New World ist wie eine Zuckermelone. Während die Früchte generell zu den Beeren zählen, was für sich schon absurd ist, legt die noch eine Schippe drauf. Sie ist näher mit der Gurke verwandt, als mit der Wassermelone. Ähnlich ... veräppelt fühle ich mich manchmal beim MMO, das so wenig mit seinen Genrekollegen gemeinsam hat.
Es bricht in zig Punkten aus Klischees aus, verzichtet auf Klassen, lässt sich bei seinem aktiven Action-Kampfsystem laut Entwickler von Dark Souls inspirieren und befördert das Crafting zur virtuellen Lebensaufgabe. Auf dem Papier klingt das alles so großartig! Endlich frischer Wind für ein Genre, in dem WoW seit vielen Jahren den Ton angibt.
Aber leider reichen tolle Ideen allein nicht. Denn die beiden Betas haben mir gezeigt, dass New World noch nicht soweit ist. Für jeden Schritt, den das Kampfsystem nach vorne macht, stolpert es einmal über die eigenen Füße.
Die Autorin
Elena Schulz (@Ellie_Libelle) kann keine Wassermelonen essen, ohne eine riesige Sauerei zu veranstalten. Deshalb ist es gut, dass sie sich lieber mit Spielen beschäftigt als mit Obst. Als großer Souls-Fan hat sie gerade das Kampfsystem von New World neugierig gemacht - und in der Beta bitter enttäuscht. Denn trotz spannender Ideen funktioniert es für sie weder für ein Soulslike, noch für ein MMO.
Was macht das Kampfsystem super?
Trotzdem will ich honorieren, was New World versucht. Denn die Kämpfe machen Spaß und sind innovativ für ein Online-Rollenspiel. Statt auf auswendig gelernte Routinen setzen sie auf Können und möglichst viel Freiheit:
Es geht um Skill
Wer WoW und Co. spielt, kennt es - ihr levelt auf, lernt neue Fähigkeiten und studiert eine Choreografie aus Skills und Angriffen ein, die Zeit und Schaden optimal austariert. Die Kunst besteht daraus, hier die optimale Taktik und Kombination für den eigenen Build in der jeweiligen Situation zu finden und sie anschließend von eurer Skillleiste aus so abzuspulen.
New World durchbricht das Muster. Ihr rollt weg, pariert, kontert, variiert leichte und schwere Angriffe und nutzt eure Fähigkeit im richtigen Moment. Auch hier stimmt ihr eine Schrittfolge an, die sich manchmal wiederholt. Ihr müsst aber viel mehr reagieren, improvisieren und abwägen. Schon ESO etablierte ein ähnliches Kampfsystem mit mehr Fähigkeiten, in New World wirken die Schlagabtausche aber noch wuchtiger und unmittelbarer, weil Skills zur Nebensache werden.
Freiheit wird großgeschrieben
Normalerweise legt ihr euch einmal fest, ob ihr Heiler, Tank oder Damage Dealer sein wollt. Danach gibt es kein Zurück, sodass ihr als DD gern lange Wartezeiten vor Dungeons in Kauf nehmen müsst. Wer würde da nicht mal kurz zum Heilstab greifen? New World ermöglicht den fliegenden Wechsel. Wer Tank sein will, legt schnell eine schwere Rüstung an, zieht per Taunt-Gem Aggro auf sich und investiert mehr Punkte in die eigene Konstitution - zumindest bis Level 20 sind solche Respecs kostenlos.
Selbst solo könnt ihr so mehr Spaß haben. Nutzt ihr über viele Stunden ein Schwert, levelt ihr es automatisch hoch und schaltet die passiven und aktiven Skills dafür frei, von denen ihr drei in Slots ausrüstet. Ödet euch die Waffe an, greift ihr zu einer anderen. Mit der seid ihr auch nicht völlig auf verlorenem Posten. Sie wurde noch nicht hochgestuft, aber das Kämpfen an sich beherrscht ihr ja. Dass das motiviert, stellen wir auch in unserem Preview-Video fest:
Zwei Waffen - viele Möglichkeiten
Gerade die zwei Waffen erlauben weit mehr als nur zwischen Nah- und Fernkampf zu wechseln. Wenn ihr es geschickt anstellt, entstehen nützliche Synergien, die euch oder eurem Team das Leben erleichtern. Beispielsweise, indem ihr mit dem Lebensstab Verbündete heilt und anschließend die Gegner per Eishandschuh schwächt. Oder ihr röstet Feinde mit dem Feuerstab aus der Ferne, um sie anschließend per wuchtigem Hammerschlag zu betäuben.
Das funktioniert und macht Spaß, auch wenn andere MMOs wie ESO oder GW2 zum Teil mit noch wirksameren Kombinationen aufwarten. Hier betritt New World also kein Neuland.
»Wuchtig und flexibel« beschreibt das Kampfsystem insgesamt gut. Allerdings geht es für mich dafür nicht tief genug, um wirklich langfristig zu motivieren.
Wo knirscht es beim Kampfsystem?
Alles fühlt sich gleich an
Egal ob ihr auf Level 5 Monster, Skelett oder Pirat verkloppt oder auf Level 25, das Kampfgefühl ändert sich nicht. Ja, Paraden in letzter Sekunde bringen die Knie eurer Spielfigur zum Zittern und ein schwerer Speerstoß bohrt sich brutal in die Körpermitte eurer Feinde. Aber dass ihr selbst immer mächtiger werdet, merkt ihr dabei nicht. Selbst die Fähigkeiten teilen in der Regel einfach etwas mehr Schaden aus, während euer Charakter herumwirbelt und ein wenig anders zuschlägt.
