Sea of Thieves: A Pirate’s Life: Wieso das bisher größte Update ein noch größeres Risiko ist

Mit dem Fluch-der-Karibik-Update A Pirate’s Life könnte Sea of Thieves haufenweise Neulinge anlocken - die durch den behüteten Einstieg aber die wahre Stärke des Spiels verpassen könnten.

Alles ist weg. Drei Stunden lang habe ich mit meiner Crew Handelsgüter vom einen Ende der Spielwelt zum anderen geschippert, dutzende Skelett-Piraten verdroschen, mehrere Schiffe versenkt, haben Hinweise gesammelt, Schätze ausgebuddelt - und jetzt kostet uns ein einziger Fehler unsere gesamte Beute.

Denn kurz bevor wir das Objekt der Begierde, eine »Truhe der Legenden«, beim »mysteriösen Fremden« in der Taverne verkaufen können, werde ich von einem feindlichen Spieler getötet. Und sehe im Todeskampf sogar noch, wie der die letzten drei Meter zum Fraktions-NPC geht und für unsere Beute abkassiert. Ich sollte schreien, wütend den Controller werfen und blutige Rache schwören. Aber ich kann nicht anders als zu applaudieren.

Wenn ihr euch jetzt an den Kopf fasst und fragt, wie man sich über so ein frustrierendes Debakel auch noch freuen kann, kann ich euch das nicht verübeln. Und genau da liegt der Kern des Problems begraben, das sich der Entwickler Rare mit dem neuen Story-Update »A Pirate's Life« gerade einbrockt.

Die kostenlose Erweiterung für Sea of Thieves bringt nämlich fünf neue Story-Kapitel rund um Disneys »Fluch der Karibik« und soll mit instanzierten Story-Sequenzen und linearer Spielerführung der denkbar beste Einstiegspunkt für neue Piratinnen und Piraten werden.

Das ist zwar einerseits löblich und könnte den Spielerzahlen von Sea of Thieves langfristig einen riesigen Schub geben - genauso gut könnte der Schuss aber auch komplett nach hinten losgehen, weil die Jack-Sparrow-Fans nach den neuen Story-Kapiteln mit völlig falschen Erwartungen in die Spielwelt entlassen werden.

Der Autor
Michi Obermeier (@GameOvermeier) hat Sea of Thieves zwar schon zum Release 2018 gespielt, so richtig ist der Groschen aber erst mit dem Start der Season eins Anfang dieses Jahres gefallen. Inzwischen segelt er als Piraten-Legende alleine oder in verschiedenen Crews mehrmals pro Woche über die Meere und hat den Spaß seines Lebens mit Sprengfässern und feindlichen Schiffen.

Der Sea-of-Thieves-Deal

Das klingt erstmal verwirrend, aber lasst mich die Sache mal erklären. In Sea of Thieves landet ihr bei jedem neuen Spielstart entweder alleine oder mit eurer Crew zufällig auf einem der Spielserver. Die offene Spielwelt auf diesen Servern ist zwar immer die gleiche, komplett dem Zufall überlassen ist aber, wer da noch mit euch über's Meer segelt. Denn pro Server sind maximal sechs Spieler-Schiffe unterwegs. Und das können entweder friedliche Händler, Schatzsucher, Kopfgeldjäger oder gemeingefährliche PvP-Reaper sein. Genau diese Unberechenbarkeit macht für mich aber den Reiz des Spiels aus.

Wie im echten Piratenzeitalter wissen wir nie, was andere Spielerschiffe im Schilde führen. Wie im echten Piratenzeitalter wissen wir nie, was andere Spielerschiffe im Schilde führen.

Denn wer sich solo oder als Crew auf Schatzsuche begibt, weiß vorher nicht, wie die Sache ausgehen wird. Andere Schiffe kommen und gehen, Allianzen werden geschmiedet und zerbrechen wieder oder dynamische Events wie ein Megalodon-Angriff, Skelett-Galeonen oder der legendäre Kraken machen eure Pläne zunichte.

Die Lektion die ich deshalb (viel zu spät) lernen musste ist, dass ihr in Sea of Thieves immer damit rechnen müsst, alles wieder zu verlieren - weil das Spiel, andere Spieler oder eine Kombination aus beidem eben noch eine Spur gerissener waren als ihr selbst.

Wenn die Spieler die Geschichten schreiben

Nur durch dieses allgegenwärtige Risiko hat die Beute überhaupt einen Wert. Würde jede Schatztruhe sofort sicher in eurem Inventar verwahrt, würde das der weiteren Fahrt jegliche Spannung nehmen. So müsst ihr aber immer Kosten und Nutzen abwägen: Lieber sofort umkehren, den kümmerlichen Plunder am Außenposten verkaufen und damit zwar wenig aber immerhin mit Sicherheit etwas Gold verdienen?

Oder weiterfahren, mehr riskieren, größere Herausforderungen angehen, dabei aber auch zunehmend paranoider anderen Spielern gegenüber werden? Ist das da ein Segel am Horizont? Haben die etwa gerade unsere Beute erspäht und fahren deshalb genau auf uns zu?

