»Optimistischer Krieg« - die Begriffe stehen in Anführungsstrichen, aber trotzdem stutzt man erst mal, wenn man das liest. Ganz besonders, wenn sie in einer Powerpoint-Präsentation von Yager Development auftauchen. Das Berliner Studio hat sich vor 2012 mit Spec Ops: The Line ein Denkmal gesetzt. Ein Spiel, geprägt vom ernsthaften Bemühen, dem Genre der Militärshooter sowas Ähnliches wie ein Gewissen einzuhauchen. Spec Ops: The Line wollte genauso zum Nachdenken einladen wie zum Ballern.
Es hat in seinen besten Szenen neue Maßstäbe gesetzt hat, was das Medium Computerspiel selbst in seinem vielleicht sonst seichtesten Genre an erzählerischer Kraft hervorbringen kann. Ein Spiel das Krieg nicht als Abenteuerspielplatz zeigen wollte, sondern als unberechenbaren Irrsinn, in dem sich jeder die Finger schmutzig macht - auch die vermeintlichen Helden. Und nun das: »Optimistischer Krieg« - auf einer Powerpoint-Folie während der Präsentation von Dreadnought.
Deprimierende Erkenntnis
Irritiert schauen wir zu unseren Gastgebern. Peter Holzapfel, der Game Director von Dreadnought, erklärt den Sinn hinter der Folie: Man wolle nur sehr deutlich machen, dass Dreadnought eben nicht schon wieder so eine deprimierende Geschichte erzählt wie Spec Ops: The Line.
Der Sci-Fi-Shooter mit seinen Riesenraumschiffen erzählt von einem Fantasy-Krieg: große Explosionen, politische Intrigen, machtgierige Fraktionen - kein Blut, keine Leichen, keine verbrannten Frauen und Kinder. Kurz, es ist eine Folie, die uns sagen soll: Keine Sorge, das hier ist ein völlig anderes Spiel. Yager will Abstand gewinnen, von Spec Ops. Das ist dann leider doch deprimierend.
Spolier-Warnung: Im folgenden Absatz wird eine Schlüsselszene aus Spec Ops: The Line besprochen. Wer das Spiel noch spielen will, sollte ihn überspringen.
Erzählerischer Mut, der seinesgleichen sucht
Zugegeben, Spec Ops: The Line war sicherlich nicht der perfekte Deckungsshooter. Der Spielablauf war mitunter zu monoton, der Ballistik des Spiels fehlte es an Unmittelbarkeit, und letztlich war es dann spielerisch vielleicht auch einfach zu sehr gehobener Durchschnitt. Aber in seinem erzählerischen Mut ließ das Spiel praktisch die ganze internationale Genre-Konkurrenz im Staub zurück. In seiner ganz eigenen Neuerzählung von Joseph Conrads Klassiker Herz der Finsternis konfrontierte Yager Spieler in aller Welt in ungekannter Weise mit den Schattenseiten des Krieges.
Szenen, die in anderen Spielen einfach nur unterhaltsame Effektgewitter geblieben wären, zogen plötzlich abscheulichste Konsequenzen nach sich. In der vielleicht besten Szene des Spiels stehen wir in Gestalt von Captain Martin Walker einer aufgebrachten Menschenmenge gegenüber. In ihr verstecken sich die Mörder eines unserer Kameraden.
Wir haben die Wahl: Sie alle miteinander wahllos niederzuschießen oder einfach in die Luft zu feuern und die Menge auseinander zu treiben. Der Kniff dabei: Wir wissen nicht, dass wir diese Wahl haben. Wo uns andere Spiele mit dem Kopf auf Option A und B stoßen, lässt Spec Ops den Shooterspieler mit seiner Entscheidung allein. Viele ballern los - schon allein, weil sie es nicht anders gewohnt sind. Abknallen, was denn sonst?
Wunderbare Schuldgefühle
Für diese Spieler liefert Spec Ops sogar einen Kommentar über den Zustand des ganzen Genres ab, nämlich dann, wenn sie später erfahren, dass sie derart festgefahren waren in der Konditionierung ihres Abzugsfingers - so sehr, dass ihnen nie in den Sinn kam, es könnte eine andere Lösung vorgesehen sein, als draufzuhalten. Wenn es ihnen leid tut, was sie getan haben.
Schuld, darüber sprechen Entwickler auf Konferenzen und in Workshops seit Jahren, ist die große, ungenutzte Emotion der Computerspiele. Ein Gefühl, das Filme und Bücher nicht erreichen können, weil man in ihnen nicht aktiv an der Handlung teilnimmt und dadurch immer unschuldiger Betrachter bleibt.
Spec Ops ist eines von wenigen Spielen, die es geschafft haben, dass sich seine Spieler schuldig fühlen. Ausgerechnet ein Militärshooter mit großem Budget. In einem Genre, dominiert von der Actionfilm-Ästhetik eines Call of Duty, der Gewalt und Tod nur als Spektakel dienen, war Spec Ops: The Line der erste, groß angelegte Versuch zu beweisen, dass auch Spiele mehr sein können, als gedankenloses Vergnügen.
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