegeben: Das ist sehr subjektive Kritik. Manch einem mag dieser Ansatz gefallen. Was jedoch überhaupt nicht geht, ist die Struktur der Kämpfe. In den meisten Fällen tauchen nach und nach immer mehr Wellen an Kontrahenten auf. Das stellt uns vor zwei Fragen. Erstens: Wie kommen die Gegner in den Kampf? Nun, meistens fallen sie schlicht und ergreifend vom Himmel oder spawnen klar ersichtlich am Rand der Karte, was furchtbar aussieht. Zweitens: Wie bereitet man sich auf solche Kämpfe vor? Nun, gar nicht. Man kann nichts planen, weil nicht ersichtlich ist, wie viele und welche Gegner noch auf uns warten. Dadurch verkommen die meisten Kämpfe zu trial and error. Dazu kommt noch ein stellenweise fragwürdiges Balancing. Teilweise sind einige Bosskämpfe überraschend hart. Apropos Bosskämpfe: Ich habe Dragon Age 2 hauptsächlich auf  „schwer“ (dem dritten der vier Schwierigkeitsgrade) gespielt, aber die Bosskämpfe in den beiden Erweiterungen Mark of the Assassin und The Legacy fand ich so scheußlich, dass ich ein paar Stufen herunterschalten musste.

Content recycling zum Quadrat

Damit hören die Probleme des Spiels aber noch nicht auf. Erinnern Sie sich, wie ich in der Einleitung erwähnt habe, dass Dragon Age 2 nur anderthalb Jahre nach Origins erschienen ist? Das macht sich enorm bemerkbar in der Form von wiederverwendeten Inhalten. Am offensichtlichsten ist dies wohl bei den Umgebungen. Dragon Age 2 kennt genau eine, vielleicht zwei Höhlen und ein Haus von innen. Diese Umgebungen werden dann immer verwendet, wenn man eine Höhle oder eben ein Haus betritt. Das bricht nicht nur enorm mit der Immersion, sondern wirkt auch ganz allgemein extrem billig. Deshalb sind auch die 37 Stunden, die ich gebraucht habe, um Dragon Age 2 abzuschließen, kritisch zu bewerten. Ein nicht zu vernachlässigender Teil des Spiels ist eben dasselbe in grün. Apropos „immersionsbrechend“ und „billig“: Manche Nebenquests sind wahrhaft lächerlich. Sie bestehen im Wesentlichen daraus, dass man zufällig ein Item findet und es einer bestimmten Person zurückbringt. Dann wird ein kleiner, scheinbar zufällig ausgewählter Dialog abgespielt, was in manchen Situationen absolut nicht funktioniert. Beispiel: Ich bringe die Gebeine eines Verstorbenen zu seiner Familie zurück und mein Held begrüßt den NPC mit „Habt Ihr das hier etwa verloren?“. Das ist lustig, aber auf eine sehr seltsame Art.

An das Layout dieses Hauses sollte man sich besser schon einmal gewöhnen. Man wird es im Verlauf des Spiels noch häufig sehen.

Die geringe Entwicklungszeit schlägt sich auch bei der grafischen Gestaltung nieder. Optisch hat sich seit Origins nicht viel verbessert, man könnte sogar von Stagnation sprechen. Das größte Problem sind hierbei die Texturen, welche trotz herunterladbaren „hochauflösenden Texturen“ (in sehr großen Anführungszeichen!) immer noch extrem matschig sind. Der art style von Dragon Age 2 geht insgesamt auch mehr ins comichafte, als dies noch bei Origins der Fall war. Damit können die Entwickler aber nicht kaschieren, dass Dragon Age 2 nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Wenn wir es mit der Rollenspiel-Konkurrenz des Jahres 2011 vergleichen, fällt auf, dass etwa ein The Witcher 2 grafisch schon deutlich weiter war. Dafür gefallen mir der Soundtrack und auch die Sprecher gut.

Fazit

Rezensionen lesen sich oft negativer, als sie eigentlich gemeint sind. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal explizit anmerken, dass Dragon Age 2 kein schlechtes Spiel ist. Ganz im Gegenteil: Wie man anhand der Wertung erkennen kann, halte ich es sogar für ein gutes Spiel. Das liegt vor allem an der starken Erzählung, den Begleitern und dem worldbuilding. Daher kann ich auch für Story-Freunde eine klare Empfehlung aussprechen. Die Mängel des Spiels bleiben jedoch klar bestehen: Simplere Spielsysteme an allen Ecken und Kanten, repetitiver Inhalt und ein Kampfsystem, das man mit anderthalb zugekniffenen Augen noch als „in Ordnung“ bezeichnen könnte. Von BioWare war man eigentlich besseres gewohnt. Somit steht Dragon Age 2 auch exemplarisch für den Anfang vom Ende von BioWare.


Wertung
Zusätzliche Angaben

Schwierigkeitsgrad:

genau richtig

Bugs:

Nur sehr wenige

Spielzeit:

Mehr als 40, weniger als 100 Stunden



Kommentare(2)
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