Als Koop-Abenteuer bietet Sea of Thieves viel Potenzial für Zockabende. Als Koop-Abenteuer bietet Sea of Thieves viel Potenzial für Zockabende.

Das beste Beispiel ist der Hinterhalt vom Artikeleinstieg: Ich war gerade dabei, eine besonders wertvolle Truhe für »Athenes Segen« zu verkaufen. Für die Kiste könnte man jetzt - so wie wir - über Stunden alle acht Teilaufgaben erledigen um dann am Ende die Koordinaten für die Truhe zu bekommen.

Genauso legitim ist es aber auch, auszuspähen welches Schiff auf dem Server nach einer solchen Truhe sucht und dann heimlich zu folgen. Dann gilt es nur noch in Erfahrung zu bringen wo die gehoben wird, um dann am nächstgelegenen Außenposten einen Hinterhalt zu planen. Ein Spieler versteckt sich dabei in einem Fass in der Taverne und knallt dann den siegessicheren Truhenträger (mich) auf den letzten Metern ab. Touché! Klar war das irgendwo ärgerlich, aber wer soviel Planung, Geduld und perfektes Timing wie unsere Gegenspieler zeigt, verdient meine Anerkennung.

Das Risiko des neuen Updates

Aber: Bevor es zu solchen Erfolgserlebnissen kommt, fordert Sea of Thieves einen Haufen Entbehrungen und Geduld. Denn ihr müsst als neue Spieler nicht nur lernen, mit Pistole, Säbel und Gewehr umzugehen, sondern auch wie man ein Segelschiff effizient steuert, Aufgaben priorisiert und seine Umgebung richtig liest.

Ihr werdet also zunächst erstmal ziemlich oft beklaut, versenkt oder beides - und mit Glück wollen eure Gegner nur eure Beute und nicht auch euren Spaß am Spiel kaputtmachen. Denn für jeden hilfsbereiten oder zumindest fairen Sea-of-Thieves-Spieler gibt's leider auch mindestens genauso viele, die sich eine Freude daraus machen, unerfahrenen Neulingen den Tag zu versauen.

Unerfahrene Neulinge, wie sie »A Pirate's Life« mit ziemlicher Sicherheit scharenweise auf die Server treiben wird - nicht zuletzt dank Fluch-der-Karibik-Lizenz. Das hat Rare immerhin bedacht und deshalb die fünf neuen Tall-Tale-Kapitel größtenteils in instanzierte Bereiche verlegt, die ihr nur mit eurer eigenen Crew betreten könnt.

Sea of Thieves: Gameplay-Trailer zum Fluch der Karibik-Crossover mit Jack Sparrow Video starten 1:43 Sea of Thieves: Gameplay-Trailer zum Fluch der Karibik-Crossover mit Jack Sparrow

Das ist für sich genommen smart, meine eine Sorge ist aber der Kontrast zwischen behutsam inszenierten Story-Missionen mit Set-Pieces und heldenhafter Geschichte - und den ersten Gehversuchen neuer Spieler außerhalb dieser Sicherheitszone. Wer nämlich für acht bis 12 Stunden vom Rest des Servers abgeschottet nie mit Risiko und Verlust konfrontiert wird, könnte sich von der ersten PvP-Niederlage so sehr vor den Kopf gestoßen fühlen, dass sie oder er Sea of Thieves nie wieder spielt.

Meine größte Sorge ist aber nicht, dass Neulinge von Veteranen platt gemacht werden - immerhin passiert das in fast jedem Spiel. Viel schlimmer fände ich es, durch »A Pirate's Life« den Eindruck vermittelt zu bekommen, dass Sea of Thieves nur komplett durch-inszenierte Story-Set-Pieces wie im Disneyland-Fahrgeschäft bietet.

Klar, es gibt schon jetzt drei andere mehrteilige Seemannsgarn-Kampagnen und weitere werden folgen. Seine größte Stärke liegt meiner Meinung nach aber in den Geschichten, die komplett dynamisch im Zusammenspiel von verschiedenen Spieler-Crews, Events, KI-Figuren und Witterungsbedingungen jeden Tag aufs Neue entstehen.

Deshalb mein Appell: Spielt natürlich als Neueinsteiger gerne die neuen Tall Tales von »A Pirates Life« und freut euch über zig Anspielungen zu Pirates of the Caribbean und anderen Piraten-Spielen. Aber versucht euch bitte - auch wenn's erstmal abschreckend wirkt - unbedingt auch am freien Spiel. Ich habe seit Jahren nicht mehr so viel Spaß im Multiplayer gehabt und wünsche euch den auch. Und wer weiß: Vielleicht sitzt ja schon bald ihr irgendwo in einer Taverne in ein Faß gekauert und wartet bis ich siegessicher mit einer fetten Truhe zur Tür reinkomme. Aber diesmal bin ich vorbereitet …

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