Seite 2: Was wir gegen Sexismus tun können und wie sich die Spielebranche ändern muss

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Die Rechtslage in den USA und Deutschland

Zum Vergleich: In den USA ist der Tatbestand der sexuellen Belästigung (sexual harassment) im Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) geregelt und so definiert: »unwillkommene sexuelle Annäherungen, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen und andere verbale oder körperliche Handlungen sexueller Natur, wenn diese Handlungen die Erwerbsarbeit einer Person explizit oder implizit beeinflussen, die Arbeitsfähigkeit einer Person in übermäßigem Maße beeinträchtigen oder ein einschüchterndes, feindliches oder beleidigendes Arbeitsklima schaffen«.

Die potentiellen Stolpersteine: Wann ist die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen »übermäßig« (unreasonably) beeinträchtigt? Was ist zumutbar? Wo ist die Grenze? Ist ein schlüpfriger Witz im Monat in Ordnung? Oder zwei? 

Ein weiteres Problem: Annäherungen gelten dann als »unwillkommen«, wenn die Betroffene diese nicht erbeten (solicit) oder angestoßen (incite) hat. Das Opfer muss deutlich machen, dass die Annäherung nicht willkommen ist. Erschwerend kommt hinzu, dass zusätzlich zu den Bestimmungen im EEOC in jedem Bundesstaat noch lokale Regelungen gelten. 

Im AGG – Allgemeines Geleichbehandlungsgesetz – ist die Geschlechtergleichheit klar definiert. Die Realität sieht aber – auch in Deutschland – oftmals anders aus. Im AGG – Allgemeines Geleichbehandlungsgesetz – ist die Geschlechtergleichheit klar definiert. Die Realität sieht aber – auch in Deutschland – oftmals anders aus.

Aber auch in Deutschland war es ein steiniger Weg bis zur aktuellen Rechtslage. Bis 2006 galt laut Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (Beschäftigtenschutzgesetz BeschSchG – mittlerweile außer Kraft) folgende Definition: »Sexuelle Belästigung ist jedes vorsätzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt«. In § 2 Abs. 2 BeschSchG heißt es: »Dazu gehören sonstige sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen, die von den Betroffenen erkennbar abgelehnt werden.« Das Problem liegt hier vor allem in dem unscheinbaren Wörtchen »erkennbar«. 

Ganz ähnlich wie im US-Recht ist die klare Kommunikation des »Nein« aufseiten des Opfers hier noch Voraussetzung dafür, dass der Täter belangt werden kann. Seit 2006 hat sich das bei uns geändert. Nun greift nämlich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz AGG. Und hier ist nicht mehr die Rede von »vorsätzlich« oder »erkennbar«. Da heißt es:

»[Sexuelle Belästigung ist] ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.«  

(§ 3 Abs. 4 AGG)

Die neue Formulierung »unerwünscht« bedeutet, dass die Ablehnung der betroffenen Person nicht explizit nach außen treten muss. Was gerade in asymmetrischen Machtgefällen zwischen Vorgesetzten und Angestellten ja der Fall sein kann – wenn sich die Mitarbeiterin etwa aus Angst vor Entlassung nicht traut, dem Chef ihre Ablehnung seines Verhaltens deutlich zu kommunizieren.

Rechtshilfe: Was tun?

Was raten die Rechtsexperten Betroffenen? Monika Schlachter meint: »Zu raten wäre, ein Tagebuch zu führen, in dem die Vorkommnisse dokumentiert werden. Das wird benötigt, weil diejenige, die sich auf Benachteiligung oder Belästigung berufen möchte, die rechtlich relevanten Tatsachen mindestens genau darlegen muss.« 

Es besteht außerdem ein Beschwerderecht nach § 13 AGG gegenüber der zuständigen Stelle des Betriebes. Oder man wendet sich an eine der bundesweiten Beratungsstellen. Auch als Außenstehender oder Zeuge kann und sollte man aktiv werden. Etwa, so Schlachter, »unterstützend eingreifen, wenn jemand belästigt oder beleidigt wird oder sich als Zeuge zur Verfügung stellen, wenn es zum Rechtsweg kommt.« 

Dieser Einsatz von Zivilcourage ist oft leichter gesagt als getan. Zumal im Klima der Abhängigkeitsverhältnisse am Arbeitsplatz, wo man niemandem auf die Füße treten will, schon gar nicht dem übergriffigen Chef. Umso wichtiger ist es, eben nicht zu schweigen, so auch Martin Maties:

»Ich rate, die Ablehnung des Verhaltens eindeutig auszudrücken und nicht zu ignorieren. Wenn möglich sollte man andere Personen durch lautes Wiederholen der unpassenden Bemerkungen miteinbeziehen. Bei ähnlichen Erfahrungen von Kollegen kann man gemeinsam mit diesen dagegen vorgehen.« 

Prof. Dr. iur. Martin Maties arbeitet an der Universität Augsburg. Prof. Dr. iur. Martin Maties arbeitet an der Universität Augsburg.

Die Situation in Deutschland: Eher mau

Die Rechtsgrundlagen, gegen sexuelle Übergriffe vorzugehen sind also, zumindest in der Bundesrepublik, vorhanden. Nur: Wo kein Kläger, da kein Richter. Bislang ist es in der deutschen Spieleindustrie recht still geblieben. Der Kelch von Blizzard und Co. scheint an der deutschen Branche erstmal vorbeizugehen. Aber trügt die Stille? 

