Eine »neue« Art Shooter beschert mir gerade die Zeit meines Lebens

Wer nur auf die dicken Schlagzeilen achtet, verpasst aktuell einen absolut großartigen Shooter-Trend. Aber dafür habt ihr ja uns.

Dimi versinkt gerade in Boomer-Shootern. Grund dafür ist aber nicht die Nostalgie. Dimi versinkt gerade in Boomer-Shootern. Grund dafür ist aber nicht die Nostalgie.

Manche Dinge befriedigen ein Bedürfnis, von dem ich vorher gar nicht wusste, dass es existiert. Diese Spinnenarmdingsis zum Beispiel, mit denen man sich den Kopf massieren kann. Oder kinetischer Sand, der so merkwürdig stimulierend durch die Finger rieselt.

Oder - um wieder zum Gaming zurückzukehren - Boomer-Shooter, also neue Shooter, die sich ganz bewusst wie von vorgestern anfühlen sollen. Spiele wie Prodeus, Dusk oder Wrath: Aeon of Ruin, die wie die Enkelkinder von Doom, Quake und Hexen wirken wollen.

Die Sache ist: Ich empfinde überhaupt keine Nostalgie für Doom, Quake oder Hexen. Meine ersten Shooter als Knirps hießen Half-Life, Serious Sam und Max Payne. Eigentlich dürften diese Retro-Ballereien überhaupt keine Knöpfchen bei mir drücken.

Und doch komme ich seit Wochen nicht von ihnen los. Gerade erst habe ich Warhammer 40K: Boltgun durchgespielt, als nächstes steht die Cyberpunk-Ballerbude Sprawl auf meinem Zettel.

Stellt sich raus: Hinter Boomer-Shootern steckt weit mehr als Nostalgie. Hier sind drei weitere, für mich viel wichtigere Gründe, den Oldschool-Schießereien eine Chance zu geben.

Dimitry Halley
Dimitry Halley

GameStar-Redaktionsleiter Dimi ist zwar streng genommen noch ganz knapp ein Kind der 80er, aber für Doom und Co. dann doch etwas zu jung. Trotzdem findet er in den neuen Boomer-Shootern eine Designkunst, die gerade in der modernen Spielelandschaft unglaublich fasziniert.

Kurze Einordnung: Boomer-Shooter

Nach dieser Einleitung werden einige von euch schon mit Würgereiz zur Kommentarspalte scrollen, doch haltet ein: Ich weiß, ich weiß, Boomer-Shooter ist eigentlich kein korrekter Begriff. Die Internetkids von heute bezeichnen ja gerne mal alles vor der aktuellen Generation Z als Boomer, dabei sind die echten Baby Boomer (geboren zwischen 1945 und 1965) in den 90ern schon weit über 30 gewesen.

Korrekter wäre also X-Shooter, weil Boltgun, Ion Fury und Co. sich an Leute richten, die in den 90ern irgendwo zwischen Teenager und Studi (also Generation X) waren, aber a) hat der Buchstabe X dieses Jahr schon für genug Verwirrung gesorgt und b) ist Boomer Shooter einfach catchy, also fahren wir jetzt bitte damit.

DUSK - Test-Video: Ein toller Shooter-Spaß, der nicht danach aussieht Video starten 5:44 DUSK - Test-Video: Ein toller Shooter-Spaß, der nicht danach aussieht

Boomer Shooter erscheinen mittlerweile in allen Formen und Farben, aber die Merkmale lassen sich grob zusammenfassen: Sie spielen sich ganz bewusst wie Shooter von vor 25 Jahren, also stark gameplay-fokussiert, ihr hetzt durch Labyrinthe, sammelt klassische Waffen von Pumpgun bis Raketenwerfer, konzentriert euch ganz aufs Zerlegen höllischer Gegnerhorden und haltet Ausschau nach Secrets und geheimen Wänden.

Hier ein paar Beispiele als Referenz:

Grund 1: Kein unnötiger Ballast

Ich habe letztens versucht, Immortals of Aveum zu spielen, EAs 2023er Shooter, den niemand gekauft hat. Eigentlich genau mein Ding: Fantasy-Ballereien in fetziger Kulisse, quasi ein Call of Duty mit Zaubersprüchen. Simple, seichte Unterhaltung für den Feierabend, dachte ich ... und habe es nicht über die ersten zwei Missionen hinaus gespielt.

