Seite 2: Frauen über Sexismus: Activision Blizzard ist nur die Spitze des Eisbergs

GameStar Plus Logo
Weiter mit GameStar Plus

Wenn dir gute Spiele wichtig sind.

Besondere Reportagen, Analysen und Hintergründe für Rollenspiel-Helden, Hobbygeneräle und Singleplayer-Fans – von Experten, die wissen, was gespielt wird. Deine Vorteile:

Alle Artikel, Videos & Podcasts von GameStar
Frei von Banner- und Video-Werbung
Einfach online kündbar

#GamerGate: »Kultur der Angst«

Auch 2012: Anita Sarkeesian, Medienkritikerin und Gründerin von Feminist Frequency, wird Opfer extremen Cyber-Bullyings. Auslöser: Ihre Videoreihe zur Darstellung des Weiblichen in Videospielen. Sie wird überflutet mit sexistischen Kommentaren und Morddrohungen. Anonyme Täter sprechen Bombendrohungen gegen Veranstaltungen aus, auf die Sarkeesian eingeladen ist. Es kursieren Fotomontagen, auf denen sie von Videospielfiguren vergewaltigt wird. Ein Spiel taucht auf, in dem man sie zu Tode prügeln kann. 

Sarkeesian wird – neben vielen anderen - erneut Opfer von Gewalt- und Morddrohungen im Zuge der als #GamerGate bekannt gewordenen Online-Übergriffe 2014. 

Spiel Spiel
Spiel Spiel

Anita Sarkeesian, Medienkritikerin, wird Opfer extremen Cyber-Bullyings. Ein Spiel taucht auf, in dem man sie zu Tode prügeln kann. Auf der Download-Webseite (rechts) lassen sich bis heute frauenverachtende Kommentare finden.

Den Hashtag #GamerGate prägt Schauspieler Adam Baldwin im August 2014. Der Zündfunke: Die angebliche Kontroverse um Indie-Entwicklerin Zoë Quinn, der von einem Ex-Freund öffentlich vorgeworfen wird, sich eine gute Kritik für ihr Spiel Depression Quest vom Spielejournalisten Nathan Grayson mit Sex eingekauft zu haben. Alles erfunden, wie sich später herausstellt. Da ist es aber schon zu spät. Das Internet läuft Sturm. 

Adam Baldwin teilt den Tweet eines weiblichen Fans, die sich wünscht, dass die Medien nicht nur die Männer, sondern auch die »vielen Frauen« erwähnen würden, die gegen Zoe Quinn seien. Das Ganze als angeblicher Beweis dafür, dass Quinn eine Lügnerin sei. Im Kern eine Schlammschlacht zwischen zwei Privatpersonen fängt das Thema Feuer. 

Prinzipiell berechtigte Fragen wie die nach der Verquickung zwischen Spielejournalismus und Spieleentwicklern werden hoffnungslos überlagert von Doxing, Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Verbreitet wird der Hashtag auch über das Breitbart News Network, das der Alt-Right-Bewegung, dem extremen rechtskonservativen Lager, nahesteht und für seine Medienkultur zwischen Verschwörungstheorien, Rassismus und Misogynie bekannt ist. 

Bilder tauchen auf, in der Anita Sarkeesian von Videospielfiguren vergewaltigt wird (unkenntlich gemacht durch Anita Sarkeesian). (Quelle: researchgate.net via FeministFrequency) Bilder tauchen auf, in der Anita Sarkeesian von Videospielfiguren vergewaltigt wird (unkenntlich gemacht durch Anita Sarkeesian). (Quelle: researchgate.net via FeministFrequency)

War doch nur Spaß

Quinn ist nur das erste Opfer. In der Folge werden auch weitere Frauen, die in der Spielebranche arbeiten oder als Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen tätig sind, angegriffen. So Anita Sarkeesian, die wie Quinn durch die Situation sogar dazu gezwungen wird, ihre Wohnung zu verlassen. Auch Brianna Wu wechselt den Wohnort.

Die Spieleentwicklerin postet 2014 einige sarkastische Tweets in Richtung der GamerGate-Anhänger. Daraufhin wird ihre Adresse veröffentlicht. Auch sie ist Morddrohungen ausgesetzt. 2015 berichtet sie, dass sie in nur sechs Monaten allein 48 Morddrohungen erhalten habe. 2017 stellt das FBI die Untersuchungen ein. Vier Männer können identifiziert werden, wovon zwei geständig sind. Einer sagt aus, das Ganze sei doch nur ein Spaß gewesen und gelobt Besserung. Das zuständige Gericht entscheidet sich, strafrechtlich nicht weiter vorzugehen. Wu leidet seit den Übergriffen an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Ein weiteres Opfer: Die damalige Gamasutra-Journalistin Leigh Alexander. Im Zuge der Übergriffe gegen Quinn und andere Frauen äußert sie sich kritisch in einem Artikel auf Gamasutra. Prompt zieht Intel seine Werbeplatzierungen auf der Seite zurück – auf Betreiben des GamerGate-Mobs. Zwar macht Intel diese Entscheidung wieder rückgängig – dennoch zeigt sich, wie wirkungsvoll die #GamerGate-Bewegung agieren – und andere instrumentalisieren – kann.

