Ich sollte über mein verlorenes Lieblingsspiel schreiben - und schrieb über mein Leben

Unser Autor vermisst The Movies wirklich sehr, denn es lässt sich nirgendwo mehr spielen. Dabei ging es immer um mehr als nur das Spiel.

Bis letzten November habe ich oft versucht, an The Movies zu kommen. Manchmal saß ich nächtelang vor Google und starrte den Bildschirm an. Vielleicht war es Angst, dass, mit den Jahren des Abstands, das Spiel doch weniger gut wäre als gedacht; dass ich Erinnerungen zerstören könnte. Aber vielleicht sind die Geschichten, die wir uns selbst über unser Leben erzählen, auch falsch, oder jedenfalls am Ende ganz anders als erwartet. 

Seit einer Woche sitze ich also hier und zermartere mir den Kopf. Die Geschichte begann, als GameStar-Redakteur Peter Bathge und ich darüber sprachen, was mein Lieblingsspiel sei, oder vielleicht habe auch nur ich darüber gesprochen, das weiß ich nie so genau. Mein Kopf meldete sofort: The Movies! Und das kam unheimlich schnell, wie etwas, das man Jahre lang verdrängt hatte. Also meinte Peter, schreib doch mal darüber, und nun sitze ich hier. Unentwegt. Es ist schwieriger als gedacht. 

Zum einen, weil man es nicht mehr kaufen kann. Lange habe ich es probiert. Zum anderen, weil dann nur Erinnerungen bleiben. Aber Erinnerungen sind brüchig, falsch, es gibt genügend Studien darüber, dass Leute, die einen Autounfall nicht gesehen, aber gehört haben, Monate später vor Gericht behaupten, die Renault habe irgendwem die Vorfahrt genommen. Wir Menschen machen uns permanent etwas vor. Wenn das Gehirn an etwas keine Erinnerungen besitzt, füllt es man Fantasien auf. Aus Angst, ertappt zu werden.

Alexander Krützfeldt
Alexander Krützfeldt

Alexander Krützfeldt schreibt Bücher und hat eine eigene Filmfirma, falls jemand mal eine gute Idee hat. Seitdem spielt er kaum noch Aufbauspiele, weil das Leben zu kompliziert geworden ist, trauert aber The Movies nach. Vermutlich würde er einen mittleren vierstelligen Betrag für ein Remake in der Unreal 5 Engine ausgeben. Vielleicht auch nicht.

Ein Spiel, das neben der Software steht

Also, ich sitze hier und meine erste Erinnerung an The Movies ist: Ich sehe mich im Karstadt stehen, zwischen den Regalen. Unfassbar unentschlossen und mit verblassenden Pickeln. Gerade dem Alter entwachsen, wo man sich weder traut, ein Mädchen anzusprechen, noch Pornohefte zu kaufen, weil beides mit dem Risiko verbunden ist, abgewiesen zu werden. In meiner Erinnerung war es ein besonders drückender Sommer. Über mir rauschte die Klimaanlage.

Zunächst sucht man ein Drehbuch und ein Genre aus, dann besetzt man es mit gecasteten Schauspielern. Später werden die Produktionen aufwändiger, dann kommen Crews, Statisten, Nebenrollen und Stuntleute dazu. Zunächst sucht man ein Drehbuch und ein Genre aus, dann besetzt man es mit gecasteten Schauspielern. Später werden die Produktionen aufwändiger, dann kommen Crews, Statisten, Nebenrollen und Stuntleute dazu.

Meine Freundin hatte mir gerade vorgeworfen, wie ihr Vater zu sein, was bedeutete, ich müsste nur noch schnell nach Tibet abhauen und dann jeglichen Kontakt abbrechen, dann wäre ich safe. In meiner Erinnerung hat sie was nach mir geworfen, aber vielleicht stimmt das auch nicht. Da sind lichtdurchflutete Räume, alles riecht nach Holzboden; der Wald vor dem Fenster. Die Videoabteilung hingegen riecht friedlich nach verpackter Elektronik. 

