Cyberpunk 2077: Warum die verkorkste PS4- und Xbox-Version auch PC-Spielern schadet

Cyberpunk 2077 ist auf Last-Gen-Konsolen ein technisches Fiasko. Heiko erklärt, weshalb darunter auch die Besitzer der deutlich besseren PC-Version leiden werden.

Fünf Euro ins Phrasenschwein: Wer hoch fliegt, kann auch tief fallen. Dieser Onkelsprech-Wahrheit muss sich gerade CD Projekt stellen, seitdem immer klarer wird, in welch miserablem technischen Zustand die Cyberpunk-Versionen für PS4 und Xbox One veröffentlicht wurden.

Ein stark verwaschenes Bild, teils sekundenlanges Nachladen von Texturen, immer wieder heftige Bildraten-Einbrüche auf unter 20 FPS - von der eigentlichen Faszination des Rollenspiels bleibt da kaum mehr was übrig, weshalb unsere Kollegen von GamePro im Konsolentest zu Cyberpunk 2077 um 20 Punkte abwerten und eine Kaufwarnung aussprechen.

Auf Reddit, Twitter und Co. hagelt es gleichermaßen Kritik wie Spott der enttäuschten Fans, für das liebesverwöhnte Entwicklerstudio in diesem Ausmaß eine völlig neue Situation.

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Jetzt könnte man meinen: Kann uns PC-Spielern doch egal sein! Zwar ist auch hier die Release-Version in einem schlechteren Zustand als noch unser Testmuster, weshalb wir nachträglich um drei Punkte abwerten und den Platin-Award aberkennen müssen.

Aber sie funktioniert grundsätzlich und sieht zumindest auf Highend-Systemen zum Niederknien schön aus, weshalb PC-Spieler die unbestreitbaren Qualitäten dieses Rollenspiel-Schwergewichts mit Abstand am besten genießen können.

Also (fast) alles wunderbar? Weit gefehlt, denn das Konsolen-Fiasko wird meiner Ansicht nach auch für uns PC-Spieler gravierende Folgen haben. Einige schon jetzt, einige möglicherweise erst später.

Der Autor

Heiko wollte Cyberpunk 2077 mangels eines leistungsstarken Heim-PCs eigentlich auf seiner neuen Xbox Series X spielen, wird nun aber doch mindestens bis zum bereits angekündigten Next-Gen-Update warten, nachdem er die so viel schönere PC-Version gesehen hat. Oder er geduldet sich gleich bis zum neuen Spiele-PC, der für 2021 fest eingeplant ist. Als langjähriger Chefredakteur von GameStar und zuvor des Entwicklermagazins Making Games kennt er sowohl die Sorgen und Nöte von Entwicklerstudios bei komplexen Produktionen als auch die der Spieler, wenn ein Titel nicht im gewünschten Zustand erscheint.

Mögliche Folgen für PC-Patches

Fangen wir an mit dem »Schon jetzt«: Oberste Priorität für CD Projekt muss jetzt das Beheben der größten Konsolenprobleme haben, um auf PS4 und Xbox One ein zumindest halbwegs vernünftig spielbares Erlebnis zu gewährleisten.

Wenn jemand priorisiert, dann heißt es automatisch, das andere Dinge erstmal zurückgestellt werden müssen. Und das trifft normalerweise immer etwas, wo es gerade die wenigsten Schwierigkeiten gibt, also im Fall von Cyberpunk 2077 die PC-Version. Würde ich als Projektmanager genauso handhaben.

Eventuell ermöglichen die technischen Konsolenoptimierungen auch auf dem PC eine etwas bessere Bildrate auf schwächeren Systemen. Wirklich signifikante Optimierungen oder gar »Quality of Life«-Verbesserungen werden jedoch erstmal zurückstehen müssen, bis CD Projekt die gravierendsten PS4- und Xbox-Probleme in den Griff bekommen hat.

Mögliche Folgen für DLCs und Multiplayer

Die Schwere der technischen Probleme auf den Konsolen wird es meiner Einschätzung nach für CD Projekt nahezu unmöglich machen, am bisherigen (internen) Zeitplan für die DLCs sowie die bereits angekündigten Multiplayer-Erweiterung festzuhalten.

Balancing-Schwächen und kleiner Grafikfehler lassen sich in der Regel leicht beheben, aber die Textur-Nachlader und Framerate-Einbrüche auf PS4 und Xbox One erfordern meist tiefere Eingriffe in Engine und Systeme, was insbesondere bei einem solch komplexen Gesamtkonstrukt wie Cyberpunk 2077 wiederum Folgeschwierigkeiten mit sich bringen kann.

Drehen die Entwickler an einer Schraube, drehen sich bei einem Open-World-Rollenspiel auch Dutzende andere Schrauben mit. Was das in der Praxis bedeutet, erklären euch die Weltenbauer von Piranha Bytes und Deck 13 sehr anschaulich im folgenden Devplay-Video:

Wie baut man eine Spielwelt? - Deutsche Entwickler über (Open-)World-Design Video starten PLUS 26:00 Wie baut man eine Spielwelt? - Deutsche Entwickler über (Open-)World-Design

Dies aufzulösen, wird vom gesamten Team zusätzliche Kraftanstrengung und Zeit erfordern. Zeit, die an anderer Stelle fehlt - wie bei der Arbeit an DLCs und Multiplayer-Erweiterung. Ja, ein wenig mag CD Projekt dies schon eingepreist haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie der Zustand der Konsolenversion jetzt komplett überrascht. Das Ausmaß der Probleme aber wahrscheinlich schon.

