Sexismus in der deutschen Gaming-Branche: Wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht am Ziel

In den letzten Wochen und Monaten wurde das Thema Sexismus im Gaming heiß diskutiert. Wie steht es um die deutsche Gaming-Branche? Wir haben uns zu diesem Thema mit zwei Expertinnen zusammengesetzt.

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Sexismus in der Gaming-Branche ist ein aktuelleres Thema denn je. In den letzten Wochen und Monaten erreichten uns Dutzende Meldungen und Fälle, die vor allem über soziale Medien publik wurden. Exemplarisch seien hier die Anschuldigungen gegen Chris Avellone (u.a. Fallout: New Vegas) genannt oder der Rücktritt mehrerer Führungskräfte bei Ubisoft.

Oftmals werden diese Vorwürfe allerdings eher im internationalen Raum laut, etwa den USA oder Frankreich. Wie steht es da um die deutsche Gaming-Branche? Wir haben uns zu diesem Thema mit zwei Expertinnen zusammengesetzt, die beide schon lange im Gaming arbeiten und sie zu der aktuellen Situation in Deutschland befragt.

Der Status Quo der deutschen Gaming-Branche

GameStar: Was ist der Status Quo in der Gaming-Branche, wenn es um Sexismus geht?

Maxi Gräff: Der Status Quo ist für jeden unterschiedlich. Es gibt und gab Sexismus, aber das ist nicht nur in unserer Branche so, sondern sicherlich in allen Branchen gleichermaßen vorhanden. Auch wenn wir das in unserem eigenen Bereich nicht so sehr sehen.

Ich habe vor knapp 10 Jahren angefangen im Gaming-Bereich zu arbeiten, damals noch bei IDG. Als ich damals auf Events gegangen bin, gab es etwa zwei weibliche Redakteure, die ich regelmäßig getroffen habe. Sonst kannte ich da keine andere Frau. Das hat sich mittlerweile geändert.

Linda Kruse: Wenn wir in andere Branchen schauen, sieht es da nicht viel besser aus. Ich habe sogar eher das Gefühl, dass wir als Gaming-Branche da noch eine Chance haben, uns schneller weiterzuentwickeln, weil unsere Meinungen sehr präsent in den sozialen Medien sind und wir eine lebendige Diskussionskultur haben. Es ist schon viel passiert in der Vergangenheit, aber da kann noch einiges besser werden.

Unsere Autorin Elena Schulz arbeitet seit über fünf Jahren für GameStar. Erst Freiberuflerin, dann als Trainee, dann wieder als freie Autorin und jetzt als festangestellte Redakteurin. In der Zwischenzeit schloss sie ihr Studium in Game Design ab und arbeitet außerdem freiberuflich als Zeichnerin, Illustratorin und Designerin. Sie hat dieses Interview für uns geführt.

GameStar: Trägt der stetig steigende Frauenanteil dazu bei, dass es in Sachen Sexismus Fortschritte gibt?

Maxi Gräff: Es gibt durch den erhöhten Frauenanteil schon Vorteile in Form von neuen Ideen und Ansatzpunkten. Mittlerweile gibt es außerdem auch viele »Woman-In-Games«-Events, die es vorher so nicht gab. Auf diesen Events habe ich die Option, nur mit Frauen aus der Branche zu sprechen und mich schneller auszutauschen oder Kontakte zu knüpfen. Natürlich sind bei diesen Events auch Männer willkommen.

Anm. der Redaktion: Ein Beispiel für »Woman-In-Games«-Events ist die Womenize!, die im Zuge der gamesweekberlin stattfindet.

GameStar: Wie hat sich die Gaming-Branche eurer Ansicht nach verändert?

Linda Kruse: Ich sehe vermehrte Akzeptanz und mehr Um- und Rücksicht, auch von männlicher Seite. Es gibt weniger sexistische Anmerkungen und es wird verstärkt für Repräsentation gesorgt. Und auf Worte folgen auch Taten. Natürlich kann noch wesentlich mehr passieren, die Entwicklung finde ich aber sehr positiv.

