Kolumne zu Overwatch-Wutbürgern - Warum Rants nichts bewirken

Der Lead Designer von Overwatch beschwert sich über persönliche Attacken im Forum. Und Michael Graf stutzt: Wenn das sogar Jeff Kaplan verstanden hat, muss da etwas dran sein.

Protest kann auch zivilisiert sein. Das hat inzwischen selbst Jeff Kaplan verstanden. Protest kann auch zivilisiert sein. Das hat inzwischen selbst Jeff Kaplan verstanden.

Es sei beängstigend, schreibt Jeff Kaplan und klagt über »sehr gemeine Leute da draußen«, die sich »hinter anonymen Namen« verstecken und »extrem einschüchternd« wirken können. Kaplan ist der Lead Designer von Overwatch; sein Eintrag im Blizzard-Forum gilt einem User, der spekuliert, das Overwatch-Team sei unterbesetzt, weil die Entwickler in den Foren »langsam oder überhaupt nicht« antworten.

Kaplan begründet, das liege nicht nur, aber eben auch an der dortigen Diskussionskultur. Klar, das kann ich nachvollziehen, die Diskussionsweise im Internet hat mit zivilisiertem Umgang ungefähr so viel zu tun wie ein 5-Euro-Steak mit artgerechter Tierhaltung.

Aber Moment … Jeff Kaplan? Jener Jeff Kaplan, der früher unter seinem Ingame-Namen »Tigole« die Everquest-Gilde »Legacy of Steel« anführte und für seine unflätigen Wutausbrüche berüchtigt war? Hier eine Kostprobe samt Warnung: Wer keine wüsten Beleidigungen lesen möchte, sollte den nächsten Absatz überspringen. Am 13. April 2002 schrieb Kaplan über einen Everquest-Raid, der ihm missfallen hatte:

"Wer die Idee für diesen schieren Faustverkehr [O-Ton: Fisting] von einem Kampf hatte, kann sich selbst f*** gehen. Tut mir einen Gefallen und schickt mir eine E-Mail, sobald ihr A) einen Kampf eingebaut habt, der nicht von einem minderbemittelten Schimpansen entworfen wurde, der an eine Bürozelle gekettet wurde, B) eine Qualitätssicherungs-Abteilung eingerichtet habt, C) die verf*** Sache in einer Beta getestet habt und D) live gepatcht habt, damit ich die Zeit meiner Gilde nicht noch einmal an so ein idiotisches Shitfest verschwenden muss."

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Vom Wutbürger zum Designer

Fünf Tage nach dieser Brandrede trat Kaplan eine Stelle als Questdesigner im World of Warcraft-Team an. Dem Blizzard-Personalbüro waren seine analytischen Fähigkeiten offensichtlich wichtiger als seine Ausdrucksweise. Denn in der Sache mag Kaplan mit seiner Kritik durchaus recht gehabt haben - wie nun womöglich auch der eine oder andere wütende Overwatch-Forist.

Was er damals aber genauso missachtete wie die heutigen Overwatch-Kritiker, die sein Team einschüchtern: Der Ton macht die Musik. Wer zügellos seine Wut ins Internet hinausschreit, wird nicht etwa mehr gehört - sondern leichter überhört, weil er die Entwickler abschreckt. Es wirkt zwar, gelinde gesagt, absurd, dass sich Kaplan über eine Diskussionskultur beschwert, die er einst mitgeprägt hat.

Was er sagt, bestätigen uns aber auch andere Entwickler: Communitys werden immer toxischer, Fronten immer verhärteter, Meinungen immer extremer. Viele Designer begegnen ihren eigenen Fans inzwischen mit Angst, selbst wenn die vernünftigen Spieler weiterhin in der Mehrzahl sind.

Entwickler über den Wandel der letzten 20 Jahre - »Es wird immer toxischer«

»Sie klauen unsere Jobs« - Der Reddit-User 9joao6 inszeniert einen Ingame-Protest gegen Overwatch in Team Fortress 2. »Sie klauen unsere Jobs« - Der Reddit-User 9joao6 inszeniert einen Ingame-Protest gegen Overwatch in Team Fortress 2.

Und nun kommt mir nicht mit: Aber der Kaplan hat mit seinen Wutreden sogar einen Job bei Blizzard abgestaubt! Denn das lag vielmehr daran, dass Blizzard-Chefs wie Rob Pardo in seiner Gilde spielten und ihn so kannten, wie er wirklich ist: ein angenehmer, kluger, charismatischer Mensch. So zumindest habe ich Kaplan im persönlichen Gespräch kennengelernt.

Geschrei bringt niemanden weiter, berechtigte Kritik hin oder her. Wer unter dem Deckmäntelchen der Online-Anonymität Entwickler bedroht und einschüchtert, trägt nur dazu bei, dass sie sich in ihre Schneckenhäuser zurückziehen. Wer sendet - egal ob Foren-Kommentare, Facebook-Postings oder Tweets -, sollte immer bedenken, wie seine Nachricht auf den Empfänger wirkt.

Kaplan bemerkt das gerade am eigenen Leib. Und er hat recht: Man kann kritisieren, ohne zu drohen, ohne aggressiv zu werden. Wer angeschrien wird, schaltet auf Durchzug. Oder meint ihr, Kaplan hätte mehr Gehör gefunden, wenn er im Overwatch-Forum wie früher »F***t euch, ihr A***« geantwortet hätte?

Der Autor
Michael Graf beschwert sich oft und gerne, auch bei Kollegen. Und nein, Diplomatie ist nicht seine Stärke. Er kann aber immerhin von sich behaupten, noch nie in einem Forum, auf Facebook oder anderswo im Internet ausgeflippt zu sein. Weil er genau weiß, dass das sowieso nichts ändern würde. Da reagiert er sich lieber bei einer Runde Overwatch … Ey, was haben die mit Mercy gemacht?!

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