Man darf noch selber denken
Die Spielwelt soll laut den Entwicklern nur etwa ein Viertel kleiner sein als die von Skyrim. Trotz der Größe gibt es immer was zu tun. Überall in Enderal finden sich Bücher und auskunftsfreudige NPCs, die zu alles und jedem etwas zu erzählen haben und der Welt auf diese Weise Leben einhauchen.
Das Missions-Design reißt zwar keine Bäume aus, findet aber immer einen Dreh, der Abwechslung in das Rollenspiel-Einerlei bringt. Da stehen zum Beispiel zwei Brüder weniger Meter auseinander, die nicht mehr miteinander reden wollen, sodass wir so lange »Du kannst ihm sagen, dass…«-Botschaften hin und her tragen, bis sich die beiden gegenseitig die Rübe einschlagen.
Einige der immer wiederkehrenden NPCs haben gar ganze Queststränge, in denen wir nichts Anderes tun, als uns zu unterhalten. Im Vergleich zu einem Witcher 3 fehlen zwar außergewöhnliche Questmechaniken, dafür tischt uns Enderal nie reine Lückenfüller auf. Wir laufen also nicht von einem Monsternest zum nächsten und schmeißen schnell eine Bombe rein. Bei Enderal gleicht dagegen keine Aufgabe komplett der anderen.
In der Hauptstory kämpfen wir uns durch Dungeons, schleichen durch das Haus eines Kaufmannes, müssen Gegnerwellen aufhalten oder öffnen Geheimgänge, indem wir Umgebungsrätsel lösen. Hin und wieder fordert Enderal nämlich unsere Gehirnwindungen; ganz nach dem Motto: Man darf noch selber denken.
Die Kombo macht uns stark
Während wir durch das Missionsdesign ungewöhnlich viele Aufgaben ohne Waffengewalt lösen, bleiben die Kämpfe dennoch ein Hauptbestandteil des Spiels. Sie laufen im Grunde genauso ab wie in Skyrim, worüber sich nicht unbedingt jeder freuen wird. Denn dieses Kampfsystem hat einige Mängel; ganz besonders im Nahkampf, der oft in blindes Herumgeklicke ausartet. Enderal erbt hier unfreiwillig Schwächen von Skyrim, sodass man die Dynamik eines Witcher 3 vergeblich sucht.
So sehr uns Enderal in den Kämpfen an Skyrim erinnert, hat das Mammutprojekt bei der Charakterentwicklung dennoch einen eigenen Spin entwickelt. 22 komplett neu gescriptete und animierte Fähigkeiten ersetzen die alten Machtschreie aus Skyrim und bieten Spielraum für mächtige Kombos. Investieren wir beispielsweise in die Talentbäume (davon gibt es neun) des Vagabunds mit dem des Gauners, können wir Gegnern mit einer Reihe von Fähigkeiten ordentlich einheizen.
Mit besagter Kombination locken wir zuerst unsere Feinde mit der explosiven Sternlingsattrappe aus dem Vagabund-Talentbaum an, die bei Detonation alle Umstehenden vergiftet, wodurch diese kurzzeitig mehr Schaden erleiden. Dann halten wir für einige Sekunden die Zeit an, beschwören fünf mächtige Feuerpfeile und schicken mehrere davon auf den Weg, bevor sich unsere Gegner überhaupt wieder rühren können. Wenn die Zeit dann wieder läuft, entfachen wir so ein wahres Inferno.
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Etwas negativ fiel uns hier bislang nur die Balance ins Auge. So wirkt insbesondere der beschwörbare Feuerpfeil des Gauners zu Spielbeginn deutlich zu stark. Das hat aber immerhin den Vorteil, dass wir schon in einige Gebiete vorstoßen können, die eigentlich erst für höherstufige Charaktere vorgesehen sind. Unsere Gegner leveln nämlich nicht mehr wie in Skyrim mit! Ein Umstand, der das Erkunden deutlich spannender macht. So sind wir etwa nach unserer Tour zu erwähntem Schiffswrack noch um den nächsten Felsvorsprung herumgelaufen - und haben prompt von einigen viel zu starken Zombiewesen auf die Rübe bekommen.
