Das erste Mal spielte ich Guild Wars in einer Neuner-WG, in einem von Linken besetzten Krankenhaus in der Bahnhofsstraße, in dem ich in einem ehemaligen Patientenzimmer lebte, mit Ausblick auf die Stadt und Balkon. Die Besetzung war von der Stadt geduldet und die Flure waren mit geräuschschluckenden Teppichen ausgelegt. In der Küche stapelte sich das Geschirr bis unter die Decke. Es war der 25. September 2005, ein Sonntag, was ich weiß, weil ich den Kaufbeleg vom Vortag aufgehoben habe.
Obwohl ich schon lange spielte und vorher immer vehement behauptet hatte, Online-Rollenspiele seien nichts für mich, dazu fehle mir die Zeit, ergriff mich die Welt von Tyria sofort. Eine runtergekommene, verwüstete Landschaft, die Heldinnen allein, die Hauptstadt in Asche. Ich fühlte mich direkt zu Hause. Ich machte einen Account und nannte mich Leyla Lapin.
Dass ich eine Frau spielen wollte, war eine Mischung aus beidem: dem Interesse daran, diese weiße Elementarmagierinüstung zu kriegen, die ich auf Screenshots gesehen hatte, und dem Interesse, schneller Anschluss zu finden, denke ich. Wobei ich heute nicht mehr genau sagen kann, was von beidem ausschlaggebend gewesen ist.
Was ich aber sagen kann: Diese Wahl sollte sich als folgenschwer erweisen. Denn auf der einen Seite lernte ich als Elementarmagierin einen meiner ersten und gleichzeitig besten Online-Freunde kennen. Auf der anderen Seite verlor ich ihn aber auch genau deshalb wieder.
Memphis, aber nicht Tennessee
Die WG war, auch wenn sie nicht mir gehörte, meine erste eigene Wohnung, ich fühlte mich sofort ohne Aufsicht. Ich bestellte mir Teile für einen Selbstbau-Rechner und puzzelte sie auf dem Teppich zusammen. Dann nahm ich den Schlüssel vom Brett, fuhr in die Stadt und kaufte mir im Saturn Guild Wars, das mir weit weniger bunt und schrill erschien als World of Warcraft. Das gefiel mir.
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