Auch die Unterschiede zwischen den Waffenarten sind nicht so groß wie erhofft. Ein Speer ist schneller und agiler als ein Kriegshammer. Aber New World verleitet dazu, immer die gleichen Aktionen auszuführen. Ihr blockiert einen Angriff oder weicht aus und kontert so lange, bis euer Gegenüber geplättet ist. Abgesehen vom Wechsel zwischen Nah- und Fernkampf bleibt so wenig tatsächliche Abwechslung.
Link zum Podcast-Inhalt
Es braucht kaum Taktik
New World fehlt so auch die taktische Tiefe, die mir viele MMOs mit ihren ausladenden Fähigkeitenleisten und -kombos bieten. Das macht sich gerade bei Bossen bemerkbar: Die Verderbnis-Sprösslinge in der Open World lassen sich genauso per Angriffs-Spam niederprügeln wie normale Gegner. In den Endgame-Expeditionen muss man gerade als Heiler auf Zack sein, aber abgesehen von der allgemeinen Schwierigkeit erfordern Fallen und Flächenangriffe nur selten ein Umdenken oder eine gezielte Strategie. Aktuell habe ich wenig Hoffnung, dass das in den härtesten Dungeons groß anders wird.
Im PvP sieht das schon anders aus, weil ich plötzlich einen ebenbürtigen oder gar überlegenen Kontrahenten vor mir habe, der Waffen und Skills genauso clever einsetzt wie ich. Hier muss ich endlich neue Tanzschritte lernen. Umso ärgerlicher, dass dann das neue PvP-Scaling reinpfuscht. Seit dem Ende der Closed Beta wird das Level stärker gewichtet als das Können.
Heißt: Höherlevelige Spieler können niedriglevelige leichter ausschalten und die tun sich umgekehrt schwerer mit mächtigeren Gegnern. Das führte in der Open Beta dazu, dass Anfänger den PvP kaum noch nutzten, wodurch eine der spannendsten Facetten der Kämpfe bis zum Endgame für viele verloren geht.
Unsere Guide-Autoren haben die Beta-Phase genutzt und euch hilfreiche Tipps für New World zusammengetragen. Bei GameStar Plus findet ihr einen umfangreichen Einsteiger-Guide und nützliche Tipps zum Crafting. Außerdem könnt ihr euch jetzt schon Inspiration für eure Builds holen.
Starter-Guide: Diese 9 Tipps erleichtern euch den Einstieg in Amazons MMO
Crafting: Alles, was ihr zu Berufen und Waffen-Crafting wissen müsst
Fernkampf-DD Build Guide: Der Feuer-Beil-Magier teilt im Fernkampf ordentlich aus
Heiler Build Guide: So bastelt ihr einen kampfstarken Medikus für die Levelphase
Noch mehr Guides und Tipps zu New World findet ihr in unserem Überblick.
Zu wenig Präzision
Gerade im Vergleich mit Dark Souls zieht New World für mich klar den Kürzeren. Beide Kampfsysteme teilen sich eine Idee, aber zum Souls-Gefühl gehört eben noch mehr als Ausdauerleiste und Ausweichrolle. Das Aufschalten fehlt zum Beispiel völlig, was die Kämpfe gerade in Gruppen schrecklich unpräzise macht: Ich kann mein Gegenüber nicht vernünftig anvisieren.
Fairerweise hat es Amazon auch deutlich schwerer, da sie zig Spieler in einer Online-Welt synchronisieren und Serverprobleme wie Lags einkalkulieren müssen. Das gelingt ihnen wirklich meisterhaft.
Bei From Software steckt aber noch viel mehr dahinter als die Mechanik an sich. Jeder Hieb und jeder Block ist eine bewusste Entscheidung, die mir im Zweifel teuer zu stehen kommt, weil ich nicht mehr umdisponieren kann. Ich muss durch das träge Kampfsystem damit leben - egal, wie schmerzhaft es wird. In New World spielen sich Gefechte viel flotter und dynamischer. Sie verzeihen mir mehr, verlieren so aber auch an Bedeutung.
Keine bedeutsamen Entscheidungen
Dazu passt auch der Haken der großen Freiheit: Wenn ich alles sein kann, ist nicht mehr wichtig, was ich bin. Und das merkt man New World an. Dass ich nach 200 Stunden vom Tank zum Heiler wechseln und Schwert durch Stab ersetzen kann, zeigt auch, wie egal meine erbeutete Ausrüstung und meine hart erarbeiteten Fähigkeiten sind. Sie müssen austauschbar und ähnlich zu meistern sein, damit ich im Endgame sofort mit meiner neuen Rolle zurechtkomme.
Sonst geht die Idee der Entwickler nicht auf, dass sich so viele leidige Klassenprobleme anderer MMOs aushebeln lassen. Gleichzeitig werde ich das Gefühl nicht los, dass es sie nur verschiebt. Denn mal ehrlich: Wenn jeder Heiler sein kann, wieso sollte dann gerade ich meine Rolle als Schadensmacher aufgeben? Und wenn ich später Skillpunkte nur für Geld neu verteilen kann, wieso sollte ich mir dann überhaupt die Mühe machen, noch zu wechseln? Vor allem wenn sich alles irgendwie gleich anfühlt?
MMO-Kämpfe brauchen definitiv eine Frischzellenkur und New World geht für mich genau in die richtige Richtung - aber Amazon denkt viel zu kurz, weil es die Spieler nicht einschränken will. So bleibt das Kampfsystem viel seichter, als es die vielen Möglichkeiten vermuten lassen. Mehr dazu, wie wir Spielwelt, Story oder PvP bewerten, lest ihr in unserem Beta-Fazit.
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