The Movies stand in den Längsregalen, im Pappkarton, neben den Video Makern, den Music Makern und DVD-Suiten. Das weiß ich noch, weil ich damals Musik machte und mich wunderte, warum es nicht bei den anderen Spielen stand: bei Doom 3, NHL 05, FEAR und World of Warcraft. 

Mir gefiel die Idee auf dem Packungstext – dass man ein eigenes Filmstudio leiten musste, von den 1920er bis heute. Warum genau, kann ich nicht sagen. Es hatte einen Online-Modus, der es Spielern ermöglichte, eigene Filme hochzuladen, und da es noch kein YouTube gab, schien mir das sicher neu und irgendwie erfreulich.

Die nächste Erinnerung ist das Haus meiner Eltern. Mein altes Kinderzimmer. Ich schob die CD in meinen alten Tower und gründete ein kleines Filmstudio mit dem Namen »Working Title«, das genauso hieß, wie ich mich fühlte. Es war schattig in meinem Zimmer im Erdgeschoss, es war das kälteste Zimmer im ganzen Haus. Durch die Fenster blendete ein Sommer, die ersten Semesterferien, ich hatte keine Pläne. Die Aussicht, ein berühmter Filmmogul zu werden, reichte für den Moment. Draußen kurbelte jemand die Markise runter.

Uuuund Action!

Mein Filmstudio mit dem Namen »Working Title« prosperierte. Der Lüfter summte gegen die Sommertage an. Während man seinen Filmpark verwaltete, neue Kulissen baute und Schauspieler einstellte, konnte man die Filme entweder selber schreiben oder einem Autoren überlassen. Ich schrieb alle Filme selbst. Ich bin bis heute der Auffassung, dass man in allem eine gute Geschichte entdecken kann, wenn man nur bereit ist, sie zu finden. 

Zum Beispiel die Kleiderschrank-Montageanleitung eines größeren schwedischen Möbelhauses: Im Prinzip eine Liebesgeschichte. Auslöser ist, dass jemand die Deckenhöhe nicht beachtet. Oder: Die Liebe zu einem völlig fremden Mann, der plötzlich die Wohnung betritt und ein großes, schweres Werkzeug trägt.

Mein erster Film entstand, weil meine Mutter mich fragte, ob ich die ganzen Sommer so rumlenzen wollte. Der Film hieß »Petrow will nicht zur Marine«, und weil in The Movies die technischen Durchbrüche erst mit der Zeit entdeckt werden, war es ein stummer Schwarz-Weiß-Film über einen jungen Soldaten, der Petrow hieß, und wirklich nicht zur Marine wollte. Seine Eltern bedrängten ihn.

Selbstporträt des Autors. Selbstporträt des Autors.

Zwei völlig diffuse Erinnerungen dazu, die vielleicht gar nicht in die Zeit passen: Ich, wie ich meine Sachen packe. Ich wie ich am Bahnhof stehe. Ich, wie ich meiner Mutter winke und sich der der Zug ruckartig in Bewegung setzt. Für Eltern sind Kinder ja immer so eine Art Versprechen. Und die Blicke, wenn man sieht, wie sich Eltern sich von diesem einstigen Versprechen wieder verabschieden müssen, weil das gedachte Wahre mit der Wirklichkeit kollidiert, schmerzen. 

Wow. Assoziatives Schreiben kann ganz schön anstrengend sein. Natürlich ist das bestimmt alles Blödsinn. Das muss Blödsinn sein. Meine Eltern lieben mich! Vielleicht war ich nicht der Fleißigste, okay. Vielleicht macht es sie traurig, dass ich chronisch pleite bin. Überlege gerade Peter zu schreiben, dass er dabei ist, meine Kindheit zu verpfuschen. 

Aber man grabe mal weiter. Zwei Erinnerungen an die Zeit: Ich erinnere mich, wie ich im Studium nächtelang Guild Wars oder Fußballmanager zockte, um wenigstens kleine Erfolgserlebnisse zu haben. Ich erinnere mich: Wie meine Eltern sich trennten. Mein Vater auf der Bettkante: Wer ihn jetzt noch wolle, fragt er. Ich, hilflos: »Jeder, Papa!« Ich, wie ich ein Praktikum bei der Berliner Zeitung nicht bekam und nach Fulda musste. Tief geschlagen im Zug sitze. Auch so ein Drama, das Ganze. Was hatte das alles jetzt damit zu tun? 

