Riesen und kooperative Kleinode
Gewaltige Spiele wie Twilight Imperium, das in stundenlangen Partien ganze galaktische Zivilisationen verglühen lässt oder Kevin Wilsons Sid Meier’s Civilization: The Board Game hingegen gehen in eine komplett andere Richtung. Weg vom cleveren Minimalismus europäischer Spiele hin zu einem fast wahnwitzigen Maximalismus. Spiele, die epischer sind als jedes Videospiel, die stundenlange Vorbereitung brauchen und im besten Fall über die Dauer eines vollen Tages gespielt werden, voller Intrigen, Bündnisse, Lügen und denkwürdigen Geschichten.
Es geht aber auch nicht immer gegeneinander. Ähnlich wie kooperative Videospielen sind kooperative Brettspiele äußerst beliebt. In Vlada Chvatils Space Alert sind die Spieler eine Bande zum Untergang verdammter Weltraumtrottel, die ihren Schrotthaufen von Raumschiff durch eine Reihe von Gefahren steuern müssen, die von einer Computerstimme angesagt werden. In Antoine Bauzas Ghost Stories werden vier Spieler zu einer eingeschworenen Gruppe Kung-Fu-Mönche, die mit ihren unterschiedlichen Kräften gemeinsam ein kleines Dorf gegen den Ansturm einer Geisterarmee verteidigen. An Eleganz und schnell verständlichen Regeln kann es Ghost Stories mit jedem europäischen Aufbauspiel aufnehmen. Es ist ein Spiel, das Teamwork mehr belohnt als brachiale Gewalt.
Krieg der Verlage
Brettspiele werden immer spannender und jede neue Idee scheint irgendwo anders auf der Welt einen Autor zu inspirieren, den Gedanken zu verfeinern, zu schleifen, in neue Spiele zu gießen, die immer schneller erscheinen können. »Es wird viel einfacher, ein eigenes Spiel rauszubringen. Übers Internet und die Medien und Crowdfunding«, sagt Bernd Eisenstein, der bereits selbst Spiele ohne Verlag im Rücken veröffentlicht hat. Konkurrenzgedanken gibt es dabei überraschend wenige. »Die Autorenszene ist halt so«, sagt Eisenstein. »Das sieht man gar nicht als Konkurrenz. Man freut sich eher wenn man mehr Feedback für die eigenen Sachen kriegt.«
Für Verlage sieht das allerdings ganz anders aus. Es gibt schlicht zu viele gute Spiele und nicht genügend neue Spieler. »Die Lage im Brettspielmarkt ist angespannt. Jahr um Jahr werden mehr Neuheiten in den Markt gepumpt, über 700 dieses Jahr. Wer soll das alles kaufen? Wer soll das spielen?«, fragt sich Guido Heinecke. »Solch eine Vielfalt führt natürlich zu Konkurrenzdruck im Kampf um jeden Zentimeter im Regal bei den großen Kaufhäusern. Dem begegnen die Verlage mit Preissenkungen und noch mehr Neuheiten. Die Spirale dreht sich abwärts.« Ein Luxusproblem, sicherlich, aber eins das den Brettspielmarkt schwer beschäftigt.
Brettspiel =Videospiel?
Während an der Spielwiese die Leute vorbeiziehen, beschäftigt der Preisverfall die Autoren sehr wenig. Bereits jetzt wird voller Faszination über eine ganze Reihe neuer Brettspiele asiatischer Autoren diskutiert, die mit ihren kreativen, überraschenden Spielen die langsam verglühende Fackel japanischen Videospieldesigns aufgegriffen haben. Spiele wie Seiji Kanais Love Letter, das mit nur 16 Karten eine Welt aus Hofintrigen aufspannt. »Frisch und unverbraucht«, nennt Spieleautor Hartmut Kommerell. Erst vor kurzem stellten asiatische Spieleautoren stark experimentelle Prototypen auf der SPIEL in Essen vor. Schon jetzt scheinen sie die nächsten Impulsgeber für das Brettspiele sein. Aber auch Videospielemacher und -Spieler sollten aufhorchen. Laut Kritikern wie Smith und Heinecke gibt es immer mehr Berührungspunkte zwischen analogen und digitalen Spielen.
»Wir müssen uns befreien von dieser Vorstellung, dass Videospiele und Brettspiele unterschiedliche Dinge sind«, predigt Quintin Smith. »Um Journey zu machen, hat Chris Bell Spielplätze erforscht, das neue XCOM: Enemy Unknown basiert auf einem Brettspiel.« Letzteres stimmt tatsächlich: Um das Regelwerk und die Mechanik des rundenbasierten Strategiespiels richtig hinzubekommen, bastelte Firaxis einen internen Brettspiel-Prototypen. Denn damit ließ sich das Regelwerk anschaulicher testen als mit einem unfertigen Stück Programmcode. Guido Heinecke stimmt Smiths Einschätzung zu: »Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass Brett- und Videospiele enger zusammenrücken.« Die Anfänge dieser Nähe zeigen sich unter anderem auch in den vielen Lizenzspielen, von Doom bis Gears of War, die die Themen ihrer Videospielvorlagen gekonnt aufs Brett bringen.
Womit wir wieder dort sind, wo der aktuelle Höhepunkt guten Brettspieldesigns seinen Anfang nahm: Bei der Vermischung verschiedener Designkulturen, analoger und digitaler Spiele, europäischer Aufbaustrategie, amerikanischem Geschichtenerzählen und asiatischer Innovation. Wenn dieses Jahr also wieder Weihnachten anrollt und es heißt, irgendeine große, bunte Kiste unter einem Baum zu verstecken: Es muss keine Wii U, sondern darf auch mal ein Brettspiel sein. Nicht den Verlagen zuliebe, die gar nicht wissen wohin mit so viel kreativem Potenzial. Nicht den Autoren zuliebe, die kaum von ihrem Schaffen leben können. Nein, einfach nur gutem Spieledesign zuliebe. Wer jetzt Brettspiele verpasst, verpasst fantastische Erfahrungen voller Freundschaft, Verrat und glücklichen Heldentaten, die sonst in keinem Videospiel auch nur ansatzweise möglich sind. Wer jetzt Brettspiele verpasst, der verpasst die Zukunft der Spiele.
Weihnachtsempfehlungen
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