Obwohl Das Schwarze Auge als Klassiker der Fantasy gilt, wird ihm wohl ewig der Ruch der Kopie anhaften. Vom Boom der Pen&Paper-Rollenspiele in den Vereinigten Staaten begeistert, wollte der Schmidt-Verlag Anfang der Achtzigerjahre das erfolgreiche Dungeons & Dragons nach Deutschland holen, schreckte aber vor den hohen Lizenzgebühren zurück. Also engagierte man kurzerhand die Übersetzer der deutschen D&D-Ausgabe, um eine eigene Spielwelt aus dem Boden zu stampfen, komplett mit Regelwerk, Abenteuern und Hintergrundgeschichten. So entstand in Rekordzeit der Kontinent Aventurien. Das Schwarze Auge war geboren - und trotz seiner Vorgeschichte keineswegs als schnöder Klon.
Von einer aufwändigen Werbekampagne begleitet, eroberte das Rollenspiel in Windeseile die heimischen Kinderzimmer, Hobbykeller und Kneipentische. In den bald 30 Jahren seit seiner Entdeckung ist das Abenteuerland zu einem riesigen Fantasy-Kosmos angewachsen, der neben dem Basisspiel Romane und Hörbücher, Zeitschriften und Comics, Kartenspiele und Tabletops sowie eine ganze Reihe von Computerumsetzungen umfasst - wenngleich ihm die jüngste, das verbuggte Schicksalsklinge, sicher keine Ehre macht. Aber es gab ja beispielsweise auch das schöne Drakensang und Satinavs Ketten. Diesen wollen wir im Folgenden Tribut zollen.
Mit Würfel, Stift und Schwert
Das Original gibt es immer noch. Mittlerweile erscheint Das Schwarze Auge zwar nicht mehr bei Schmidt, sondern bei Ulisses, und die dem einen oder anderen Leser sicher noch bekannte Basisbox wurde gegen ein aufgefrischtes Regelbuch ersetzt, die Fantasiewelt hat aber nichts von ihrem Charme verloren und begeistert nach wie vor Tausende Gelegenheitsabenteurer. Reinschnuppern ist denkbar einfach: Ulisses bietet eine Einführungsquest zusammen mit den Grundregeln als PDF kostenlos zum Herunterladen an.
Wer mit Drakensang und Am Fluss der Zeit bereits Erfahrung gesammelt hat, kann alternativ mit »Der Kult der Goldenen Masken« für schmale 12 Euro durchstarten, das die Geschichte des Zweiteilers fortführt und Spielmechaniken einfach en passant erläutert. Neben Stiften, Papier und Würfeln (die genretypischen mit 20 Seiten) wird nur eine Handvoll williger Mitstreiter benötigt. Anschluss findet man fast überall, es kann auch nicht schaden, einfach mal einer erfahrenen Spielergruppe bei ihrem Raubzug über die Schulter zu linsen. Soloabenteuer existieren zwar auch, machen aber aber nur halb so viel Spaß. Wen die aventurische Grippe angesteckt hat, der kann sich mit zahllosen Erweiterungen oder Spin-offs wie dem Miniaturen-Strategiespiel »Schicksalspfade« in die Vollen stürzen.
Ratten über Shiva
Wer lieber mit der Maus als mit Bleistift und Radiergummi hantiert, dem steht die Welt des Schwarzen Auges ebenfalls offen. Über die Jahre ist gut ein halbes Dutzend digitaler Ableger erschienen. Die ersten waren die drei Teile der Nordlandtrilogie: Schicksalsklinge, Sternenschweif und Schatten über Riva gelang es nicht nur, Flair und Regelwerk der Vorlage vorbildgetreu auf den Monitor zu übertragen. Obwohl technisch wie spielerisch eher hausbacken, begeisterte das Trio zahlreiche Anhänger und machten die Spieleschmiede Attic aus dem tiefsten Schwaben auch international bekannt. Firmenmitbegründer Guido Henkel sollte später bei den amerikanischen Black Isle Studios anheuern und an Planescape: Torment mitwirken, einem der unbestritten besten Rollenspiele aller Zeiten.
Wer das ursprüngliche DSA-Trio heute genießen möchte, dem sei von der Neuauflage der österreichischen Crafty Studios abgeraten. Sternenschweif HD kommt in vieler Beziehung nicht nur nicht an die Qualität des Originals heran, sondern nervt obendrein mit zahlreichen Fehlern. Die bessere Alternative sind die Heldenedition von 2011 (teilweise noch bei Ebay zu finden) und die GOG-Versionen, die via Dosbox auch unter Windows laufen.
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Der Fluss der Zeit
Nach langer Durststrecke durften PC-Abenteurer 2008 mit Drakensang endlich erneut nach Aventurien aufbrechen. Eine epische Geschichte mit gut geschriebenen Dialogen und interessanten Charakteren, spannende Scharmützel, die gekonnt Echtzeit-Ablauf und Runden-Anteile mischen, sowie eine malerische Spielwelt brachten dem Lizenztitel der Berliner Radon Labs nicht nur das Wohlwollen von Fans und Kritikern ein, sondern auch den Deutschen Computerspielepreis 2009 in gleich zwei Kategorien.
Trotz der guten Rezeption und des ebenfalls gelungenen Prequels Am Fluss der Zeit fielen die Verkaufszahlen für das ambitionierte Projekt insbesondere außerhalb des deutschsprachigen Raums zu gering aus - Radon Labs musste 2010 Insolvenz anmelden. Teile des Teams werkeln inzwischen bei Bigpoint am Browserspiel Drakensang Online, das allerdings ohne DSA-Lizenz auskommen muss.
Wer ohne das offizielle Siegel nicht leben mag, wechselt zum ebenfalls kostenlosen Herokon Online, das seit Mitte vergangenen Jahres in der offenen Beta läuft und Spielwelt wie Regelwerk des Schwarzen Auges detailgetreu abbildet. Die beiden ursprünglichen Drakensang-Teile sowie das weniger überzeugende Addon Phileassons Geheimnis sind noch überall im Handel erhältlich und auch heute noch einen Blick wert - längst nicht nur für Fans der Vorlage.
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