Wenn man einfach nur schreibt, kommt seltsames Zeug raus. 

Ich danke meinen Produzenten

Wenige Jahre danach musste ich auch an The Movies denken. Eva und ich standen auf einem Podium in München. Blumen und gläserne Trophäen in den Händen. Wir wurden ausgezeichnet für eine Recherche, für die wir ein Jahr in Gefängnissen recherchiert hatte. Der Raum war voll, Eva flüsterte: »Kannst Du bitte was sagen?« Ich trat ans Mikro und dachte an The Movies und sagte dümmlich grinsend: »Zunächst möchten wir unserem Produzenten danken.« Leuten schauten betreten, ob sie was unter ihren Fingernägeln haben.

Hier die klassische Weltkriegskulisse, in der auch mein erster Film spielte. Man stelle fest: Der Stern oben links zeigt die Studioplatzierung an. Chapeau. Hier die klassische Weltkriegskulisse, in der auch mein erster Film spielte. Man stelle fest: Der Stern oben links zeigt die Studioplatzierung an. Chapeau.

Daraufhin: Ich, mit Blumen und Anzug in einer Straßenbahn, während ich mich fragte, ob nicht die Selbsterkenntnis war, dass nicht die anderen anders sind, sondern nur man selbst. Die Blumen schenkte ich am Bahnhof einer vorbeilaufenden Frau. 

Der Held muss sich im zweiten Akt zunehmend mit den Begebenheiten arrangieren. Ab und an erleidet er Niederschläge, kommt mir spontan in den Sinn. Frodo lernt auf seinem Weg nach Mordor mehr über sich, und widersteht mehrfach der Versuchung, sich mit dem Ring nicht bei jeder Gelegenheit unsichtbar zu machen. WO KOMMT DAS HER?

Die letzte Mal, dass ich sehr viel an The Movies dachte, war im Lockdown. Während der Pandemie überkam mich häufiger das Gefühl, das Spiel meinem Sohn zu zeigen. Es scheiterte an der Angst, sich mit einem Virus zu infizieren. 

Nachmittage lang saßen wir, ohne Kita, auf dem Holzfußboden in der Küche und stellten Schleichtiere auf. Wir schnitten Figuren aus und bauten ein kleines Theater. Wir kullerten lachend über den Fußboden, wenn der T-Rex alle Autos umgestoßen und Straßenzüge verwüstet hatte, und einmal kam Jakob mit einem Stück Papier aus seinem Zimmer. Es war vollgeschrieben mit Wellenlinien.

Wenn gar nichts mehr geht, geht immer noch der Wasserturm. Leute rasten aus, besaufen sich oder müssen, weil sie leider alt sind, aufwändig kostümiert und geliftet werden. Ja, das Leben. Es sagt dir so oft, dass es gut sei, wie du bist. Aber. Nun ja. Wenn gar nichts mehr geht, geht immer noch der Wasserturm. Leute rasten aus, besaufen sich oder müssen, weil sie leider alt sind, aufwändig kostümiert und geliftet werden. Ja, das Leben. Es sagt dir so oft, dass es gut sei, wie du bist. Aber. Nun ja.

»Was hast du geschrieben?«, fragte ich. Und Jakob strich sein Blatt gerade und begann vorzulesen: »Es war einmal ein schlechter Tag. Nein, es war ein wirklich schlechter Tag (…) es war ein ganz fürchterlicher Tag!« Er hielt inne und betrachte mich. Ich strich ihm über den Kopf und sagte, das sei ein sehr guter Anfang; gerade wegen der am Anfang gut etablierten Fallhöhe. Der Held hat seine Komfortzone, die er nun verlassen muss. 

Stolz trug er sein Papier zurück in sein Zimmer und sagte, er werde auch Bücher schreiben, ob ich einen Laptop hätte. Durch den Spalt in der Tür sah ich ihn später an seinem Tisch sitzen, wie er konzentriert einen T-Rex aufs Blatt malte. 

