Seite 2: Planescape: Torment und Torment: Tides of Numenera - Produkt einer anderen Zeit

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Zurück zu den Wurzeln

Genau diese Faszination gilt es nun wieder einzufangen. Mit dem Kickstarter-Projekt Torment: Tides of Numenera will eine kleine Gruppe der ehemaligen Entwickler endlich eine Fortsetzung zum Kultspiel auf die Piste bringen. Über ein Jahr schwelte das Projekt im Verborgenen vor sich hin, bis Brian Fargos Entwicklungsstudio inXile endlich genügend Mitglieder der alten Band wieder vereinen konnte. Die Stelle von Guido Henkel nimmt diesmal der Produzent Kevin Saunders ein. Der deutsche Entwicklerveteran gehört anscheinend zu den wenigen herausragenden Figuren im Originalteam, denen keine Teilnahme an "Numenera" angeboten wurde. Warum das so ist, darüber schweigen sich sowohl inXile als auch Henkel aus.

»Kein Kommentar«, heißt es überraschenderweise von beiden Seiten. Dabei beteuern mehrere Beteiligte unter der Hand, dass es zumindest damals eigentlich nie Probleme bei der Zusammenarbeit gab. Henkel selbst scheiterte im Dezember letzten Jahres mit seinem Projekt Thorvalla, das ebenfalls mit seinen Planescape: Torment-Wurzeln warb. Kein gutes Omen für Tides of Numenera, auch wenn es europäische Entwickler auf Kickstarter traditionell schwerer haben. Letztlich überwog bei inXile aber trotz leichter Nervosität die Zuversicht. Immerhin hatte inXile schon den Klassiker-Reboot Wasteland 2 sehr erfolgreich durchgezogen.

Guido Henkel spielte damals übrigens Cover-Modell für 'Torment' (Kein Scherz). Heute arbeitet er an einem neuen, eigenen Projekt: dem Rollenspiel „Deathfire“. Guido Henkel spielte damals übrigens Cover-Modell für 'Torment' (Kein Scherz). Heute arbeitet er an einem neuen, eigenen Projekt: dem Rollenspiel „Deathfire“.

Insbesondere Colin McComb war zudem sehr zuversichtlich, dass die Zeit mehr als reif sei für eine Torment-Fortsetzung: »Ich glaube, die Leute sind ermüdet von den ewig gleichen Fantasy- und Science-Fiction-Themen. Als wir anfingen, über Numenera nachzudenken, diskutierten wir Themen, in denen der Spieler quasi die gesamte Schöpfung der Welt retten muss. Aber dann saßen wir zusammen und dachten darüber nach, was 'Torment' zu einer solch berührenden Story gemacht hat. Ergebnis: Dass du eben nicht die Welt retten musst, sondern nur eine Person: dich selbst. Das bringen wir zurück, diesen Fokus auf das Wesentliche«, erzählt er vom Start des Kickstarter-Projekts.

Dass der Klassiker als unabhängig finanziertes Projekt wiederkehrt, ist dabei keine Überraschung. Planescape: Torment ist in der Form des modernen Mediums nicht machbar. Schon gar nicht für das Kickstarter-Projekt eines unabhängigen Entwicklers. Das dynamische Dialogsystem, die Unmengen an Dialogen und Neben-Quests wären selbst mit erheblich besserer Finanzierung im heute üblichen Standard von Zwischensequenzen und Sprachausgabe nicht machbar. Doch beim Spielen von Planescape: Torment macht man unweigerlich eine unerwartete Feststellung: Komplette Sprachausgabe würde dem Spiel schaden.

Torment: Tides of Numenera - Artwork-Galerie ansehen

So mürrisch man als moderner Spieler zunächst auf die Textmengen starrt, wird nach und nach überdeutlich, dass die vielen Beschreibungstexte im Spiel eine Welt erschaffen, die jenseits der Möglichkeiten selbst der besten Grafik-Engine liegt. Die vielen Details, die das Autorenteam allein in die Beschreibung ihrer Charaktere gepackt hat, all ihre Runzeln, Ticks und das merkwürdige Glitzern in ihren Augen, gingen beim Verzicht auf den Text verloren. Eine Erkenntnis, die auch den Machern von Numenera nicht entgangen ist. »Volle Sprachausgabe? Kein Stück. Auf keinen Fall!«, platzt Colin McComb geradezu hervor, als wir das Thema ansprechen, »selbst wenn wir völlig unbegrenzte Geldmengen hätten, wir würden wie im Original nur ein paar Schlüsseldialoge einsprechen lassen. Etwas, das dir vielleicht eine bessere Vorstellung des Charakters erlaubt. Aber ich bin Autor. Ich würde nie auf die Möglichkeit verzichten, ein Bild zu zeichnen, das in den Köpfen der Leute aufblüht.«