Denn sind wir mal ehrlich: Als Meister der Planung und eingehaltenen Termine hat sich CD Projekt in letzter Zeit nur so mittel einen Namen gemacht. Entsprechend würde es mich sehr überraschen, wenn es bei den DLCs keine Verzögerungen gibt.

Das Ende des PCs als Lead-Plattform?

Kommen wir zu den Spätfolgen, und die könnten für PC-Spieler womöglich viel gravierender werden als nur ein paar Verzögerungen bei Patches und DLC. Denn man kann CD Projekt einiges vorwerfen, aber sicher keine mangelnde Liebe für den PC. Außer dem Flight Simulator gibt es derzeit kein anderes Spiel, das unsere Lieblingsplattform derart hübsch an seine Leistungsgrenzen treibt. Aber seht selbst:

Cyberpunk 2077 - Entwickler erklären, was Raytracing bringt Video starten 3:13 Cyberpunk 2077 - Entwickler erklären, was Raytracing bringt

Statt ein paar Alibi-Reflexionen bekommen wir hier endlich ein umfängliches Raytracing, das diesen Namen auch verdient und in dieser Qualität selbst auf den Next-Gen-Konsolen nicht umsetzbar wäre. Und in Ultra-Details erkunden wir eine opulente Open World, bei der wir mit jedem Schritt verstehen, warum sie selbst Highend-Systemen alles abverlangt. Statt der PS4 war endlich mal wieder der PC die Lead-Plattform … und dafür zahlt CD Projekt jetzt einen hohen Preis.

Die meisten Spiele-Entwickler machen es sich einfach: Sie nehmen die PS4-Version als Grundlage und ergänzen dann zusätzliche Effekte und Optionen für leistungsfähigere Systeme.

CD Projekt ist augenscheinlich den umgekehrten und weitaus komplizierteren Weg gegangen: Aus dem PC rausholen, was geht und dann runterskalieren auf die schwächeren Plattformen.

Genau mit dieser Strategie sind sie nun gescheitert, was die Befürchtung nahelegt, dass beim nächsten großen Projekt die PS5 oder Xbox Series X den Ton angeben wird. Die mögen jetzt noch modern und vielen PCs überlegen sein, aber das wird in drei bis vier Jahren schon grundlegend anders aussehen. Die Entwicklung von Cyberpunk 2077 hat sieben Jahre gedauert.

Ein besonderes Entwicklerstudio am Scheideweg

In den Sozialen Medien lese ich gerade sehr häufig den Vorwurf, dass die Fans bei Cyberpunk 2077 mit zweierlei Maß messen und die Kritik bei einem Spiel von EA oder Activision um ein Vielfaches heftiger ausgefallen wäre. Das mag durchaus stimmen, zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich CD Projekt dieses »zweierlei Maß« in den vergangenen Jahren hart erarbeitet hat. Mit DRM-freien Spielen, kostenlosen DLCs, tollen Preis-Leistungs-Verhältnissen und vorbildlicher Community-Pflege.

Aber so lange es dauert, sich Vertrauen zu erarbeiten, so schnell kann man es zerstören. Zum Beispiel indem man vor Release keine Testmuster der Konsolenversionen herausgibt, weil man ganz genau weiß, was einen erwartet. Und vor allem, indem man für 70 Euro ein Spiel auf der PS4 und Xbox One veröffentlicht, das die seit Jahren wartenden Fans heftig enttäuscht.

CD Projekt hat sich immer als ein besonderes Entwicklerstudio verstanden und auch inszeniert. Eines, das die Wünsche seiner Fans respektiert, auch wenn es vielleicht wirtschaftlich ertragreichere Optionen gäbe. Problematische Releases sind für das Team keine neue Erfahrung, viele von uns werden sich noch an die ersten beiden Witcher-Teile erinnern, bei denen CD Projekt die Wogen mit kostenlosen Enhanced Editions zumindest so weit glätten konnten, dass der Großteil der Fans bereit war, ihnen bei The Witcher 3 eine neue Chance zu geben. Mehr dazu könnt ihr in unserem umfangreichen Witcher-Making-of lesen:

Ob eine ähnliche Wiedergutmachung auch bei den enttäuschten PS4- und Xbox-Käufern von Cyberpunk gelingen kann? Ich habe da meine Zweifel.

Genau deshalb steht für mich CD Projekt jetzt am Scheideweg, und meine größte Sorge als PC-Spieler ist, dass sie falsch abbiegen. Denn zynisch formuliert kann ihnen das negative Echo angesichts von über acht Millionen Vorbestellungen und einem phänomenalen Verkaufsstart nahezu egal sein. Die Zahlen passen, die Investoren werden zufrieden sein, was zählen da ein paar unzufriedene Kunden?

Es kann durchaus sein, dass CD Projekt diese Frage rein wirtschaftlich beantwortet. Und es wäre nicht das erste Mal, dass sich dadurch die Außenwahrnehmung eines Entwicklerstudios fundamental ändert - insbesondere PC-Spieler haben die Entwicklungen bei Bioware, Blizzard oder Bethesda in den letzten Jahren nur allzu gut im Gedächtnis.

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Die Bosse bei CD Projekt müssen in den nächsten Wochen und Monaten viele entscheidende Fragen für sich beantworten: Wie können sie sicherstellen, dass die nächste Spieleproduktion ohne Crunch für die Belegschaft erfolgreich werden kann? Wie können sie das Vertrauen der enttäuschten PS4- und Xbox-Besitzer zurückgewinnen? Wie soll das Entwicklerstudio und Unternehmen in Zukunft wahrgenommen werden? Und wie wichtig sind ihnen dabei die PC-Spieler? Ich hoffe, sie finden darauf die richtigen Antworten.

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