Seite 4: Kingdom Come: Deliverance im Test - Das tschechische Gothic

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Spezialisierung mit Grenzen

Also staffieren wir unseren redegewandten Heinrich so aus, dass er bei Bauern aus Prinzip besser ankommt als beim Adel, und in Städten natürlicher wirkt als in der Wildnis. Gleichzeitig achten wir auf saubere Kleidung und ein gepflegtes Äußeres, indem wir den Kerl regelmäßig zum Bader schicken.

Einige Fähigkeiten sind allerdings deutlich nützlicher als andere. Wer per Alchemie mächtige Tränke braut, erhöht sein Glück im Schleichen beispielsweise enorm. Schleichen (inklusive Meuchel-Perk), Schlösserknacken, Stärke und der Bogen erschienen uns ebenfalls überlebenswichtig. Mit hohen Werten in Reiterei, Kräutersammeln und Lesen erringt man hingegen selten große Vorteile - und das Saufen ist (wie im echten Leben) ein reiner Spaß-Skill.

Die Tschechen nehmen kein Blatt vor den Mund, auch nicht in der hervorragenden deutschen Vertonung. Die Tschechen nehmen kein Blatt vor den Mund, auch nicht in der hervorragenden deutschen Vertonung.

Inwieweit sich Heinrich spezialisieren kann, wird letztlich von der Kampagne beeinflusst. Man kommt als stumpfer Axt-Haudrauf nicht wirklich weit, weil Gespräche im Spiel so wichtig sind. Und wer komplett aufs Diebeshandwerk verzichtet, schlägt locker ein Drittel der Quests aus, die mit illegalen Aktivitäten zu tun haben.

Mit den Skills setzt man als Spieler eher Akzente und eröffnet sich bei einigen Aufträgen alternative Lösungswege, als dass man wie bei Skyrim einen reinen Nah- oder Fernkämpfer spielt und sich ganz aufs Kloppen konzentrieren kann. Oh, apropos Kämpfe …

Das Balance-Problem

Im Prinzip ist das Kampfsystem von Kingdom Come: Deliverance wirklich gelungen. Wer beispielsweise mit dem Schwert kämpft, kann über Zeit neue Kombos erlernen, im Gefecht mit der Maus präzise seine Schlagrichtung wählen, sekundengenau parieren. Ausweichschritte, Distanzen, Finten - das Spiel bietet all die Zutaten für hervorragende Duelle. Im tatsächlichen Spiel werden die Schwertkämpfe allerdings sehr ungelenk ins Spielgeschehen integriert.

Da Gewalt ohnehin eher selten vorkommt, herrscht eigentlich stets ein Mangel an Übung, um die Feinheiten der Schwertparade zu erlernen. Über weite Strecken ist das kein Problem, denn Strauchdiebe am Wegesrand lassen sich in der Regel mit wildem Angriffs-Geklicke ins Jenseits befördern.

Im Rahmen der Hauptquest gerät man allerdings an einige Widersacher, die uns urplötzlich so ungespitzt in den Boden rammen, dass wir nach 20 Fehlversuchen in die Maus beißen wollen.

Grafik im Wandel der Zeit - Vegetation in Kingdom Come: Deliverance ansehen

Dass sich harte Duelle selbst im Vergleich zu anderen Brocken wie Dark Souls unfair anfühlen, hat zwei Gründe. Nummer Eins: Die Kämpfe in Kingdom Come werden schnell unheimlich fummelig. Da die Kamera tatsächlich in Heinrichs Kopf verankert ist, reißt der Bildausschnitt nach links oder rechts, sobald wir auf die Mütze bekommen.

Teilweise stirbt man, ohne zu wissen, was gerade passiert ist. Die Zielerfassung springt regelmäßig wild herum, mit der Maus lassen sich bestimmte Bewegungen nicht vernünftig aufziehen.

Unfaire Vorteile

Nummer Zwei: Die Gegner haben unfaire Vorteile. Wer als Verteidiger genau im richtigen Moment auf die Blocken-Taste hämmert, vollführt einen sogenannten »Perfekten Block«. Der kostet keine Ausdauer und ermöglicht einen direkten Konter, den der Gegner wiederum ausschließlich durch einen perfekten Block abwehren kann.

Das wird dann zum Problem, wenn der Gegner kaum was anderes macht, als perfekt zu parieren. Und nervt sogar noch mehr, wenn er zusätzlich einen nicht blockbaren Konterstich vollführt, der Heinrich ein Viertel der Lebensenergie raubt.

Kingdom Come: Deliverance - So funktionieren die Schwertkämpfe Video starten 5:16 Kingdom Come: Deliverance - So funktionieren die Schwertkämpfe

Auch beim Faustkampf verkanten sich Heinrich und sein Gegner gefühlt nach jedem dritten Schlag, allerdings endet das vor dem Erreichen eines bestimmten Skill-Levels immer damit, dass unser Held automatisch ein Knie ins Gesicht kassiert. So hält ein Glücks- beziehungsweise Zahlenfaktor Einzug in die Gefechte, der bei einem Action-Kampfsystem eher Probleme schürt, statt Spielspaß zu fördern.

Ja, die Kämpfe von Kingdom Come sollen sich gnadenlos und damit plausibel anfühlen. Heinrich zieht gegen drei Feinde stets den Kürzeren, weil's im echten Leben auch so wäre. Aber wenn wir gegen einen einzigen Typen immer und immer wieder verlieren, weil er jeden einzelnen Schlag perfekt pariert, dann gehen uns die Optionen aus.

Und wenn wir als Lösung wie ein aufgescheuchtes Huhn um ihn herumrennen und ihm Pfeile ins Gesicht schießen, dann bringt das einen das zwar zum Schmunzeln, fühlt sich aber weder richtig noch sonderlich motivierend an.

Der nette Nebeneffekt

Solche Diskrepanzen lassen sich leicht durch Balancing-Patches beheben. Allerdings sind wir den Kämpfen im Spiel nach einer Weile meist aus dem Weg gegangen, weil sie schlicht weniger Spaß machen als alle anderen Tätigkeiten. Schleichen, Meucheln, Jagen, Bogenkampf - in diesen Disziplinen trainieren wir Heinrich zwar auch nur sporadisch, hier passt die Balance aber deutlich besser.

Wer die Wälder erkundet, findet alte Jagdhütten, Lagerverschläge oder an Flüssen kleine Behausungen der Köhler. Wer die Wälder erkundet, findet alte Jagdhütten, Lagerverschläge oder an Flüssen kleine Behausungen der Köhler.

Ironischerweise entsteht daraus auch eine positive Kehrseite: Wenn wir im Wald ein feindliches Lager erspähen, tüfteln wir minutenlang, wie wir die Schurken am besten um die Ecke bringen, ohne den direkten Kampf zu suchen. Hier jemanden weglocken, dort ein gezielter Pfeil - oder wir warten bis zum Einbruch der Nacht und stechen einfach alle im Schlaf ab.

Diese spielerische Freiheit in der Herangehensweise zeichnet Kingdom Come aus. Wer davon genervt ist, dass Triple-A-Spiele immer häufiger Lösungswege mit dickem Buntstift für uns Spieler markieren, der darf sich hier umso mehr über kreativen Spielraum freuen.

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