Maxi Gräff: Wir profitieren sehr von den Problemen, die vor allem in den USA laut werden. Hier in Deutschland gab es bisher keine Fälle, die so an die Öffentlichkeit kamen. Das liegt aber nicht daran, dass es hier nie Fälle gab, sondern dass hier noch nie so offen drüber gesprochen wurde.

Das soll kein Aufruf dafür sein, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber wir müssen uns bewusst werden, dass auch hier solche Probleme herrschen - auch wenn es noch keine öffentlichen »Skandale« gab.

Maxi Gräff ist Marketing Communications Manager für Xbox bei Microsoft und hat früher bei IDG als Redakteurin, sowie Host und Producer für GameStar und GamePro gearbeitet. Einige kennen sie vermutlich noch vom Videoformat High5

Linda Kruse: Grundsätzlich kann man aber auch hier über sowas sprechen und es ist wichtig und richtig, dass das Thema ernst genommen, akzeptiert und diskutiert wird.

Warum werden viele Vorwürfe genau jetzt laut?

GameStar: Warum wurden speziell in der Gaming- und Filmbranche Diskussionen über Sexismus auf Social Media losgetreten? Liegt das daran, dass eben diese beiden Bereiche sehr stark mit Social Media vernetzt sind?

Maxi Gräff: Als Entertainment-Branche sind wir auf den großen Entertainment-Plattformen und sozialen Medien unterwegs und ich glaube, dass wir deswegen sichtbarer sind als viele andere Branchen.

Linda Kruse: Ich denke, das hängt aber auch mit dem Medium Videospiele selbst zusammen. Man sieht zum Beispiel an der Diskussion um The Last of Us 2, dass die Repräsentation und der Wandel der Branche an einigen Stellen aneckt, weil sich eben bestimmte Dinge verändern.

Spiele funktionieren auf einer persönlichen Ebene. Bei einem Auto kann ich mich über die Eigenschaften des Fahrzeugs unterhalten aber das hat nichts mit Repräsentation oder mit einem Geschlecht zu tun. Wir als Gaming-Branche verhandeln viel mehr Sachen, wo dies eine Rolle spielt.

Linda Kruse ist Game Designerin, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des game - Verband der deutschen Games-Branche, sowie Gründerin von the Good Evil GmbH, einem Entwicklerstudio aus Köln. Sie war zudem von April 2016 bis Januar 2018 im Vorstand des GAME Bundesverbandes, einem der beiden Vorgänger-Verbände des game.
(Fotocredit: Roy Fochtman)

GameStar: Warum werden viele Vorwürfe gerade jetzt laut?

Maxi Gräff: Das gemeinsame Lautwerden ermutigt und schafft Raum. Vielleicht hat man sich vorher nicht getraut etwas zu sagen. Man sieht, man ist nicht allein oder versteht und reflektiert, dass die Schuld nicht bei einem selbst liegt. Und es folgt der Entschluss, die eigene Meinung zu äußern oder den eigenen Fall zu schildern.

Wenn ich von mir ausgehe und reflektiere, wie ich früher mit sowas umgegangen bin, dann habe ich über Witze gelacht, über die ich heute nicht mehr lachen würde. Damals wollte ich dazugehören und nicht ausgeschlossen werden und empfand es als vollkommen normal.

Jetzt realisiere ich langsam, dass das alles gar nicht so in Ordnung war. Ich bin mir sicher, dass ich da nicht allein bin und es einigen männlichen sowie weiblichen Kollegen/Kolleginnen auch so ging.

Linda Kruse: Es ist glaube ich ganz gut, dass aktuell mit mehr Nachhaltigkeit darüber diskutiert wird. Schaut man einige Jahre zurück auf GamerGate und andere Skandale, kamen bereits dort einige Sachen an die Oberfläche.

Damals waren wir aber noch nicht so weit, dass eine Änderung stattfinden konnte. Damals war dieses Lautwerden super schwierig, weil man eben davon ausgehen musste, dass man sehr hart auf Social Media dafür angegangen wird.

Es ist super wichtig zu schauen, woher wir kommen, warum wir uns verändern und warum wir Dinge von früher nicht mehr akzeptieren. Wir sind eine immer professioneller und älter werdende Branche - aus diesem Grund ist es wichtig, eben auch in diese Richtung erwachsener zu werden.

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