Wie führt man eine MMO-Gilde mit 2.400 Mitgliedern, ohne verrückt zu werden?

Wir haben mit Agrodin, dem Leiter der größten deutschen ESO-Gilde, gesprochen. Im Interview spricht er über Verantwortung, Schattenseiten und seine Vision.

So sieht Agrodins Spieler-Charakter aus. Gemalt von @Anraee. So sieht Agrodins Spieler-Charakter aus. Gemalt von @Anraee.

Spieler-Gilden sind aus MMOs nicht wegzudenken: Hier versammeln sich Gleichgesinnte, questen zusammen, schließen Freundschaften. Aber wie leitet man eigentlich eine große Gruppe von Spielern? Und mit groß meinen wir in diesem Fall tausende von Spielern.

Außerdem - warum bürdet man sich diesen Stress überhaupt erst auf? Wir haben darüber mit Agrodin, dem Leiter der größten deutschen Gilde von The Elder Scrolls Online gesprochen. Im Interview mit GameStar verrät er, wie man so eine riesige MMO-Gilde erfolgreich leitet, wo die größten Herausforderungen liegen und warum das sogar sein reales Leben besser macht

Wer ist Agrodin?
Agrodin spielt ESO bereits seit der Beta 2014. Fast genauso lang ist er schon Gildenleiter von Arkays Zirkel. Die Gilde wurde von seinem Kumpel gegründet, der hatte aber schon nach zwei Wochen keine Lust mehr auf die Rolle - also übernahm Agrodin die Leitung. Vorher hatte er überhaupt keine Erfahrung mit MMOs oder Gilden. Er kam über Skyrim zu ESO, weil er Tamriel unbedingt gemeinsam mit Freunden besuchen wollte. Falls ihr Fragen an ihn habt, erreicht ihr ihn im Spiel als @Agrodin.

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Wie leitet man eine Gilde mit tausenden Mitgliedern?

So organisiert Agrodin das Ganze: Arkays Gilde besteht eigentlich aus sieben kleineren Gilden. Alle haben ihren eigenen thematischem Schwerpunkt: zum Beispiel für Einsteiger, Handel oder PvP. Der Gedanke dahinter klingt einleuchtend: Jeder Spielertyp soll einen Platz finden, an dem er sich wohl fühlt. Das sorgt laut Agrodin gleich von vornherein für bessere Stimmung.

"Wenn man Leute mit denselben Interessen in einer Gilde versammelt, dann hat man nicht diese großen Reibungspunkte. Wenn man dagegen Endgame-Content-Raider mit Einsteigern zusammensteckt, dann kann das schon eher Konflikte auslösen. Manche Lategame-Spieler verstehen zum Beispiel nicht, warum Einsteiger so langsam unterwegs sind."

Arkays Gilden sind keine One-Man-Show, wie Agrodin ausdrücklich betont. Ohne viele engagierte Mitglieder ginge es nicht: Gilden- und Event-Leiter, Grafikdesigner, Streamer und so weiter. Bei ihnen möchte er sich ausdrücklich bedanken, denn sie bekommen oft wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung.

Sieben verschiedene Gilden mit unterschiedlichen Zielen - was verbindet diese Gruppen überhaupt miteinander? Hinter den Arkay-Gilden steht eine gemeinsame Philosophie: Bei größtmöglicher Freiheit ein gutes Miteinander zu schaffen. Deswegen gibt es auch keinen strikten Regelkatalog, sondern ein simples Grundprinzip: Geh so mit anderen um, wie sie mit dir umgehen sollen.

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Klappt es wirklich ohne strikte Regeln?

Laut Agrodin funktioniert das Miteinander in seinen Gilden super, trotz der hohen Mitgliederzahlen. Es läuft natürlich nicht immer alles glatt, manchmal benimmt sich jemand daneben. Aber er glaubt, dass es immer und überall schwarze Schafe geben wird. Strengere Vorschriften oder Strafandrohungen lehnt er ab, er setzt lieber auf die Eigenverantwortung der Spieler. Und die Zahlen scheinen ihm Recht zu geben.