Um für mehr Abwechslung und einer deutlicheren Abgrenzung zu Skyrim zu sorgen, hat Entwickler SureAI circa 60 Prozent aller Modelle und Texturen in Enderal selbstgemacht. Wir stoßen neben einigen bekannten Gegnertypen daher auf viele völlig neue Monster wie den Vatyren, der grob an einen Werwolf mit Pferdekopf erinnert.
Charakter ohne Freifahrtschein
Im Gegensatz zum Kampfsystem haben die Entwickler bei der Charakterentwicklung deutlich stärker eingegriffen. Verbesserten wir unsere Fähigkeiten in Skyrim noch durch ein Learing-by-doing-System, bekommen wir in Enderal wieder ganz klassisch Erfahrung für Questabschlüsse, Entdeckungen und erschlagene Feinde. Bei jedem Stufenaufstieg erhalten wir Lern-, Handwerks- sowie Erinnerungspunkte.
Diese Erinnerungspunkte verteilen wir wie ganz normale Skill-Punkte sauf neun Talentbäume, die in drei Kategorien einzuordnen sind: Krieger, Magier und Schurke/Bogenschütze. Dort schalten wir zumeist passive Boni frei, von denen viele bereits aus Skyrim bekannt sind. Besseres Schlossknacken, spezielle Rüstungsboni, geringerer Manaverbrauch beim Zaubern usw. Außerdem hält jeder Talentbaum mindestens zwei der besagten 22 neuen Fähigkeiten bereit. Wer zwei Bäume kombiniert, erhält weitere einzigartige passive Buffs auf seine Fähigkeiten. Etwa einen Mehrfachschuss als schurkischer Bogenschütze.
Mit diesen Erinnerungspunkten müssen wir jedoch haushalten. In Enderal gibt es kein richtiges Max-Level, die nötige Erfahrung für einen Levelaufstieg steigt jedoch irgendwann so hoch, dass wir allerhöchstens drei der neun Talentbäume voll bekommen. Zu einem Meisterschwertschwinger mit arkanen Superkräften und einzigartiger Schlossknack-Expertise können wir uns also nicht aufschwingen. Und Vorsicht: Es gibt keine Möglichkeit, die Talentauswahl zurückzusetzen!
Mit den Lern- und Handwerkspunkten steigern wir unabhängig von den Talentbäumen die klassischen Skyrim-Charakterwerte: Leichte, mittlere und schwere Rüstung, Schmiedekunst, Alchemie, Einhandkampf, Schleichen und so weiter. Allerdings investieren wir diese Punkte nicht direkt in unseren Charakter, sondern müssen erst entsprechende Lehrbücher lesen, um die Punkte auch tatsächlich auf unsere Charakterwerte zu übertragen. Diese Bücher können wir in der Spielwelt finden, müssen sie aber in der Regel bei Händlern für teures Geld kaufen. Das gewährleistet so ganz nebenbei, dass Gold langfristig wertvoll bleibt.
Wie schon bei den teuren Lehrbüchern und den seltenen Erinnerungspunkten folgt Enderal einem grundlegenden Prinzip: Der Spieler muss überlegen, was er tut, jede Entscheidung hat Konsequenzen. Daher gibt es in Enderal auch keinen Auto-Heal, sodass wir vor unseren Abenteuern stets für genügend Vorräte sorgen müssen. Unsere Lebenspunkte können wir abseits geruhsamer Nächte nämlich nur durch Nahrung oder Heiltränke regenerieren. Heilzauber oder -tränke steigern jedoch den abstrakten Wert »Arkanistenfieber«. Je höher der steigt, umso mehr Mali erhalten wir - ähnlich wie die Vergiftung durch zu viele Tränke in The Witcher 3.