#GamerGate führt laut Wissenschaftler wie Dr. Michael Salter (University of New South Wales, Sydney) zu einer »Kultur der Angst«, von der vor allem Frauen in der Spielebranche und Games-Community betroffen sind. Und die Frauen immer wieder zurückdrängen - aus Selbstschutz, aus Angst, aus Desillusioniertheit über eine Branche, die immer noch längst nicht so offen und divers ist, wie sich den Anschein gibt. Die Cosplayerin Christine Sprankle etwa setzt 2017 ihre Karriere aus – wegen ständiger sexueller Belästigung. 

Lange Tradition der Ungleichheit

All diese Beispiele sind lediglich Spitzen des Eisberges. Das Problem: Frauen in der Videospielindustrie sind immer noch eine Minderheit. Zwar hat sich der Anteil weiblicher Beschäftigter von mauen neun Prozent im Jahr 2009 auf mittlerweile 30 (Stand: 2021 laut Statista) gesteigert. Das dominante Geschlecht ist aber weiterhin das männliche. Im professionellen E-Sport schaut es noch kritischer aus: Gerade mal fünf Prozent sind hier Frauen. 

Diese Prozentsätze stehen im krassen Gegensatz zum weiblichen Anteil an Spielern weltweit, der inzwischen fünfzig Prozent beträgt. Die Ungleichverteilung hat historische Gründe. So schildert es uns Kate Edwards im Gespräch. 

Zwar hat sich der Anteil weiblicher Beschäftigter mittlerweile auf 30 Prozent gesteigert; das dominante Geschlecht ist aber weiterhin das männliche. (Quelle: Statista Zwar hat sich der Anteil weiblicher Beschäftigter mittlerweile auf 30 Prozent gesteigert; das dominante Geschlecht ist aber weiterhin das männliche. (Quelle: Statista

Edwards war dreizehn Jahre lang bei Microsoft beschäftigt, steht auf der Forbes-Liste der Visionäre »50 over 50«, war lange Jahre Executive Director der International Game Developers Association und betreut in dieser Funktion nun den Global Game Jam. Sie sagt:

»Die Geschlechter-Ungleichheit in der Videospielindustrie lässt sich auf deren Ursprünge in der IT-Industrie der 1950er und 1960er Jahre zurückverfolgen.« 

Kate Edwards war 13 Jahre lang bei Microsoft beschäftigt. Kate Edwards war 13 Jahre lang bei Microsoft beschäftigt.

Damals, so Edwards, waren Techjobs quasi ausschließlich männerdominiert, »weil die Kultur an sich männerdominiert war und es auch die Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen gar nicht gab.« Nina Kiel, Spieleentwicklerin und -forscherin und eine der führenden Advokatinnen zum Thema Frauen und Spiele in der Bundesrepublik, schildert uns: 

»Die ›Frat House‹-Mentalität begleitet die Spieleindustrie seit ihren Anfängen. Das zeigen schon Erfahrungsberichte, die die Arbeitsbedingungen bei Atari in den 1970er und 80er Jahren beschreiben, um nur ein Beispiel zu nennen.«

Disclaimer
Nina Kiel ist freie Autorin und hat in der Vergangenheit bereits für GameStar Artikel veröffentlicht.

Das Problem sei mangelnde Diversität: »Die Homogenität in den Firmen begünstigte, dass sich Traditionen wie sexistische Witze, Ausflüge in Stripclubs, Trinkgelage und mehr lange Jahre halten konnten, denn wo sich die Mehrheit der Angestellten – scheinbar – mit der Unternehmenskultur wohl fühlen, muss man auch nichts ändern.«, so Kiel. 

Die Videospielindustrie erwächst aus einem Sektor heraus, der dominiert ist von männlichen Stereotypen. Das Erbe, sagt Edwards: »Eingebaute Geschlechter-Vorurteile, die sich jahrzehntelang gehalten haben«. Weswegen sie auch nicht von einem Tag auf den anderen verschwinden. Klar ist: »Wir stehen erst ganz am Anfang einer Veränderung«. 

Nina Kiel ist eine der führenden Advokatinnen zum Thema Frauen und Spiele in der Bundesrepublik. Nina Kiel ist eine der führenden Advokatinnen zum Thema Frauen und Spiele in der Bundesrepublik.

2 von 6

nächste Seite



Kommentare(165)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Die Kommentarsektion unter diesem Artikel wurde geschlossen. Kommentieren ist nicht mehr möglich.