Immortals of Aveum ist zwar launig, aber in jeder Hinsicht modern: Es braucht ewig, um so richtig in die Gänge zu kommen, weil mir erstmal die Story, die Welt und alle Akteure erklärt werden müssen, während ich mich durch eine Tutorial-Passage nach der anderen vorarbeite. Prinzipiell ja auch kein Problem, aber ich merke, dass ich gerade werktags nach Feierabend keinen Kopf für so viel Info-Dumping habe.

Boomer-Shooter sind das Gegenteil. Ein Warhammer 40.000: Boltgun garniert mir eine kurze Introsequenz, drückt mir dann einen Bolter in die Hand und sagt mir und meinem Space Marine: Zieh los und wutz ein paar Kultisten weg. Für den Imperator.

Warhammer 40,000 im Doom-Style: Boltgun ist im Trailer sicher nicht zimperlich Video starten 0:30 Warhammer 40,000 im Doom-Style: Boltgun ist im Trailer sicher nicht zimperlich

Selbst ein Modern Warfare 2 schien sich letztes Jahr fast dafür zu schämen, ein echter Shooter zu sein. Dauernd musste ich irgendwo schleichen, Kämpfe umgehen, mich durch spielbare Zwischensequenzen bewegen.

Boomer-Shooter schenken sich den ganzen Drumherum-Ballast: Knarre in die Hand und losspielen. Manchmal ist das genau das, was ich brauche, so gerne ich Story-Epen mit ausladenden Geschichten oft auch mag.

Grund 2: Die Lesbarkeit

Wisst ihr, warum so viele moderne Spiele irgendeine Art von Detekivsicht haben? Weil moderne Technik sie quasi notwendig macht: Current-Gen-Spiele strotzen nur so vor Details, jede Räumlichkeit ist vollgestopft mit Objekten, ich bewege mich durch lebensechte Städte, in denen es ohne irgendeine Infrarotsicht extrem mühsam wäre, Geheimnisse zu erspähen. Und hey, ich will auch gar keine dieser Evolutionen missen.

Aber auf der anderen Seite liebe ich Boomer-Shooter für ihre Lesbarkeit. Hier muss ich keine Sichtmodi wechseln, weil in den groben 3D-Umgebungen jedes Detail heraussticht wie ein ehrlicher Mensch unter Krypto-Gurus.

Ich klappere Level für Level ab, ohne mich groß von irgendwelchen Krimskrams ablenken zu lassen und erkunde nach Gutdünken, weil ich auch keine 100 Collectibles finden muss, um die Erfahrung zu genießen.

Grund 3: Die Kreativität

Man tut Boomer-Shootern allerdings unrecht, sie einfach als groben Rückgriff auf Vergangenes zu reduzieren. Im Gegenteil: Hier finde ich noch Kreativität, die ich bei großen AAA-Singleplayer-Shootern oft vermisse. Nehmt zum Beispiel Hrot.

Hrot sieht aus wie Linsensuppe, ist aber ungemein kreativ. Hrot sieht aus wie Linsensuppe, ist aber ungemein kreativ.

Hrot wurde von einer einzigen Person entwickelt. Ich schieße mich durch ein alternatives Tschechien der 80er Jahre, komplett in Braun-Grau-Filter getüncht, und erlebe auf der einen Seite bissige Anti-Sowjet-Satire, auf der anderen Seite Myriaden von Anspielungen auf die tschechische Kultur (von denen ich wahrscheinlich nur fünf Prozent verstehe).

Anderes Beispiel: Sprawl, ein recht neuer Shooter, der sich ganz gezielt vom eher abgeranzten Industrial-Cyberpunk eines Akira oder Ghost in the Shell inspirieren lässt, statt von den Neon-Vibes modernerer Genre-Vertreter.

Fast jeder Boomer-Shooter verfolgt irgendeine nischige kreative, einzigartige Vision. Und da dürfen sich die Großen gerne was von abschauen.

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