Der neue Fokus
Wenn Musiker ein neues Album rausbringen, kann man sicher sein, dass es jene gibt, die den neuen Sound lieben, und jene, die den totalen Ausverkauf dessen monieren, was ihrer Ansicht nach den Charakter der Band ausgemacht hat. Bei Videospielen ist das nicht anders, allerdings wechseln in vielen Entwicklerstudios die Besetzungen der Schlüsselpositionen (zum Beispiel Autoren oder die kreative Leitung) viel häufiger als in einer Musikgruppe.
Einer dieser Abgänge bei Bioware war Brent Knowles, der unter anderem an Baldur's Gate 2 mitgearbeitet hatte und später das Team leitete, das Dragon Age: Origins entwickelte. Für ihn waren taktische Gefechte und eine gute Gruppensteuerung enorm wichtig für ein Rollenspiel. Was kam nach seinem Weggang? Dragon Age 2 – ohne Taktikansicht.
Und Dragon Age: Inquisition – ohne echten taktischen Kampf, mit wenig nützlicher Taktikansicht. Natürlich ist sowas nicht an einer Person festzumachen, aber ich finde, man merkt deutlich, wenn die Handschrift bestimmter Designer aus einem Studio verschwindet. Ähnliches lässt sich über den Weggang des Mass Effect-Autors Drew Karpyshyn sagen, der Bioware während der Entwicklungsarbeiten zu Mass Effect 2 verließ.
Für Inquisition wechselte der Bioware-Fokus auf die Inszenierung zu Lasten der taktischen Tiefe und einer konsistenten, durchgehend spannenden Geschichte (die trotzdem weit besser ist als die von Skyrim, aber schlechter als die von Origins) sowie zu Lasten von Entscheidungen, die wirklich spürbare Konsequenzen haben. Ich könnte das belegen, möchte aber nicht spoilern. Wer einen anderen Vergleich sucht: Eine großartige, bewegende Geschichte mit knallharten, konsequenten Entscheidungen bietet auch das Indie-Taktik-Rollenspiel The Banner Saga.
Insofern habe ich mich, wie auch im Fazit geschrieben, von meiner Hoffnung getrennt, das alte Bioware der Baldur's Gate-Ära (und auch noch der Ära von Origins und bedingt Mass Effect) je wieder zu erleben. Bioware muss als Big Player (nach der Angliederung an EA, nach Star Wars: The Old Republic etc.) Zahlen liefern. Und das geht mit Popcornkino weit besser als mit aufwühlenden, anspruchsvollen Dramen.
Nicht schlecht, nicht wie früher
Ist das gut? Wenn ihr mich fragt: Nein! Ich ziehe Tiefe in Story und Mechanik fast jeder Inszenierung vor. Ich arbeite mich gern in komplizierte Strukturen ein, solange diese mich am Ende mit unvergesslichen Momenten belohnen. Der Massenmarkt – nein, nicht Electronic Arts, sondern die versammelte Spielerschaft! – will das aber nicht.
Der Massenmarkt rechtfertigt diese Entwicklung durch hohe Verkaufszahlen, und die großen Studios müssen sich danach richten, wenn sie in ihrer aktuellen Form weiter existieren möchten. Der Massenmarkt will vereinfachte und ja, konsolentaugliche Ware mit Knalleffekten. Transformers, so hohl die Geschichte auch sein mag. Fluch der Karibik, so eindimensional die Handlung auch sein mag. Die zehntausendste Comic-Verfilmung, egal wie schlecht die Vorlage ist - Hauptsache Kurzweil und Kawumm!
Warum also »Lang lebe BioWare«? Weil sie mit Dragon Age: Inquisition ein Spiel geschaffen haben, das aus anderen Gründen großartig ist. Die Inszenierung ist geil, die Welt ist geil. Streckenweise (besonders im letzten Drittel) kommen auch Spannung und ein bisschen Dynamik in die Story. Die Schwächen, die es definitiv hat, sind keine Abgründe. Inquisition ist alles andere als schlecht. Und wenn die PC-Bedienung besser funktionieren würdem, hätten wir es sogar noch besser bewertet als mit den eh schon sehr guten 85 Punkten.
Inquisition ist nur nicht mehr das alte Bioware.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn ich Spiele nach alter Bioware-Manier zurückwill, muss ich mich umorientieren, zu Indieprojekten und Kickstarter. Denn dafür existiert kein Massenmarkt (mehr?), schon gar nicht ausschließlich für den PC. So traurig das auch ist. Das neue Bioware macht trotzdem tolle, kurzweilige Spiele. Und das kann – und muss – ich als Kritiker ebenfalls anerkennen.
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