In den sechs Jahren seit Beginn musste er gerade mal vier Leute rauswerfen, weil sie sich schlecht verhalten haben. Allgemein findet er die Community von ESO angenehm und vor allem sehr erwachsen:

"Das unterscheidet sie meiner Meinung nach von vielen anderen Spielen. Probleme, wie man sie zum Beispiel von League of Legends immer wieder hört, haben wir nicht."

Dennoch erlebt er manchmal auch die Schattenseiten seines Amtes. Und die haben meistens nichts mit den Spielern zu tun.

Was stört ihn am meisten?

Agrodin verdient kein Geld als Gildenleiter, auch nicht mit seinen Youtube-Videos oder Streams. Das macht ihm nichts aus - doch manchmal würde er sich mehr Anerkennung für dieses Ehrenamt wünschen.

"Ich finde, Gaming fristet immer noch ein Schattendasein. Wenn jemand einen Verein mit über 2000 Mitgliedern leiten würde, dann könnte er das in Bewerbungen schreiben und wäre sofort ein super Typ. Wenn man das aus dem Gaming-Bereich einbringt, dann erntet man Augenrollen oder komische Fragen."

Zu den weniger schönen Erfahrungen gehört für ihn auch, dass er weniger zum Spielen kommt als früher. Er ist inzwischen Vater geworden. Und auch das Amt des Gildenleiters fordert viel Zeit. Konkret sieht sein Tag so aus:

"Ich logge mich ein und checke erstmal meine Emails, schaue mir an, was es für Fragen oder Anmerkungen gibt. Ich sorge vor allem dafür, dass die Gilden unter einem Hut laufen, dass die Kommunikation klappt - intern und mit anderen Spielergruppen. Am Tag investiere ich mindestens eine Stunde Zeit dafür, zum Spielen komme leider ich nicht mehr so oft wie früher. Das ist einer der Negativpunkte, manchmal hat das Ganze eher Arbeitscharakter."

Wenn das liebste Spiel zur Arbeit wird - für viele wohl eine abschreckende Vorstellung. Aber Agrodin hat einen besonders persönlichen Grund, der ihn antreibt.

Warum tut man sich so viel Verantwortung eigentlich an?

Spiele sind für ihn gerade während der Corona-Beschränkungen mehr als nur ein simples Hobby. Er findet, dass gerade MMOs eine hervorragende Möglichkeit sind, mit Freunden Zeit zu verbringen oder neue Leute kennenzulernen:

"Gerade in dieser schwierigen Zeit ist es doch eine tolle Sache: mit anderen zusammenspielen, sozialer Austausch, Kontakte knüpfen."

Auf die Frage, warum man sich so viel Stress überhaupt jahrelang antut, ohne damit Geld zu verdienen, antwortet er:

"Ich bin Ausbilder in der Krankenpflege. Vielleicht habe ich ein bisschen so eine soziale Krankheit. Mir macht es wirklich Freude, etwas aufzubauen. Ich finde, die deutsche Spieler-Community ist ein schlafender Riese. Daran will ich rütteln, ich will mit unseren Gilden vorangehen und zeigen, was man leisten kann, wenn man an einem Strang zieht. Sowohl im Spiel als auch außerhalb. Man hat nun mal eine gewisse soziale Verantwortung."

Ein ganz bestimmtes Event liegt ihm daher sehr am Herzen: 2018 startete Arkays Zirkel eine Charity-Veranstaltung, bei der Geld für die Kinder-Krebsstiftung gesammelt wurde. 11.111 Euro an Spenden kamen damals zusammen. Er sagt darüber:

"Dieses Charity-Event wird meine Zeit mit ESO überleben. Das ist ein tolles Gefühl."

Charity-Event: Am 12. und 13. Dezember 2020 findet Arkays Charity-Weekend in ESO erneut statt. Diesmal soll es noch größer ausfallen, viele deutsche Streamer machen mit und auch Entwickler Zenimax ist beteiligt. Für die Zuschauer gibt es besondere Twitch-Drops, Verlosungen und weitere Aktionen. Die Einnahmen werden an die Kinder-Krebsstiftung gespendet.