Um sicherzustellen, dass Numenera den hohen Erwartungen gerecht werden kann, hat McComb sogar seinen alten Kollegen Adam Heine reaktiviert. Beim Original-Torment kam Heine noch als absoluter Newcomer ins Team. Frisch vom College wegengagiert, entwickelte er sich zu einem der wichtigsten Co-Autoren des Titels. »Als man mich fragte, wen ich in diesem neuen Team unbedingt brauche, war Adam der erste auf meiner Liste«, sagt McComb. Doch das war nicht so einfach, wie man denken mag. Planescape: Torment ist bis heute das einzige veröffentlichte Spiel, an dem Heine je mitgearbeitet hat.

Kurze Zeit nach Ende des Projekts verließ er die Black Isle Studios und zog mit seiner Frau nach Thailand, um dort deren Herzensprojekt zu verwirklichen. Zusammen betreiben sie ein kleines Waisenhaus, in dem derzeit zehn Kinder eine neue Heimat finden. Als ihn McComb anruft, hat er über eine Dekade lang nicht mehr an einem Spielprojekt mitgearbeitet. Doch die Zeiten haben sich geändert. Numenera ist ein dezentralisiertes Entwicklungsprojekt. McComb selbst sitzt in Michigan, das inXile-Hauptquartier im über 2.000 Meilen entfernten Newport Beach.

Torment: Tides of Numenera - Screenshots ansehen

Numenera selbst basiert auf einem Rollenspielsystem des Autors Monte Cook, das dieser selbst auf Kickstarter finanziert hat. 20.000 US-Dollar wollte Cook im September 2012 einsammeln, um das Grundlagenwerk zu finanzieren. Bei Ende der Kampagne hatte er 517.255 US-Dollar zusammen. Die völlig neue Spielwelt, die Cook für das Pen & Paper-Rollenspiel erschuf, kam genau zur rechten Zeit. Nachdem man sich bei inXile entschlossen hatte, dass eine reine Fortsetzung dem so innovativen Original eben nicht gerecht würde, war man auf der Suche nach einer neuen Basis.

Colin McComb, ein Freund von Monte Cook, brachte dessen neue Spielwelt ins Gespräch und schnell war der Rest des Teams an Bord. »Wir werden uns natürlich in Kleinigkeiten vor 'Planescape: Torment' verneigen. Aber 'Numenera' soll ansonsten vor allem ein Nachfolger im Geiste werden. Nur um einen Eindruck zu geben: Wir wollen diesmal thematisch die Reise durch ein neues Leben behandeln. Jemanden, der als völlig unbeschriebenes Blatt in diese Welt tritt, anstatt sein altes Leben wiederzuentdecken. Themen, die beinahe gegensätzlich sind und sich doch ähneln.«

Noch acht Tage läuft die Kickstarter-Kampagne des Spiels. Danach muss das neue Team nur noch eine Fortsetzung zu einem der besten Rollenspiele aller Zeiten machen. Die Sogkraft des Kulthits ist dabei bis heute ungebrochen. Mit über 3 Millionen US-Dollar ist die Kickstarter-Kampagne des Spiels schon jetzt erfolgreicher, als inXiles erster Anlauf mit Wasteland 2. In über 26.000 Kommentaren jubeln, spekulieren und träumen die Fans einer Fortsetzung entgegen. »Wir hatten Entwickler aus anderen Studios, Menschen mit Vollzeit-Jobs, die uns gefragt haben, ob sie irgendwie mithelfen dürfen«, erzählt ein noch immer verblüfft klingender McComb.

Für ihn und seinen Designpartner Adam Heine bedeutet das auch einen nicht zu unterschätzenden Druck. Für sie ist es der Prüfstein ihrer Karriere. Der Punkt, an dem sie beweisen können, dass Torment nicht bloß ein glücklicher Zufall war. »Habt ihr in den Jahren vorher öfter darüber nachgedacht, ob es das gewesen ist? Ob ihr mit 'Torment' den Höhepunkt eurer Karriere erreicht habt? Dass ihr vielleicht nie wieder Teil von etwas so Gutem sein werdet?«, fragen wir die beiden zum Abschluss. »Oh … oh ja«, seufzt Colin McComb. »Fast jeden verdammten Tag«, sagt Adam Heine.

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