Adventure-Nation Deutschland - Boom im Adventure-Genre. Woran liegt's?

Adventures gelten nicht als Kassenschlager, Deutsche nicht als sonderlich humorvolles Volk. Trotzdem boomt das Genre hierzulande, nirgendwo auf der Welt werden mehr (Comedy-)Adventures produziert.Woran liegt’s?

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Kennen Sie Rent-a-Hero? Nein? Deutschsprachiges Point-&-Click-Adventure, kam 1998 raus, erhielt in GameStar 62 Punkte. Kennen Sie Ankh? Ja, natürlich, Sie leben schließlich nicht hinterm Mond. Zwischen Rent-a- Hero und Ankh liegen Welten – qualitativ wie zeitlich.

Comedy-Adventures, in Deutschland produziert, stürmen inzwischen fast im Monatsrhythmus in die Händlerregale, mal mehr, mal weniger deutlich den Fußstapfen von Guybrush Threepwood folgend. Den kennen Sie natürlich auch – er war mit Monkey Island 3 1997 auf dem einzigen Adventure-Cover der GameStar-Geschichte. Humorvolle Adventures waren damals die Bastion amerikanischer Entwickler. Das hat sich gründlich geändert.

Betrachte Entwicklung

Ceville verkauft sich nur zögerlich, trotz euphorischer Kritiken – die viele Adventure-Spieler gar nicht lesen. Ceville verkauft sich nur zögerlich, trotz euphorischer Kritiken – die viele Adventure-Spieler gar nicht lesen.

Kaum eine der etablierten Serien besteht noch, geschweige denn als klassisches Puzzlespiel. Im Rausch der 3D-Beschleuniger veröffentlichte LucasArts um den Jahrtausendwechsel Adventures mit missratener Bedienung, Sierra machte aus King’s Quest ein Actionspiel; der Baphomets Fluch-Erfinder Charles Cecil verkündete den Tod von Point & Click und ließ seine Figuren Kisten schubsen. LucasArts und Sierra stellten die Entwicklung ihres einstigen Stamm-Genres ein, Indiana Jones schwang seine Peitsche in Tomb Raider-Manier, Larrys achtes Lustabenteuer wurde zur umstrittenen Minispiel-Sammlung.

2003 war der Adventure-Markt ein verlassenes Dorf, der kalte Wind der Pleite wehte durchs Genre. Adventures wurden uninteressant für große Publisher, der Markt reagierte auf alle Lösungsversuche wie ein bockiger Protagonist mit dem verhassten »Das geht so nicht«. Warum? Weil gerade ein erzählbetontes Genre von entweder sehr reduzierten oder sehr überzeugenden Charakterdarstellungen lebt, nicht aber vom Dazwischen, das die 3D-Engines zu leisten vermochten. Weil es sich finanziell nicht lohnte, mit etablierten großen Teams kleine Spielergruppen anzuvisieren. Weil sich in wichtigen Märkten wie Großbritannien und den USA mit reinen PC-Spielen wenig verdienen ließ. Weil sie eben eine Nische waren – und noch sind. Um das Jahr 2000 sah es so aus, als läge das einst große Genre weitgehend eingebuddelt auf einem Friedhof, über den nur ab und zu sterile Myst-Zombies schlurften.

Benutze kleines Budget

So schlug die Stunde der Kleinen: Firmen, die mit einem begrenzten Budget für einen PC-orientierten Markt produzieren konnten und wollten. In den Marktforschungsanalysen von EA & Co. teilten sich Adventures zwar das Tortendiagrammstück »Sonstiges« mit Flugsimulationen und Rundenstrategie, für kleinere Unternehmen hatte das jedoch durchaus Vorteile.

Erstens: Es gibt kaum Konkurrenz, die sichtbar in einer anderen Liga spielt – wer einen Ego-Shooter oder ein Rollenspiel entwickelt, steht mit Blizzard, EA oder Ubisoft im Wettbewerb. Das merkt man von Anfang an: Bei der Suche nach Publishern oder/und Investoren, beim Gerangel um Platz in Medien, beim Debattieren mit dem Spielefach- oder Versandhandel über die Platzierung des Produktes, überall wird dem vermeintlichen Kreisligisten die Champions-League-Konkurrenz aufgezeigt. Dass das im Genre insgesamt zu verteilende Preisgeld höher ist, nützt dem kleinen Verein da nur wenig.

Zweitens: Adventures lassen sich mit deutlich geringeren Mitteln erstellen. Die Zeit, in der sich mal eben ein paar Freunde in den Semesterferien im Keller verbarrikadierten und Anfang Oktober der Bestseller fertig war, sind zwar auch bei den Abenteuern vorbei, doch die Einstiegshürde bleibt deutlich niedriger. Die Zielgruppe von Adventures erwartet zwar eine ansehnliche Optik, verfügt aber kaum über die neueste Hardware, um auch die letzten Shader-Spielereien über den Bildschirm zu jagen. Das Resultat sind geringere Kosten für die Grafik-Erstellung und -programmierung.

Da enden die Vorteile jedoch noch nicht. Die Spielmechanik erlaubt den Entwicklern vergleichsweise viel Kontrolle: die streng geskriptete Spielwelt muss nicht dynamischen Entwicklungen folgen, KI-Algorithmen entfallen fast vollständig, auch die Kameraführung und das Balancing gestalten sich deutlich einfacher.

Dadurch wird der gesamte Entwicklungsprozess übersichtlicher, planbarer und günstiger. Insbesondere der Kosten punkt ist in Deutschland entscheidend, denn junge Firmen können hierzulande erst seit wenigen Jahren mit öffentlicher Wirtschaftsförderung rechnen; private Investoren sind nach wie vor schwer zu finden.

Im Gegensatz zu Frankreich oder Großbritannien müssen hiesige Entwickler deshalb oft aus eigener Kraft auf die Beine kommen. Adventures stellen dabei vergleichsweise risikoarme Gehversuche dar. Drittens: Die Entwickler wollten (und wollen immer noch) die kreative Lücke schließen, welche die US-Studios im Spielemarkt hinterlassen haben. Wer für ein deutsches Studio Rätsel programmiert, tut das nicht wegen der exorbitanten Bezahlung. In kaum einem anderen Genre nimmt man den Entwicklern ihre Zuneigung zum Produkt so ab.

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