Wenn Jakob die Augen zugefallen waren, und er am Daumen nuckelnd eingeschlafen war, klappte ich den Laptop zu und räumte die übrigen Saurier auf. Manchmal arbeiteten die Geschichten dann in ihm weiter. Wenn er schlief, trat im Bett um sich wie ein junger Hund, der vom Jagen träumte. 

Eine Erinnerung an diese Tage: Wie Jakob japsend ins Wohnzimmer eilt, um seiner Mutter zu erzählen, wie gut der Papa spielen könne. Ich vergesse nicht das Gesicht meiner Frau und ihr mildes Lächeln, das mich fast beschämte, und wie sie mir später im Vorbeigehen, während ich im Schneidersitz auf dem Boden hocke und alles aufräume, beiläufig über den Kopf streichelte. 

Der Held kehrt zurück in seine Heimat mit dem Elixier und seinen Erkenntnissen und kann fortan Frieden finden. WER SCHREIBT DAS?

Ein Traum wird wahr

Im November sitze ich bei einem Notar in Leipzig und bekomme die Gelegenheit, ein eigenes Filmstudio mitzugründen. Meine Partner sind der Meinung, ich könne mitmachen, auch wenn mir die Erfahrung fehle. Seltsam eigentlich, wie das Leben läuft. Seither habe ich gar nicht mehr an The Movies gedacht.

»Uuuund Action!« Hier ein Science-Fiction-Set. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler können wir umschulen, damit sie neue Genres lernen. Eine Quintessenz, die selbst der Journalismus lernen musste: Auch das Publikum hat seine Vorstellungen! »Uuuund Action!« Hier ein Science-Fiction-Set. Alle Schauspielerinnen und Schauspieler können wir umschulen, damit sie neue Genres lernen. Eine Quintessenz, die selbst der Journalismus lernen musste: Auch das Publikum hat seine Vorstellungen!

Ich schiebe den Stuhl zurück und beschließe, in den Keller zu gehen. Ich knipse das Licht an und die Neonröhren zögern kurz, ehe sie eine Landschaft aus Umzugskartons beleuchten. Kartons, die mich über viele Umzüge begleitet haben, die ich aber nie vollständig ausgepackt hatte. 

Ich krame in den Kartons und finde Lampen ohne Stromstecker. Alte Kinderbilder – ich auf dem Arm meiner Mutter. Selbstgemalte Bilder von Piratenschiffen, auf das meine Grundschullehrerin geschrieben hat: »Lieber Alexander. Das ist alles ganz schön. Aber wo ist die Mama, wo ist der Papa, wo ist der Geburtskuchen. Wir wollten doch einen Geburtstag malen!« Bei mir fielen die Piraten blutüberströmt vom Mast. 

Ich finde ein Bild von mir, wo ich sehr schüchtern gucke und mich zwischen den Beinen meines Vaters verstecke. Ich finde ein Grundschulzeugnis auf dem steht, dass ich Schwierigkeiten hätte, mich zu konzentrieren, und dass ich dauernd eine Idee hätte. Ich finde ein Bild, auf dem ich eine Schultüte trage und in die Kamera schaue, als wenn da etwas kommt, von dessen Ungefährlichkeit ich noch nicht vollständig überzeugt bin.

Ganz unten, in einer der letzten Kisten, finde ich tatsächlich The Movies. Es ist die Doppel-CD samt Expansion Pack. Ich wusste nicht mal, dass es all die Jahre hier unten gelegen hatte. Aber irgendwie war ich die Treppe hinuntergestiegen. Ich betrachte es von allen Seiten und beschließe, es doch nicht zu installieren. Ich lege es zurück und verschließe die Kiste. Dann lösche ich das Licht und gehe nach oben. 

Es gibt Spiel, die bekommen, trotz ihrer Qualitäten, nie die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich verdienen. Die meiste Zeit meines Lebens habe ich gedacht, dass ich so ein Spiel bin.

zu den Kommentaren (52)

Kommentare(49)
Kommentar-Regeln von GameStar
Bitte lies unsere Kommentar-Regeln, bevor Du einen Kommentar verfasst.

Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.