Wie schafft er das alles, ohne durchzudrehen?

Dieses Verantwortungsgefühl treibt Agrodin an, auch stressige Zeiten durchzustehen. Und durch die Aufteilung der Gilden verteilt sich die Last auf mehrere Schultern. Aber trotzdem gibt es auch für ihn manchmal Momente des Frusts.

"Stellenweise begleitet es mich schon in den Alltag. Wenn man wenig Wertschätzung für die Mühen bekommt, macht einen das natürlich manchmal traurig. Es gab zwar wenige Fälle, aber manchmal verwechseln die Leute eine ehrenamtliche Stelle mit einer gut bezahlten Dienstleitung. Das finde ich dann schon frech."

Doch auf jede schlechte Erfahrung kommen viel mehr schöne Momente, wie er klar stellt. Und er ist sicher, dass das Amt des Gildenmeisters auch sein echtes Leben bereichert:

"Aber es ist nicht so, als ob ich Gildenleiter bin und nichts Positives davon im Real Life habe! Ich kann das alles auch mit in meinen Job nehmen: klare Linien ziehen, Umgang mit Kritik, Führungskompetenz."

Warum sind Gilden so wichtig für ein Spiel wie ESO?

Streaming-Plattformen wie Twitch haben inzwischen eine gewaltige Trägerrolle für viele Spiele. Einige Spiele werden überhaupt erst durch Streaming bekannt - das wohl aktuellste Beispiel ist Among Us. Aber auch MMOs profitieren natürlich von einer aktiven Streamer-Szene.

ESO bildet keine Ausnahme, wie Agrodin aus eigener Erfahrung weiß. Immerhin leitet er persönlich die Untergruppe Arkays Segen, in der sich drei erfolgreiche Streamer mit ihrer Community austauschen. Trotzdem hält er Gilden auf Dauer für wichtiger:

"Gilden sind das Fundament eines MMOs. Streamer sind ein tolles Aushängeschild und bringen auch viele neue Spieler, aber sie halten sie nicht unbedingt. Die Gilden sorgen dafür, dass die Leute auch langfristig bleiben. Ich finde, dass man darauf noch ein bisschen mehr schauen sollte."

Auch aus Spielersicht meint er, dass nur eine lebendige Community ein Online-Spiel dauerhaft trägt. Auch wenn die Entwickler regelmäßig Content nachschieben, hätte er ESO schon vor Jahren den Rücken gekehrt - wären da nicht die anderen.

"ESO ist zwar ein riesiges Spiel, aber wenn ich die Leute nicht hätte, wäre es nach ein oder zwei Jahren wahrscheinlich in der Ecke gelandet. Meine Langzeitmotivation sind unsere Mitglieder. Zum Beispiel auch die Gildentreffen in der realen Welt, wie unser Treffen im Rahmen der gamescom. Das war klasse."

2020 fand die Spielemesse in Köln komplett digital statt, deswegen gab es auch kein Gildentreffen. Viele Spieler bedauern das sehr und hoffen, dass es bald wieder möglich wird, sich auch mal persönlich zu sehen.

Was rät er angehenden Gildenleitern?

Agrodin hat als erfahrener Leiter natürlich auch ein paar Tipps für Gildenleiter und solche, die es vielleicht noch werden wollen.

"Überlegt euch gut, ob ihr eine neue Gilde gründen wollt. Klar, es macht Spaß, aber es ist auch viel Verantwortung. Es ist immer schade, wenn Gilden aus dem Boden gestampft und nach einem halben Jahr wieder eingestampft werden. Dann bröselt halt eine Community auseinander, weil ein Mensch keine Lust mehr hat."

Er setzt noch hinzu, dass er die Konkurrenz, ja Feindschaft zwischen manchen Spielergruppen schade findet. Denn eigentlich geht es ja darum, Spaß zu haben.

"Unterm Strich geht es halt immer noch um ein Spiel. Manchmal denke ich mir, Mensch, ihr sitzt doch eigentlich gemütlich am PC. Entspannt euch."

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