Allein durch das immens teure Gegenmittel Ambrosia lässt sich das Fieber im Zaum halten. Der magischen Heilung ist also die ganz normale Nahrung vorzuziehen, die allerdings nur außerhalb des Kampfes ihre Wirkung entfaltet. Da wir die nötige Nahrung aber nicht nur begrenzt gratis in der Spielwelt finden können, gibt es stets genügend Möglichkeiten, sein schwer verdientes Gold beim örtlichen Händler zu reinvestieren.
Nach Schema F
Wer über Gold redet, darf selbstverständlich das Crafting nicht vergessen. Die Handwerks-Alternative zur teuren Shopping-Tour erlaubt uns fast eins zu eins wie in Skyrim unsere Ausrüstung, Tränke und Waffen selbst herzustellen. Abgesehen von den nun notwendigen Bauplänen ändert sich beim Basteln aber so gut wie nichts. Die Items sind natürlich andere, das Prinzip bleibt aber gleich: Wir sammeln Ressourcen, verarbeiten diese teilweise weiter und stellen anschließend auf Basis unserer Fähigkeiten oder Baupläne das gewünschte Item her. Aus Erz wird Metall, aus Metall eine Rüstung oder Schmuck. Alles wie gehabt.
Laufen, laden, laufen, laden
Ähnlich bekannt ist die Technik. Enderal basiert unübersehbar auf der Creation Engine aus Skyrim. Matschige Texturen, steife Animationen, Detailsichtweite und viele Ladepausen zeigen gerade im Vergleich mit aktuellen Blockbustern wie The Witcher 3, was sich in den letzten fünf Jahren technisch getan hat.
Bei Enderal macht sich dann auch noch bemerkbar, dass viele unterschiedlich geschulte Hände über mehrere Jahre an dem Projekt gewerkelt haben. Wie unser Technik-Check aufzeigt und die Entwickler auch frei heraus zugeben, sind längst nicht alle Gebiete Enderals perfekt optimiert. Dadurch schwankt die Bildwiederholrate gerne mal zwischen 30 und 90 FPS, wenn man nur an Ort und Stelle die Blickrichtung ändert.
Dazu kommen einige Abstürze. Diese beschränken sich zumindest in unserem Test allerdings ausschließlich auf Ladesituationen. Wenn man also ein Haus betritt, durch ein Stadttor schreitet oder eine anderweitige Ladepause abzusehen ist, sollte man zuvor kurz mittels »F5« schnellspeichern, um den Spielzeitverlust auf ein Minimum zu beschränken.
Hier sind wir auch an unserem größten Kritikpunkt an Enderal angelangt: Natürlich kann ein solches Mod-Projekt nichts für den technischen Unterbau. Was aber tatsächlich zu kritisieren ist, sind die vielen unnötigen Ladepausen, die wir gerade in der Hauptstadt Ark ertragen müssen. Ja, Ark ist groß und muss dementsprechend in viele Bezirke unterteilt werden, damit die Engine nicht in die Knie geht.
Blöd ist nur, dass der zentrale Anlaufpunkt aller wichtigen Story-Quests je nach Laufweg durch mindestens fünf Ladebildschirme von der Außenwelt oder der nächsten Schnellreisestation abgetrennt ist. Am Ende vieler Außeneinsätze können wir uns zwar direkt nach Ark zurückteleportieren, um dann aber wieder aus der Stadt herauszukommen, starren wir länger auf den Ladebildschirm als nötig. Gerade auf schwächeren Rechnern geht einem das nach einiger Zeit gewaltig auf den Keks. Hier wären Abkürzungen oder intelligenter gesetzte Anlaufpunkte eine Wohltat gewesen.
Allgemein ist Enderal in einem ordentlichen, aber nicht perfekten Zustand. Wegfindungsprobleme und einige Bugs (die sich hin und wieder beim Questfortschritt und in Ladepausen einschleichen) sorgen immer mal wieder dafür, dass das Spiel in seiner Handlung einfriert. Immerhin hilft es in der Regel, einfach schnell den letzten Spielstand zu laden. Dann entwickelt sich wieder alles wie gehabt. Wir können Ihnen also nur ans Herz legen, häufig zu speichern. Dann steht einem bisweilen atemberaubenden Abenteuer auf Enderal nichts mehr im Weg.
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