Spiele müssen keinen Spaß machen - Wenn das Lachen vergeht

Die meisten Spiele erfüllen den Zweck der Unterhaltung. Beinahe wichtiger sind aber digitale Randerscheinungen, die keinen »Spaß« machen, da sie ernste Themen wie Depression, Krieg und Armut behandeln, findet Gastkolumnist und Teilzeitspaßbremse Fabu.

In den Kommentaren zu meiner letzten Kolumne sagte ein Leser, ein Spiel habe sein Ziel verfehlt, wenn es keinen Spaß mache. Das brachte mich zum Nachdenken. Wenn man Menschen nach persönlichen, einschneidenden Spielerlebnissen fragt, werden diese nicht selten mit leuchtenden Augen und wild gestikulierend zum Besten gegeben.

Spiele faszinieren, sie ziehen uns ins ihren Bann, erzeugen Emotionen und bieten somit natürlich auch reichlich Stoff für Anekdoten. Eine dieser Anekdoten möchte ich heute mit euch teilen, da mich das Erlebte dazu bewog, Spiele wertzuschätzen, die keinen Spaß machen (sollen).

Ein abscheuliches Spiel

2009, Internet, Adult/Educational Competition. Ein überschaubarer Game Jam, der 28 Spiele zum Vorschein bringt, von denen ein mir bis dahin gänzlich unbekannter Titel namens »Edmund« von Paul Greasley den ersten Platz belegt. Das Spiel entpuppt sich als schlichter, aber liebevoll gestalteter 2D-Plattformer in Pixeloptik, dem etwas Düsteres anhaftet.

Ich bewege den Protagonisten nach rechts, bis er an einer Bushaltestelle Halt macht und dort eine wartende Passantin in ein Gespräch verwickelt, das sich als plumpe Anmache herausstellt, eine Abfuhr zur Folge hat … und wenige Klicks später in einer Misshandlung eskaliert. An dieser Stelle möchte ich das Spiel eigentlich abbrechen, denn obwohl die Grafik sehr stilisiert ist, fühle ich mich durch den durch mich initiierten Gewaltakt irgendwie schmutzig.

»Edmund« ist ein abscheuliches Spiel. »Edmund« ist ein abscheuliches Spiel.

Nach wenigen Sekunden ist die verstörende Szene jedoch vorbei und der zweite Teil beginnt, in dem ich als Augenzeuge die Verfolgung des Täters aufnehme. Getrieben von Wut und Selbstverachtung mache ich mich also auf den Weg, Edmund mittels klassischer Sprungeinlagen zu jagen und abschließend mit einer Pistole Selbstjustiz zu verüben. Ich lande wieder auf dem Startbildschirm, in meinem Hals wächst ein Kloß auf die Größe einer Zitrone heran, Unwohlsein macht sich breit.

»Edmund« ist ein abscheuliches Spiel. Warum es mich dennoch fasziniert? Weil es mir aufgezeigt hat, dass es nicht zwangsläufig Spaß bedarf, um ein Spielerlebnis als wertvoll zu empfinden. Unwohlsein ist nicht per se etwas Schlechtes, sofern es dazu beiträgt, sich und seine Umwelt etwas kritischer zu betrachten.

Nicht zuletzt deswegen konnten kontrovers diskutierte Titel wie Papers, Please und This War Of Mine sowohl Kritiker als auch Spieler für sich gewinnen. Der YouTube-User AltTabReviews bezeichnet »Edmund« in einem Video als »true interactive storytelling at its finest«, womit er meiner Meinung nach vollkommen Recht hat.

Ein echtes Antikriegsspiel:Unser Test zu This War of Mine

Der Autor

Wenn Fabu (39) nicht gerade keinen Spaß hat, bereitet es ihm viel Spaß, auf Superlevel.de Indiegames eine Plattform zu bieten. Er ist ein Befürworter des New Games Journalism und hat ein Faible für Spiele fernab des Mainstreams. Das hindert ihn aber nicht daran, sehr viel Spaß mit Pro Evolution Soccer zu haben. Außerdem könnte Fabu Stunden damit verbringen, über sich selbst in der dritten Form zu schreiben.

F10.2, F41.2, F43.1

Inzwischen gibt es diverse Spiele, die den Versuch wagten, brisante Themen mit klassischen Spielmechaniken zu kombinieren. Mal mehr und mal weniger erfolgreich. Etwas bekanntere Beispiele dürften unter anderem der Third-Person-Shooter Spec Ops: The Line (Krieg und posttraumatische Belastungsstörung), das Jump&Run Papo & Yo (Alkoholismus und Gewalt) und der Puzzle-Platformer In Between (Tod und Verlust) sein.

Spiele dieser Art können durchaus Spaß bereiten, doch sie erlauben es sich, aufgrund ihrer Geschichten und Darstellungen auch Gegenteiliges zu bewirken. Das ist nicht jedermanns Sache, aber das sind Rosenkohl und Strandspaziergänge schließlich auch nicht.

Ennuigi konfrontiert Spieler mit einem depressiven und kettenrauchenden Luigi. Ennuigi konfrontiert Spieler mit einem depressiven und kettenrauchenden Luigi.

Deutlich experimenteller, dadurch aber auch weniger massentauglich, kommen zahlreiche Indiegames daher, die manch einer wohl nicht mal als "Spiele" bezeichnen würde, schließlich gibt es nichts zu gewinnen. Außer einer Erkenntnis vielleicht.

Sei es nun ein depressiver und kettenrauchender Luigi, ein Spaziergang über den Friedhof oder die moderne Kriegsführung aus Sicht eines Drohnenpiloten: Das ist nichts, mit dem man auf einer LAN-Party aufkreuzen sollte, wenn man nicht als Spielverderber gelten will.

Das Spiel vom Tod:Unser Test zu In Between

Ich will Spaß, ich will Spaß!

Natürlich müssen die Call of Battlefields dieser Welt Spaß machen, weil sonst kaum jemand bereit wäre, 60 Euro dafür auf den Tisch zu legen. Deswegen ist es wohl eher den günstigeren und kostenlosen Indiegames vorbehalten, Spielerinnen und Spieler mit unangenehmen Themen zu konfrontieren, die das Moralempfinden auf die Probe stellen und sich in der Magengrube festsetzen. Spiele, die keinen Halt davor machen, Tabus zu brechen, Missstände aufzuzeigen und den Spiegel vorzuhalten.

In Graveyard spaziert eine alte Frau über einen Friedhof. In Graveyard spaziert eine alte Frau über einen Friedhof.

Warum sollte etwas, das im Bereich des Films längst gang und gäbe ist, nicht auch für das Medium Spiel gelten? Eine Filmwelt ohne kritische Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Kultur wäre heutzutage undenkbar. Was ernst genommen werden will, darf sich nicht auf Spaß reduzieren lassen. Ich nehme Spiele ernst. Und ihr?

Plus-Report:Warum der Erste Weltkrieg ein gutes Spieleszenario wäre

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