Auch wenn man die Situation in der Bundesrepublik sicherlich ausführlich gesondert untersuchen müsste, um sich ein echtes Urteil bilden zu können: Es scheint hier kaum besser auszusehen. Lena Fischer, Project Lead Games bei WERK1.Bayern GmbH (Games/Bavaria), meint dazu:

 »Wenn von Games als diversem Medium gesprochen wird, bezieht sich das meistens auf die Spielerschaft, denn hier herrscht tatsächlich annähernd geschlechtliche Parität. Aufseiten der Entwicklungsstudios und Publisher sieht das schon anders aus. Für ganz Deutschland betrug der Anteil weiblicher Mitarbeiterinnen 2021 nur rund fünfundzwanzig Prozent. Auch was wir für unser Bundesland bisher ausgewertet haben, zeigt ein eher frustrierendes Bild: Die Quote ist in Bayern ähnlich.« 

Spiele mögen also in der Mitte der Gesellschaft angekommen sein – von echter Diversität auf der Höhe der Zeit sind sie noch weit entfernt. Simone Lackerbauer, Project Manager Games bei WERK1.Bayern GmbH (Games/Bavaria), attestiert: »Es gibt kaum Games-Gründerinnen und selbst als Teil des Gründungsteams haben sie selten eine Position in der Geschäftsführung inne. Etwas anders ist es auf Management-Ebene. Dort finden sich etwas mehr Frauen.« 

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die Material für Arbeitgeber kostenfrei anbietet – hier ein Plakat. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die Material für Arbeitgeber kostenfrei anbietet – hier ein Plakat.

Lackerbauer fordert daher auch für den deutschen Markt: »Es muss ein generelles Umdenken stattfinden bei allen Beteiligten.« Nina Kiel, Spieleentwicklerin und -journalistin und eine der führenden Advokatinnen zum Thema Frauen und Spiele in der Bundesrepublik, sieht das ähnlich:

»Obwohl die Spieleindustrie in den letzten Jahren spür- und belegbar diverser geworden ist, wird sie weiterhin von alten Problemen begleitet. Das heißt konkret, dass Frauen selten in Spitzenpositionen anzutreffen sind und über alle Unternehmensebenen hinweg mit Benachteiligung, Sexismus und mitunter sogar übergriffigem Verhalten konfrontiert werden.« Luft nach oben? Gibt es quasi noch unbegrenzt.

Disclaimer
Nina Kiel ist freie Autorin und hat in der Vergangenheit bereits für GameStar Artikel veröffentlicht.

Was sich in der Branche ändern muss

Höchste Zeit, das anzugehen. Aber wo anfangen? Wir haben Frauen aus der Branche gefragt. Und zahlreiche Lösungsvorschläge aus den USA, Spanien, Frankreich und Deutschland bekommen. Kate Edwards war 13 Jahre lang bei Microsoft beschäftigt und lange Zeit Executive Director der International Game Developers Association. Sie steht auf der Forbes-Liste der Visionäre »50 over 50« und schlägt vor: 

»Entwicklerinnen sollten sich lokal organisieren und Gewerkschaften gründen. So können sie ihr Management zur Verantwortung ziehen, damit die bessere Entscheidungen treffen und Diversität und Inklusion in den Unternehmen wirklich auch gelebt werden.« 

Doch das ist nicht so einfach. Unlängst hat etwa Activision Blizzard ablehnend auf die Pläne von Beschäftigten reagiert, sich in Gewerkschaften zu organisieren.

Marta Aguilera, eine spanische Spieleentwicklerin, die für ein Games-Unternehmen in Großbritannien arbeitet, setzt sich als local hero selbst aktiv ein: »Ich habe in meiner Stadt eine lokale Initiative gegründet. Wir gehen in die Schulen und erzählen den Kids, dass man in der Spieleindustrie arbeiten kann – unabhängig vom Geschlecht!« 

Marta Aguilera, eine spanische Spieleentwicklerin, setzt sich an Schulen als Advokatin für die Spielebranche ein. Marta Aguilera, eine spanische Spieleentwicklerin, setzt sich an Schulen als Advokatin für die Spielebranche ein.

Auch US-Entwicklerin Kim Belair hat Ideen, wie sich die Situation verbessern ließe. Belair hat als Writer und Narrative Designer lange für große Studios wie Ubisoft, Rocksteady, Square Enix und Valve gearbeitet, bis sie sich 2018 mit ihrem eigenen, »black- and queer-owned« Studio Sweet Baby Inc selbstständig gemacht hat. Sie schlägt vor: 

»Es braucht geschützte Räume, in denen Frauen gezielt wachsen können. Diese Räume können aber nur dann entstehen, wenn sie von denen ermöglicht werden, die jetzt an den Positionen der Macht sitzen.« 

Gerade für den Nachwuchs der Branche ist der Schutzaspekt besonders wichtig, meint Simone Lackerbauer von Games/Bavaria: »Ich wünsche mir gezieltes, flächendeckendes Mentoring, auch direkt an den Universitäten, Austausch mit weiblichen Vorbildern und mehr Kontakt von Organisationen wie ›Women in Games‹ mit den Frauen. Gerade auch in den Unis müsste man mal einmal gründlich nachhaken und gegebenenfalls umstrukturieren, aussortieren, neu denken.« 

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