Nix für Eigenbrödler
Um all diese Zusammenhänge nicht nur zu verstehen, sondern auch taktisch geschickt einzusetzen, bedarf es in Scrolls vor allem einer Sache: Lernen durch Schmerzen, und zwar im Multiplayer-Modus. Denn das ultrakurze Tutorial erklärt nur wenig mehr als die Grundregeln. Und auf eine Solokampagne, in der wir nach und nach neue Karten und ihre Besonderheiten kennenlernen, hat Mojang gleich komplett verzichtet.
Unverständlich, denn das prinzipiell interessante Fantasy-Szenario sowie die drei wetteifernden Parteien »Growth«, »Energy« und Order hätten das durchaus möglich gemacht. Die 25 kurzen Übungsaufgaben - »Trials« genannt - sind nur ein schwacher Ersatz. Zwar sind die Kämpfe gegen eine Hasenplage oder einen nahezu unzerstörbaren Oger durchaus unterhaltsam, taugen mit ihren auf die Spitze getriebenen Problemstellungen aber nur herzlich wenig als Vorbereitung auf die Multiplayer-Matches. Auch Matches gegen die KI eignen sich nicht als Training, weil der Computergegner selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad schwere taktische Fehler macht und vor allem den Schutz seiner Idols regelmäßig sträflich vernachlässigt.
Also bleibt Scrolls-Einsteigern nichts anderes übrig, als sich in ihren ersten Multiplayer-Partien nach allen Regeln der Kunst verprügeln zu lassen. Denn nur so können sie die Regeln der Kunst - sprich die Karten und ihre taktischen Möglichkeiten - wirklich lernen. Zwar besitzt Scrolls ein Matchmaking-System, welches allerdings nur Siege wertet. Jemand, der von 100 Spielen 9 gewinnt, hat also die gleiche Ranglisten-Einstufung wie jemand, der von 10 Spielen 9 gewinnt. Auch hier muss Mojang dringend noch nachbessern
Glück und Taktik in perfekter Balance
Das Erstaunliche bei aller Komplexität und Einstiegshürden: Scrolls macht selbst dann einen Heidenspaß, wenn wir eins auf die Mütze bekommen. Denn Kartenvielfalt, Kampfsystem und Regelwerk greifen nahezu perfekt ineinander. Über Sieg oder Niederlage entscheiden zu circa 40% Taktik, 40% Deck-Zusammenstellung und 20% Glück.
Auch die drei Parteien ergänzen sich prima: »Growth« setzt vor allem auf Tempo, Aggressivität und billige Einheiten. »Order« eignet sich hingegen eher für Defensiv-Strategen, die gern Kartenfähigkeiten kombinieren und mit ganzen Soldatenverbänden angreifen. »Energy« schließlich wird mit seinen teuren, aber mächtigen Zerstörungszaubern und Maschinen immer stärker, je länger das Match dauert.
Trotz dieser unterschiedlichen Ausrichtung passt die Balance: Keine Karte ist übermächtig, für jede Strategie gibt's den passenden Konter. Einzig die Schlachtfelder könnten ein wenig mehr taktischen Pfiff vertragen, denn sie unterscheiden sich lediglich in der Optik. Weder gibt's Felder die Kampfboni verleihen wie in der Heroes of Might & Magic-Serie, noch Regelbesonderheiten der unterschiedlichen Regionen.
Jede Partie verläuft dennoch anders und erzählt ihre eigene Geschichte. Mal überrennen wir einen Gegner in nur 5 Minuten, mal liefern wir uns ein 45-minütiges Zermürbungsgefecht, bei dem jeder Fehler der letzte sein kann. Oder wir drehen eine bereits verloren geglaubte Partie, weil wir im richtigen Moment die richtige Karte ziehen. Und dass uns trotz eines solchen Glückstreffers der Gegner noch fair gratuliert, ist eine weitere Besonderheit von Scrolls. Angesichts der stets freundlichen und hilfsbereiten Community könnte so mancher beschimpfungs-gestählter League of Legends-Spieler einen Kulturschock erleiden. Scrolls fühlt sich meist mehr wie ein Gesellschaftsspiel mit Freunden an als kompetitiver Multiplayer-Titel.
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